Gläserne Abgeordnete - ein Vergleich zwischen Finnland und Deutschland
Schon seit Jahrzehnten gibt es - wie im Nachbarland Schweden - einen "Steuerkalender", der, mit Spannung erwartet, jeweils im November erscheint. Er informiert über die Höhe des Arbeitseinkommens, der Zins- und Dividendeneinnahmen und des Vermögens der Bürger. Der "Steuerkalender" - von dem es 18 lokale Ausgaben, darunter drei für den Großraum Helsinki für jeweils 7,90 Euro und zwei weitere für 14 und 24 Euro über die Aktiengesellschaften des Landes gibt - ist ein "Bestseller", obwohl der Verlag auf die Frage nach der Auflage nicht reagiert und wenige Finnen zugeben, ihn zu besitzen.
Natürlich verleitet diese Publikation auch dazu, sich über die Einkommensverhältnisse des Nachbarn zu informieren. Der Verlag Satamedia im südwestfinnischen Kleinstädtchen Kokemäki bietet einen zusätzlichen Service an: Für einen Euro pro Minute kann man telefonisch die gewünschten Informationen bekommen. Aus der Sicht des Staates hat das die positive Nebenwirkung, dass viele Bürger steuerehrlicher wurden, weil eine Relation zwischen Einkommen und Lebensstandard besteht. Eine Diskussion über die Nebeneinkünfte von Spitzenpolitikern und, wie in jüngster Zeit in Deutschland, die Forderung nach "gläsernen Abgeordneten" hat es dank Steuerkalender in Finnland nicht gegeben.
In regelmäßigen Abständen veröffentlichen Zeitungen zum Jahresende "Hitlisten" über die Reihenfolge der am besten verdienenden Bürger, die - wie in Deutschland eine Auflistung der Millionengehälter von Fußball- und Tennisstars - starkes Interesse finden.
In den 60er-Jahren, als analog zur weltweiten Ost-West-Konfrontation auch in Finnland linke und rechte Parteien sich stärker voneinander abgrenzten, war es amüsant, im "Steuerkalender" die Einkommensverhältnisse der Spitzenvertreter beider Richtungen zu entschlüsseln. Dabei ergab sich, dass nicht unbedingt die Konservativen mehr verdienten als die Sozialisten.
Heute stehen Sozialdemokraten und Konservative im Helsinkier Steuerkalender dicht nebeneinander. Der frühere sozialdemokratische Staatspräsident Mauno Koivisto hatte im vergangenen Jahr 156.300 Euro als Nettoeinkommen zu versteuern und gab 106.300 Euro als Vermögen an. Sein Nachfolger Martti Ahtisaari lag mit 167.700 beziehungsweise 117.900 Euro etwas höher. Der frühere Vorsitzende der konservativen Nationalen Sammlungspartei Harri Holkeri, 1987-1991 Ministerpräsident, bis in die jüngste Zeit UNO-Vermittler in Nordirland und im Kosovo, brachte es im Vorjahr auf ein zu versteuerndes Einkommen von 152.600 Euro und hatte Steuern auf 3.200 Euro Kapitalerträge zu zahlen. Spitzenreiter im aktuellen Helsinkier Steuerkatalog ist der Verleger von Finnlands bedeutendster Tageszeitung "Helsingin Sanomat" Aatos Erkko mit einem zu versteuernden Einkommen von 255.800 Euro und einer Kapitalertragssteuer auf einen Gesamtbetrag von 17.688200 Euro, was bei einem Vermögen von 176.322500 Euro nicht verwundert. Bescheiden nimmt sich das Vermögen des bekannten Industriellen Georg Ehrnrooth mit 1.296200 Euro aus, das "nur" zu Kapitalerträgen in Höhe von 72.000 Euro führte. Max Jacobson, Spitzendiplomat zur Zeit von Staatspräsident Urho Kekkonen, auch als 83Jähriger nach wie vor ein aktiver und geschätzter Autor, brachte es 2004 auf ein zu versteuerndes Einkommen von 156.500 Euro sowie 3.600 Euro Kapitalerträge und gab 173.100 Euro als Vermögen an.
Die Bürger neiden den Gutverdienenden ihren Wohlstand nicht, es mag in bestimmten Fällen eher als Nachteil betrachtet werden, dass der eigene Name in diesem speziellen "Who is Who" nicht vertreten ist, weil zumindest in Helsinki die Eintrittsschwelle mit 25.000 Euro höher liegt als in dünnbesiedelten Gebieten Mittel- und Nordfinnlands, wo bereits 12.000 Euro reichen. Der Verleger von "Veropörssi" sieht darin keinen Verstoß gegen die Gleichbehandlung der Bürger. Er hat für den Unterschied eine überzeugende Begründung: Der "Steuerkalender" für Helsinki würde zu umfangreich werden.
Staatspräsidentin Tarja Halonen taucht im "Steuerkalender" nicht auf. Nicht etwa, weil sie es vergessen hätte, eine Steuererklärung abzugeben. Das Staatsoberhaupt genießt das Sonderrecht, keine Steuern zahlen zu müssen. Ihre 262.000 Euro pro Jahr sind eine Einnahme, bei der brutto gleich netto ist. Frau Halonen steht an der Spitze eines Landes mit "gläsernen Abgeordneten". Die 200 Parlamentarier erhalten mindestens 4.970 Euro monatlich, von der vierten Legislaturperiode an 5.340 Euro. Reichstagspräsident Paavo Lipponen, acht Jahre lang Ministerpräsident, bekommt 8.830 Euro pro Monat. Die Abgeordnetendiäten sind voll zu versteuern. Im Großraum Helsinki erhalten die Abgeordneten eine steuerfreie Aufwandsentschädigung von 968 Euro; sie steigt mit dem Abstand der Entfernung von der Hauptstadt bis auf 1.775 Euro. In Finnland zahlen die Bürger bei einem Jahreseinkommen bis 11.700 Euro keine Steuern, in der Einkommensklasse bis 14.500 Euro lediglich elf Prozent, ab 55.800 Euro sind es 34 Prozent des zu versteuernden Einkommens. Die Abgeordneten sind mit mindestens 59.640 Euro pro Jahr in der höchsten Einkommensklasse. Da abhängig von der Region lokale Steuern bis über 20 Prozent hinzukommen, kann die Steuerbelastung bei sehr gut Verdienenden über 55 Prozent liegen. Im Vergleich zu Deutschland ist die Belastung durch Sozialversicherungsbeiträge wesentlich geringer.
Obwohl die Angabe von Nebeneinnahmen freiwillig ist, folgen - wie es offiziell heißt - "fast alle Abgeordneten dieser Empfehlung". Nach jüngsten Informationen der Organisationen "Transparency International Campact" und "Mehr Demokratie" gibt es dagegen gegenwärtig noch immer 255 von insgesamt 603 Abgeordneten des Deutschen Bundestags, die keinerlei Angaben über ihre Nebeneinkünfte machen.
Mit Gerhard Schröder, der als Regierungschef im Monat knapp 17.000 Euro verdient, kann sich sein Kollege Matti Vanhanen nicht vergleichen. Mit 9.587 Euro liegt er noch unter dem Salär der deutschen Bundesminister, denen 12.800 Euro zustehen. Das Monatsgehalt finnischer Minister beträgt 7.989 Euro.
In einem Punkt sind die Regelungen für finnische und deutsche Minister aber identisch: Sie erhalten für die Dauer ihrer Zugehörigkeit zum Kabinett zusätzlich nur die Hälfte ihrer Abgeordnetendiäten, die allerdings in Deutschland mit 7.009 Euro ebenfalls wesentlich höher sind als die der finnischen Kollegen.
Der Vergleich zwischen Finnland und Deutschland zeigt, dass die Finnen uns nicht nur bei PISA und bei der mit dem Namen Nokia verbundenen technologischen Entwicklung sowie bei der Erfüllung der Euro- Kriterien weit voraus sind. An ihrem Beispiel kann sich der Deutsche Bundestag auch orientieren, wenn es um mehr Transparenz bei Nebenbeschäftigungen von Volksvertretern geht.