Nordrhein-Westfalen: Vor den Kommunalwahlen wächst die Nervosität bei den großen Parteien
Selten sind Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen mit so viel Spannung erwartet worden, wie in diesem Jahr. Zwar beteuern Politiker aller Parteien, dass der Urnengang am 26. September 2004 keinesfalls als Testlauf für die nordrhein-westfälische Landtagswahl im Mai 2005 angesehen werden kann. Doch tatsächlich wird man das Ergebnis sehr wohl als Stimmungsbarometer bewerten. Die politische Marschrichtung im bevölkerungsreichsten Bundesland wird allgemein als Signal für die bundespolitische Entwicklung gedeutet. Sollte es der CDU an Rhein und Weser nach 39 Jahren in der Opposition gelingen, bei der kommenden Landtagswahl den Machtwechsel zu schaffen, werden Auswirkungen für Berlin erwartet. Zumindest wird eine übermächtige Unionsmehrheit im Bundesrat der rot-grünen Berliner Koalition das Leben schwer machen. Deshalb überschreitet der Einsatz bundespolitischer Prominenz auch das sonst in einem Kommunalwahlkampf übliche Maß.
Dabei zweifeln vor allem so manche Basis verbundene Genossen an der positiven Wirkung eines Auftritts von Spitzenpolitikern vor Ort. Sie würden sich lieber abgekoppelt von der Bundespolitik und deren Themen - allem voran die Debatte um Hartz IV - den Bürgern stellen. Das gilt umso mehr, als die nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten ohnehin einen schweren Gang vor sich haben. 1999 stürzte die erfolgsgewohnte NRW-SPD in der Bürgerzustimmung sensationell ab. Damals konnte die SPD nur in zwei Gemeinderäten die absolute Mehrheit verteidigen.
Diesmal steht die SPD mit dem Rücken zur Wand. Rund 20.000 Mitglieder sollen in NRW ihr Parteibuch zurückgegeben haben. Nach jüngsten Umfragen pendelt die SPD zwischen 30 und 34 Prozent. Einige sozialdemokratische Kandidaten wie die Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann und der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete und Bürgermeisterkandidat in Bergneustadt, Friedhelm Julius Beucher, verzichten sogar auf das Parteienlogo auf ihren Wahlkampfplakaten.
Letzte Umfrage-Ergebnisse haben bei den Sozialdemokraten zu einem dezenten Stimmungsaufschwung geführt. Sie bescheinigen der SPD eine leichte Verbesserung ihrer Stimmwerte. Noch wichtiger war es für die NRW-SPD, dass laut diesen Erhebungen die Union Stimmen eingebüßt hat. Der Generalsekretär der Landes-SPD Michael Groschek wertet die Entwicklung positiv: "Seit die Debatte um Hartz IV allmählich sachlicher wird und bei der CDU die große Euphorie verflogen ist, werden unsere Mitglieder wieder selbstbewusster." Sie hätten jetzt auch die Chance, mit den Bürgern über kommunale Themen zu diskutieren. Groschek: "Dadurch wird der Wahlkampf für unsere Parteifreunde leichter. Wir haben keinen Grund, den Kopf hängen zu lassen", meint er aufmunternd und hofft, dass die SPD ein paar Oberbürgermeistersessel zurückgewinnen und damit die Trendwende im Abwärtsstrudel einleiten könnte.
Die CDU im Land schwamm lange Zeit auf einem Meinungshoch. Nachdem sie bei den Kommunalwahlen 1999 das politische Nordrhein-Westfalen mit 50,3 Prozent der Stimmen schwarz eingefärbt hatte, sahen Meinungsforscher sie - nach der Niederlage bei der Landtagswahl 2000 - bis vor kurzem zumindest auf kommunaler Ebene an der 50-Prozent-Marge. Nach neusten Umfragen ist sie jedoch um rund fünf Prozent abgesackt. Als Ursache dafür wird bundesweit das "Sommertheater" der CDU/CSU, aber auch die von NRW-Partei- und Fraktionschef Jürgen Rüttgers geforderte "Generalrevision" der Hartz-Reformen vermutet. Die jetzt errechneten 42 bis 45 Prozent würden bei der Landtagswahl noch immer zur angestrebten Regierungsübernahme mit der FDP reichen. Aber der Schreck, den zehnprozentigen Vorsprung vor der SPD verloren zu haben, ist den Christdemokraten in die Glieder gefahren. Die Vorwahlnervosität scheint bei ihnen jetzt ebenso groß wie bei den Sozialdemokraten.
Fakt ist: Für die NRW-CDU ist die Situation diffizil. Zum einen liegen die Erwartungen der Parteifreunde hoch. Zum anderen dürfte es schwierig sein, das außergewöhnlich gute Ergebnis von 1999 noch einmal zu übertreffen. Mit Blick auf diese parteipolitisch vertrackte Situation hatte Rüttgers selber schon frühzeitig auf die so genannte "Euphorie-Bremse" getreten und vor Übermut gewarnt. Tatsächlich könnte es sein, dass die CDU trotz guten Abschneidens in der Öffentlichkeit als Verlierer gesehen wird, weil sie die Hoffnungen der Mitglieder nicht erfüllt. CDU-Generalsekretär Hans-Joachim Reck wiegelt denn auch vorsichtig ab: "Es war klar, dass wir nicht ewig auf Wolke Sieben schweben konnten. Wichtig ist, dass wir überall im Land die strukturelle Mehrheit behalten, und danach sieht es aus." Allerdings müssen sich beide große Parteien auf Stimmenverluste einrichten. Das hängt mit dem Wegfall der Fünf-Prozent-Hürde bei den Kommunalwahlen zusammen. Überall haben sich kleine Wählerinitiativen gebildet, die den etablierten großen Parteien Stimmen abjagen werden.
Die FDP im Land sieht sich im Aufwind. Das Spendendesaster um Jürgen Möllemann hat der Partei offenbar nicht geschadet. An die Stelle des aufregenden Politmannes sind die in der Öffentlichkeit etwas blass wirkenden Andreas Pinkwart als Parteichef und Ingo Wolf als Fraktionsvorsitzender getreten, die gemeinsam zuverlässig und glaubwürdig ihre Arbeit machen. Ihr Ziel ist es, die Liberalen, die 1999 lediglich 4,3 Prozent erhielten, auf das Doppelte zu bringen. Damit ist aus dem luftigem "Projekt 18" ein solides
"Projekt 8" geworden. Seit 1999 hat NRW-FDP 28 neue Ortsvereine gegründet und die Zahl der weißen Flächen auf 45 verringert sowie die Mitgliederzahl bei 16.500 stabilisiert. Umfragen nähren die Hoffnungen: Danach landen die Liberalen bei den Kommunalwahlen bei sieben bis acht Prozent.
Am komfortabelsten ist die Lage der NRW-Grünen. Umfrageergebnisse geben ihnen zwischen zwölf und 14 Prozent. 1999 kamen sie auf 7,3 Prozent. Ihnen ist es gelungen, sich mit Umweltthemen, Verbraucherschutz- und Gesundheitsfragen zu profilieren und den Bürgerfrust dem großen Koalitionspartner SPD anzuhaften. "Wir haben Zuwächse aus allen anderen Parteien und hoffen, bei den Kommunalwahlen zweistellig zu werden", bestätigt die grüne Fraktionschefin Sylvia Löhrmann in Düsseldorf. Derzeit gibt es in NRW 13 schwarz-grüne und elf rot-grüne Bündnisse auf lokaler Ebene. Deshalb gehen die Grünen bündnisoffen in die Kommunalwahlen und legen sich nicht auf die SPD als Partner fest. Zumindest in den Groß- und Universitätsstädten können sie sich berechtigte Hoffnung auf weitere Zuwächse machen.
Letztlich entscheidend könnte die Wahlbeteiligung sein - und um die ist es schlecht bestellt. 1999 gingen nur 55 Prozent der rund 14 Millionen NRW-Wahlberechtigten an die Urnen. In der Gruppe der 21- bis 30-Jährigen machten sogar nur 40 Prozent von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Noch weniger Interesse zeigen offenbar die 16- und 17-Jährigen, die erstmals wählen dürfen. Viele von den 900.000 Wahlberechtigten dieses Alters wissen nicht einmal, dass sie bei den Kommunalwahlen wahlberechtigt sind. Auch bei den rund 540.000 EU-Ausländern wird die Wahlbeteiligung gering eingeschätzt. Gewählt werden 396 Stadt- und Gemeinderäte, 31 Kreistage sowie die Bezirksvertretungen in 23 kreisfreien Städten. Gerlind Schaidt