Ein Blick hinter die Kulissen des amerikanischen Wahlkampfs
Dafür gibt es eine Vielzahl an Gründen, die sich jedoch auf einen Nenner zusammenfassen lassen: Selbst wankelmütige Amerikaner sehen durch die jüngsten Entwicklungen in der Welt, dass sie einen Präsidenten haben, der ihr ureigenstes Sicherheitsbedürfnis befriedigt.
Der Anschlag tschetschenischer Terroristen auf die russische Schule in Beslan zum Beispiel, führte der amerikanischen Nation überzeugend vor Augen: die USA befinden sich nicht als einzige Nation im Fadenkreuz der Islamisten. Das oft in Europa und der arabischen Welt geäußerte Argument, Präsident Bush schüre mit seiner "militanten Außenpolitik" den Hass der Islamisten gegen Amerika, anstatt ihm erfolgreich zu begegnen, wird durch die tschetschenische Aktion öffentlichkeitswirksam relativiert. Auch dass der russische Präsident Vladimir Putin von "internatinalem islamistischen Terrorismus" redet, entspricht ganz dem Tenor der Bush-Administration.
Zudem erhielt die Irak-Politik des amerikanischen Präsidenten überraschend Schützenhilfe von einer unerwarteten Seite: der neuen Interimsregierung des Irak.
Rechtzeitig zum Parteitag der Republikaner in New York - gerade als der einstige Herausforderer Bushs, Senator John McCain, die anglo-amerikanische Irak-Invasion vor den Parteidelegierten als "notwendig, nobel und erfüllt" pries, als Rudy Giuliani, der während des Anschlages am 11. Setpember 2001 Bürgermeister von New York war, Gott für die Führerqualität des Präsidenten dankte und der Hollywoodstar-Gouverneur von Kalifornien, "Ahnuld" (Arnold Schwarzenegger), Bush in seiner Rede zurief: "Sie argumentieren nicht mit Terroristen, Sie besiegen sie!" - wartete der irakische Interims-Premier Iyad Allawi mit einem Interview in der führenden französischen Tageszeitung "Le Monde" auf, das den Republikanern so richtig ins Zeug passte.
Allawi, ein durchaus US-kritischer Schiite, verwies darauf, dass "Neutralität im Falle des Irak nicht möglich ist". Ganz im Tenor Bushs, der die Welt in "Gut und Böse" klassifiziert, fuhr Allawi in "Le Monde" fort: "Wir haben immer gesagt, dass die Mächte des Bösen nicht nur das irakische Volk herausfordern, sondern alle zivilisierten Nationen. Es ist ein primitiver Krieg, und man kann ihm nicht mit Halbwahrheiten und halben Maßnahmen aus dem Weg gehen."
In Anspielung auf Frankreichs Opposition gegen die anglo-amerikanische Invasion im Irak und der jahrelangen Unterstützung Saddam Husseins durch Paris, warnte Mallawi weiter: "Auch Frankreich wird nicht verschont bleiben." Dies ist ja bereits der Fall. Radikale Islamisten machen aufgrund des Kopftuchverbots Front gegen Frankreich. Und auch Deutschland könnte bald buchstäblich unter Beschuss der Islamisten geraten, denn in sechs Bundesländern, darunter Berlin, wurde ein Kopftuchverbot für den Öffentlichen Dienst ausgesprochen. Mallawi, der sich am 8. September zu Gesprächen mit der Bundesregierung in Berlin aufhielt, hat Kanzler Schröder das Gleiche gesagt, wie der französischen Regierung. Dennoch lehnte der Bundeskanzler erneut ab, die Bundeswehr zu friedenserhaltenden Maßnahmen in den Irak zu entsenden.
Die Äußerungen des irakischen Interims-Premiers in "Le Monde", zusammen mit der jüngsten Veröffentlichung der "Washington Times" über Waffenlieferungen der Franzosen an Saddam Hussein bis wenige Monate vor Kriegsbeginn ist von den amerikanischen Medien breit aufgegriffen worden. Der durchgängige Presse-Tenor bescheinigt Präsident Bush: aus diesen Gründen war es richtig, vor der UNO nicht auf die ablehnenden Stimmen der "Alten Europäer" - respektive Frankreichs - zu hören, sondern selbst zu handeln. Eine bessere PR hätten sich die Republikaner für ihren Präsidenten gar nicht wünschen können und sehen der Wiederwahl deshalb relativ gelassen entgegen.
Es gab zwar die medienwirksam auftretenden Demonstranten vor dem Parteitag der Republikaner, aber sie sind numerisch und in der Auswirkung kein Vergleich zu den Anti-Vietnam-Demos der 60er- und 70er-Jahre. Auch gibt es ein Phänomen, das es vorher noch nie gegeben hat: Selbsternannte "Hassgruppen" gegen Bush. Noch nie hat ein Präsident in der Geschichte der USA die öffentliche Meinung im In- und Ausland so gespalten wie George Walker Bush; noch nie ist die Ablehnung eines Präsidenten und seiner Politik derart markant geäußert worden. Doch die "Bush Hate Groups" formieren sich in erster Linie im Internet, sammeln Geld, um Anzeigen gegen den Präsidenten zu schalten. Wie groß diese Unterstützung für den farblosen und "leisen" Kandidaten der Demokraten letztlich am Wahltag ausfallen wird, kann zwar nicht abgesehen werden. Dennoch ist erfahrungsgemäß zu bezweifeln, dass die "Internet-Freaks" mit Hass-Parolen wahlentscheidend wirken können.
Denn für den amerikanischen Otto-Normalverbraucher zählen nur zwei Dinge: was er in der Tasche hat und ob der Präsident eine starke Führernatur ist, die für Recht, Ordnung und Sicherheit sorgt.
Was die wirtschaftliche Lage angeht, hat Bush in den vergangenen vier Jahren keine Glanzleistung hingelegt, wie etwa sein Vorgänger Bill Clinton. Er hat zwar durch eine dramatisch wirkende Steuerrückzahlung versucht, den Amerikanern zu suggerieren, seine Regierung stünde für "weniger Staat und mehr Privateigentum". Der Terrorangriff auf die USA am 11. September 2001 hat aber dieses Steuergeschenk an die Bürger der USA größtenteils zur hilflosen Geste verkommen lassen. Nicht nur trat im Binnen- und Außenhandel der USA aufgrund einer gewissen Verunsicherung eine konjunkturelle Abkühlung ein. Auch die amerikanische Staatsverschuldung, mit der Sicherheitsmaßnahmen zu Hause und der Krieg im Irak finanziert wird, belastet die Wirtschaft.
Die Republikaner, die traditionell für ein "Balanced Budget" eintreten, nehmen wieder ein Haushaltsdefizit in Kauf, das die ganze Weltwirtschaft beeinträchtigt. Nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds beträgt die Gesamtverschuldung der USA 57 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, mit steigender Tendenz - und katapultiert das Land damit in die Nähe Deutschlands (61 Prozent), das in den USA häufig als ein Beispiel eines "sozialistisch-träumerischen Fehlschlags" zitiert wird.
Zwar liegen die Arbeitslosenzahlen nach wie vor mit vier bis fünf Prozent nur halb so hoch wie in Deutschland, für Präsident Bush stellen sie aber durchaus eine Belastung dar, zumal viele weiße Arbeiter aus der Stahlindustrie und dem Kohlebergbau sowie in den traditionell konservativen Südstaaten ohne Job dastehen. Da weiße Arbeiter immer noch eher zur Wahl gehen als Afro-Amerikaner, wittern die Demokraten eine Chance.
Insbesondere deren Vize-Kandidat John Edwards hat auf dem Parteitag der Demokraten einen Klassenkampf eröffnet: "Us versus them - wir gegen sie." Edwards spricht seither gezielt die Armen und die untere Mittelschicht der USA an, indem er behauptet, unter Bushs Regierung seien die Reichen reicher und die Armen ärmer geworden. Dann zieht er die dramatischen Verlustzahlen der vergangenen vier Jahre aus der Tasche. Diese Zahlen gibt es tatsächlich, nur: Sie betreffen lediglich zwei Prozent der Amerikaner. Jene, die über ein Jahreseinkommen von mehr als 200.000 Dollar verfügen. Die Mittelklasse mit einem Einkommen von 25.000 bis 200.000 Dollar konnte hingegen durchschnittlich sogar zulegen. Die Armen, die unter 25.000 Dollar liegen, haben zwar einen Einkommensverlust von 1,4 Prozent hinnehmen müssen, sind aber die einzigen, die von der Steuerrückzahlung wirklich profitieren, so dass sie am Ende genauso dastehen wie zuvor.
Also theoretisch kein überzeugendes Argument der Demokraten gegen den Präsidenten. Die meisten Amerikaner lesen aber keine Wirtschaftsdaten und stellen solcherart Vergleiche an. Für sie zählt der subjektive Eindruck, der lautet: "Ich habe heute weniger Geld als unter dem Demokraten Bill Clinton."
Der Präsident steigt deshalb in seiner Wahl-Kampagne auf ein völlig anderes Thema ein: die Legalisierung der auf acht bis zwölf Millionen geschätzten illegalen Einwanderer, zumeist aus Lateinamerika. Bush spricht damit die wirklich ärmste Schicht in den USA an und riskiert einerseits, dass er einen Teil seiner Partei gegen sich aufbringt. Andererseits pokert Bush damit, die rund 30 Millionen Hispano-Amerikaner ganz als Wähler für sich zu gewinnen.
Dies hat der Präsident bei seiner Wahl im Jahr 2000 teilweise erfolgreich in den Südweststaaten und in Florida geschafft. Die Chancen, dass er sich damit bei den offiziell eingewanderten Hispanos einschmeichelt, stehen sehr gut. Obwohl die meisten von ihnen zu den Ärmsten der amerikanischen Gesellschaft zählen und sich oft für Dumping-Löhne verdingen, sind die Demokraten eher auf afro-amerikanische Arbeiter konzentriert und bisher nicht in der Lage, eine signifikante Wählerschaft unter ihnen anzusprechen.
Die Hispano-Amerikaner schätzen an Präsident Bush seine Führungsqualität - das ist das, was sie aus ihren Herkunftsländern ohnehin gewöhnt sind, den "starken Caudillo". Schon im Jahr 2000 und jetzt noch viel mehr, wirbt Bush auf spanischer Sprache für sein "Proven Leadership". Seine texanische Herkunft und sein gelegentlich saloppes Auftreten sprechen die Hispano-Amerikaner jedenfalls mehr an als der steif und kühl wirkende Kerry aus dem Norden.
Ohnehin setzt die Bush-Wahlkampfmaschinerie mehr auf die "Entscheidung aus dem Bauch" als auf rationale Überlegungen. Jeder weiß: der Präsident ist kein Intellektueller. Er denkt in Schwarz und Weiß, Gut und Böse - wie die meisten Menschen, insbesondere ungebildete Einwanderer aus Südamerika. Gleichzeitig vermittelt er in seinen Fernsehreden, allen voran die weltweit übertragenen "Reden an die Nation" Entschlossenheit, Durchsetzungsfähigkeit und, dass die USA eine große und großartige Nation sind.
Jeder Einwanderer identifiziert sich mit solch einem Bild eher, als mit jenem, das die Demokraten verbreiten. Aus deren Sich sind die Vereinigten Staaten gespalten, ideologisch wie wirtschaftlich, international isoliert dank der rigorosen Politik des Präsidenten und versetzen die Welt in Angst und Schrecken. Dieses Negativbild will und wird kein Einwanderer akzeptieren. Insofern zeigt das Bush-Team, dass es am Puls der amerikanischen Gesellschaft liegt, während die Demokraten hauptsächlich auf ihre traditionellen Wählerschichten setzen: Arbeiter, Afro-Amerikaner und Intellektuelle.
Das größte Handicap, das Bush derzeit in seinem Wahlkampf hat, liegt indes auf einer anderen Ebene: Es geht um die innere Sicherheit. Nichts würde der Präsident lieber auf seine Fahnen schreiben, als dass er seit dem 11. September 2001 für Sicherheit gesorgt hat. Doch wie gut das Sicherheitssystem funktioniert, ist für den einzelnen Wähler nur schwer durchschaubar und auch kaum zu beurteilen.
Welche Chancen haben der Demokrat John Kerry und der Republikaner George W. Bush, nach dem 2. November 2004 ins Weiße Haus einzuziehen? Seine Unfrageergebnisse sind zwar günstig für ihn, alle Umfrageinstitute verweisen indes darauf, dass der Irrtum ihrer Ergebnisse um bis zu vier Prozent schwanken kann. Das Wahlergebnis wird also wahrscheinlich wieder eng. Die Prognose könnte lauten: Bush bleibt Präsident, weil sich die Mehrheit der amerikanischen Wähler vom islamistischen Terrorismus bedroht fühlt und in Bush - mit Abstrichen - die richtige Führungsperson für "God's own country" sieht, die dieses Sicherheitsbedürfnis ausreichende befriedigt.