Präsident Kwasniewskis Moskaureise in Polen umstritten
Tod und Begräbnis von Papst Johannes Paul II. hatten eine versöhnliche Wirkung auf die polnische Gesellschaft. Verfeindete Fussballclubs kündigten ein Ende der Fehden an, und Lech Walesa, Ex-Präsident und vormaliger Solidarnosc-Aktivist, reichte seinem langjährigem Intimfeind, dem Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski die Hand. Eine weit unversöhnlichere Wirkung hat dagegen eine anstehende Feierlichkeit schon im Vorfeld. Der polnische Staatspräsident Aleksander Kwasniewski ist wie viele andere Repräsentanten der Alliierten für den 9. Mai zu den Feierlichkeiten anlässlich des 60. Jahrestages des Kriegsendes in Moskau eingeladen worden.
Die Staatsoberhäupter Litauens und Estlands haben ihre Teilnahme an den Feierlichkeiten schon abgesagt, da diese für sie einer Legitimierung der Besetzung ihrer Staaten durch die Rote Armee gleichkäme. Die lettische Staatspräsidentin Veira Vike-Freiberga nimmt zwar am Festakt in der russischen Hauptstadt teil, hat aber eine Erklärung an die Europäische Union geschickt, dass mit dem 9. Mai 1945 für die Letten das Unrecht nicht beendet worden sei. Zwischen Polen und Russland stehen als belastendes Moment der Beziehungen nach wie vor der Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939, die Beschlüsse von Jalta 1945 sowie die Erschießung mehrerer tausend polnischer Offiziere 1940 durch den sowjetischen Geheimdienst. Vor der russischen Botschaft in Warschau standen am 13. April Angehörige der Katyn-Opfer und forderten die Anerkennung dieses Verbrechens als Völkermord. Sie erinnerten auch an einen Jahrestag; vor 15 Jahren gestand Gorbatschow ein, dass etwa 22.000 polnische Offiziere auf sowjetische Anordnung ermordet wurden, Boris Jelzin übergab sogar später Warschau das Befehlsdokument des NKWD-Chefs Lawrenti Berija. Eine weitere Akteneinsicht und das Zugeständnis, dass es sich bei der Erschießung um Völkermord handelt, wird durch Russland inzwischen jedoch verweigert. Die Tendenz der momentanen Putinschen Politik zu einem glorifizierenden Blick auf die sowjetische Vergangenheit steht der Benennung stalinistischer Verbrechen entgegen. Zudem will Russland nach den international frequentierten und beachteten Jahrestagen in der Normandie, Warschau und Auschwitz kaum zur Weltkriegs-Schlussfeierlichkeit als zweifelhafter Sieger dastehen - wenn auch die Staatsoberhäupter Weißrusslands, Turkmenistans und Nordkoreas geladen sind.
Aber auch den Bemühungen polnischer EU-Parlamentarier, die Tat von Katyn durch eine Schweigeminute im Straßburger Parlament zu ehren, wurde nicht stattgeben. Es gäbe viele Verbrechen, denen man gedenken könne, wurde vom Parlamentsvorsitz erklärt.
Vornehmlich konservative Politiker forderten deshalb ein Fernbleiben des Präsidenten bei den Moskauer Siegesfeiern. Lech Kaczynski, Präsident der Stadt Warschau mit Ambitionen auf das Staatspräsidentenamt, unterstellte dem ehemaligen Jugendminister der Volksrepublik, er habe eine Geheimakte in Moskau, die er während der Feierlichkeiten abholen wolle.
Für zusätzliches Ungemach sorgte Ende März die Nachricht von der Einladung General Wojciech Jaruzelskis nach Moskau. Offiziell ist er in seiner Eigenschaft als Veteran des Zweiten Weltkrieges geladen, der unter sowjetischem Befehl gekämpft hatte. In Polen wie auch international gilt er als offizieller Verantwortlicher für die Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981, als ein "Statthalter Moskaus", wie sich Zbigniew Brzezinski ausdrückt. Der in Polen hoch angesehene ehemalige US-Sicherheitsberater riet Kwasniewski, ohne Jaruzelski nach Moskau zu fahren.
Der polnische Präsident zeigte sich allerdings entschlossen, an seiner Teilnahme festzuhalten, auch mit Jaruzelski. Seine Anwesenheit sei er den Polen, die am Sieg über den Faschismus teilhatten, schuldig. Als Protestaktion kündigte er er etwas unklar an, am Tag vor den Feierlichkeiten in Moskau "den polnischen Helden nach unserem Verständis der Geschichte zu ehren".
Dass Polen "mit einer Stimme über Jalta", also über die sowjetische Besetzung Ostpolens, sprechen solle, wird schon seit langem gefordert.
Der liberale EU-Parlamentarier und Ex-Außenminister Bronislaw Geremek regte gemeinsam mit anderen polnischen Parlamentariern in einer Resolution im Straßburger Europaparlament an, über die Folgen von Jalta zu debattieren. Wadyslaw Frasyniuk, Ex-Dissident und Gründer der neuen Partei "Die Demokraten", will zum Jahrestag der Entstehung der polnischen Oppositionsbewegung Solidarnosc Anfang September 2005 ehemalige Bürgerrechtler aus osteuropäischen Ländern nach Warschau einladen.
Die Feierlichkeiten zu 25 Jahren Solidarnosc - die gewissermassen an den Anfang vom Ende der Jaltaschen Ordnung erinnern - erweisen sich in ihrer Symbolik als ebenfalls komplex: auch dort soll Aleksander Kwasniewski zugegen sein. Lech Walesa hat ihn nach der Versöhnung zwischen beiden Politikern eingeladen. Der Rest der Solidarnosc-Gewerkschaft will nicht mitziehen - für sie ist Kwasniewski eine Figur aus dem System, das dem Land von der Sowjetunion aufgezwungen wurde.