Senkung der Strafmündigkeit ohne Chance
Dass daher von politischer Seite - speziell, wenn Serientäter für schlagzeilenträchtige Fälle sorgen - immer wieder die Forderung erhoben wird, das Strafmündigkeitsalter herabzusetzen, verwundert wenig. Ob sie allerdings Chancen hat, realisiert zu werden, ist fraglich. Joachim Stünker beispielsweise hält fest, dass die Festlegung des Alters, die nach einer langen rechtspolitischen Entwicklung und auf der Grundlage fundierter jugendpsychologischer Erkenntnisse festgesetzt worden sei, sich grundsätzlich bewährt habe. Der SPD-Abgeordnete räumt aber ein, dass es trotzdem immer wieder Ansätze gebe, delinquentes Verhalten von Kindern durch schärfere Gesetze zu regulieren, statt die Ursachen zu bekämpfen. Die frühere, um ein Jahr verschobene strafrechtliche Verantwortlichkeit dürfte nicht geeignet sein, um das Legalverhalten von Kindern grundlegend zu ändern, sagt der rechtspolitische Sprecher seiner Fraktion und warnt: "Eine frühere negative Stigmatisierung könnte eher noch dazu führen, dass Kinder noch früher eine kriminelle Karriere einschlagen." Um den Kindern das begangene Unrecht vor Augen zu führen, setze dies eine zur Tatzeit nach der sittlichen und geistigen Entwicklung ausreichende Reife voraus. Die körperliche und intellektuelle Entwicklung möge heutzutage früher erfolgen, jedoch gelte dies nicht unbedingt auch für die Herausbildung sozialer Verantwortung.
Die Frage nach der Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters von derzeit 14 auf 13 Jahre stellt sich auch für die FDP-Abgeordnete Sibylle Laurischk nicht ernsthaft. Sie werde in der öffentlichen Diskussion als eine Lösung für die Kinder- und Jugendkriminalität gesehen. Ihr erscheine dies jedoch eher eine populistische Betrachtungsweise zu sein, die außer acht lasse, wie formbar und beeinflussbar Kinder und Jugendliche seien - und dies auch noch deutlich über das Strafmündigkeitsalter von 14 Jahren hinaus. Die Rechtsanwältin: "Unter Fachleuten gilt es als Binsenweisheit, dass Kinder und Jugendliche in Strafanstalten genau das lernen, was ihnen für eine lebenslange kriminelle Karriere noch fehlt, aber nicht das erhalten, was sie brauchen, nämlich Führung und Zuwendung, um ihre offenkundig problematische Lebenssituation doch noch in die richtige Bahn lenken zu können." Als Mutter von drei Kindern wisse sie, wie wenig 13-Jährige die Konsequenz ihres Handelns überblickten, auch wenn sie sich selbst schon als den Wechselfällen des Lebens völlig gewappnet empfänden. "Kinder, die in diesem Alter mit ihren Verhaltensweisen auffallen, die in höherem Alter strafwürdig wären, zeigen letzt-endlich ihre Hilflosigkeit und Sprachlosigkeit durch Gewalttaten oder Eigentumsdelikte." Ein krasses Beispiel in ihrem Wahlkreis in Südbaden, so Sibylle Laurischk weiter, seien Sinti- und Romakinder, die von ihren "Hinterleuten" aus Frankreich nach Deutschland geschickt würden, um durch Einbruch und Diebstähle Beute zu machen. Sie seien Werkzeuge ihres sozialen Umfeldes und ohne jedes Unrechtbewusstsein. Eine angemessene Erziehung fehle und sei auch nicht durch Inhaftierungen zu erreichen.
Die Forderung, das Strafmündigkeitsalter herabzusetzen, sei zwar alt, werde dadurch aber nicht richtiger. Für die Grünen lehnt deren rechtspolitischer Sprecher Jerzy Montag entsprechende Forderungen daher konsequent ab. Es bestehe gegenwärtig gar keine Notwendigkeit, darüber zu diskutieren, die Strafmündigkeit abzusenken, sagt er und weiter: "Diese setzte voraus, dass tatsächlich immer mehr Kinder und jugendliche straffällig würden. Das ist jedoch mitnichten der Fall: Die Kinderkriminalität in Deutschland ist seit Mitte der 90er-Jahre kontinuierlich rückläufig." Nach den Polizeilichen Kriminalstatistiken sei die Zahl der tatverdächtigen Kinder zwischen 1998 und 2003 um mehr als 17 Prozent gesunken. Die Berichterstattung in den Medien über spektakuläre Einzelfälle stelle diese Realität völlig verzerrt dar. Davon unabhängig lehnten die Grünen auch aus inhaltlichen Gründen die Forderung ab. Kinderkriminalität verlange nach differenzierteren Lösungsansätzen, als sie das Strafrecht bieten könne. Auch 13-jährige Straftäter seien Kinder, deren Persönlichkeit sich noch in der Entwicklung befinde. Genau hier gelte es, "kriminellen Karrieren" vorzubeugen. Jerzy Montag: "Es bedarf einer engen Vernetzung aller Gruppen im Umfeld des Kindes, um im Einzelfall angemessen, wirksam und umfassend auf das Kind einwirken zu können. Eltern, Polizei, Jugendhilfe und Schule müssen an einem gemeinsamen Strang ziehen und nach Analyse der konkreten Situation des Kindes die im Einzelfall notwendigen Maßnahmen erarbeiten. Auch das Kind selbst ist einzubeziehen."
"Der Anstieg der Kinder- und Jugendkriminalität - besonders bei nur bedingt Strafmündigen ist besorgniserregend und sollte von den Politikern und der Gesellschaft nicht auf die leichte Schulter genommen werden", sagt dagegen die CSU-Bundestagsabgeordnete Daniela Raab. Es sei aber nicht Aufgabe der Politik, durch die Herabsenkung der Altersgrenze im Jugendstrafrecht zu reagieren, sondern die gesellschaftlichen Bedingungen müssten sich ändern. Die Juristin fährt fort: "Unsere Gesellschaft kümmert sich vermehrt zu wenig um unsere Kinder. Die Familien - früher eine feste Bezugsquelle und Halt - zerbrechen. Werte und Normen werden nicht mehr ausreichend vermittelt - es kommt zu einer Entfremdung und Verwahrlosung vieler Kindern die in Schulverweigerung, Jugendarbeitslosigkeit und letztendlich in Kriminalität enden. Eine Spirale, die früh zu drehen beginnt und von der Gesellschaft kaum noch abzufangen ist." Zu Recht liege die Strafmündigkeitsgrenze in Deutschland bei 14 Jahren. Obwohl die Kinder sich heute immer schneller und früher entwickelten, müssten aber Einsicht- und Steuerungsfähigkeit gegeben sein. Dies müsse in vielen Fällen überprüft werden und werfe immer wieder schwierige gutachterliche Fragen auf - nicht nur bei Kindern, sondern auch bei jungen Erwachsenen. Viele Gerichte neigten, so die CSU-Abgeordnete, in der Praxis dazu, bei Angeklagten zwischen 18 und 21 Jahren im Regelfall einen Reiferückstand allein aufgrund des Alters anzunehmen, was dann zu einer Anwendung des Jugendstrafrechts führe. Hier sei sie aber der Meinung, dass ein 18-Jähriger durchaus wie ein Erwachsener behandelt werden sollte und somit die eigentliche Gesetzesgrundlage, nämlich das allgemeine Strafrecht, als Regelfall und nicht als Ausnahme angewandt werden sollte. Demgegenüber habe sich die Grenzziehung der Strafmündigkeit bei 14 Jahren bisher bewährt.