Neue Ziele für die Politik?
Daran misst Layard unter Einbezug natur- und sozialwissenschaftlicher Forschungsergebnisse die Gegenwart. Obwohl sich in den westlichen Industrieländern das reale Durchschnittseinkommen im vergangenen halben Jahrhundert verdoppelte, trotz technologischen Fortschritts, verbesserter Medizin, kürzerer Arbeitszeit, ausgedehnterer und häufigerer Urlaubsreisen, deutlich angestiegenen Wohnkomforts, resultierender höherer Lebenserwartung - Umfragen zufolge ist die Summe des "Glücks" keineswegs angestiegen.
Layard erklärt sich das mangelnde Wohlbefinden einer zunehmenden Zahl von Menschen mit dem Verlust des Gemeinschaftgefühls. Ein zum Egoismus übersteigerter Individualismus führe nicht zur Vermehrung des größtmöglichen Glücks. Wenn es allen besser gehe, entfalle durch den "Fahrstuhleffekt" die Voraussetzung für zunehmendes Glück; es setze ein Statuswettlauf ein.
Die daraus folgende Vergrößerung sozialer Ungleichheit mindere das Glück, da die meisten Menschen zu Solidarität neigen. Neben dem Mitgefühl für die wachsende Zahl der Ausgegrenzten löse die Wahrnehmung ansteigender Kriminalität Besorgnis aus. Sicherheit ist ein wichtiger Faktor für subjektives Wohlbefinden. Ansteigende Zahlen von Gewalt- oder Eigentumsdelikten - gerade von Jugendlichen nicht selten begangen, um beim Kampf um Statussymbole mithalten zu können - mindern aber das Gefühl von Sicherheit.
Layard sieht solche Entwicklungen nicht zuletzt durch das gewaltdominierte Fernsehen gefördert. Das Fernsehen hebe zudem die Standards, mit denen wir uns statusmäßig vergleichen. Da das TV vor schönen und unrealistisch häufig reichen Menschen nur so wimmelt, unterschätzten viele Zuschauer zufriedenheitsmindernd ihre eigene soziale Lage. Die Individualisierung, die sich unzer anderem im Zerfall von Familienstrukturen und der Zunahme von Ein-Personen- Haushalten äußert, trage weiter zur Glücksminderung bei. Layard: "In den USA ist die Scheidung (der Eltern, Anmerk. d. Autors) die wichtigste Ursache für Selbstmorde unter Jugendlichen."
Steigende Kriminalität und Individualisierung haben zur Folge, dass Vertrauen abnimmt. Dieses führe nicht nur zum Verlust von Zufriedenheit; er ist insofern auch ökonomisch negativ, da die gesamte Wirtschaft auf Vertrauen beruht. Der eigenen Berufsgruppe wirft Layard vor, sie sei außerstande, solche Effekte in wirtschaftswissenschaftliche Konzepte zu integrieren. Daher entginge ihr die subjektive Seite ökonomischer Entscheidungen. Betrachtet würden nicht die wahren Bedürfnisse von Menschen, sondern nur deren messbare Kaufkraft.
Beschäftigte arbeiten keineswegs nur für das Geld, das sie mit ihrer Arbeit verdienen, sondern auch für die Anerkennung, die sie mit ihrer Tätigkeit erlangen. Vor allem deswegen, nicht nur wegen des Einkommensverlustes, wirkt Arbeitslosigkeit so zerstörend auf die Betroffenen. Damit kritisiert Layard die dominierende Rolle, die die Wirtschaftswissenschaft in der Politikberatung einnimmt. "Wir brauchen nicht weniger als eine Revolution in der Wissenschaft: Alle Gesellschaftswissenschaften müssen zusammen dazu beitragen, das Glück zu untersuchen."
Layard unterbreitet Vorschläge für eine glücklichere Zukunft, die von der Politik als Zielsetzung verstanden werden müssten:
Die der Argumentation Layards zugrundeliegende utilitaristische Philosophie kann skeptisch bewertet werden, wird sie doch etwa in der Variante von Peter Singer zur Rechtfertigung von Euthanasie herangezogen. Mit dieser Einschränkung ist Richard Layard eine überzeugende (Selbst-)Kritik nationalökonomischen Selbstverständnisses und ein lesenswerter multidisziplinärer Beitrag zur Frage nach einem lebenswerten Leben und der dazu führenden Politik gelungen.
Richard Layard
Die glückliche Gesellschaft.
Warum wir ein neues Leitmotiv für Politik und Wirtschaft brauchen.
Campus-Verlag, Frankfurt /New York 2004; 324 S., 19,90 Euro