Baden-Württemberg: Oettinger zum Ministerpräsidenten gewählt
Der König ist tot, es lebe der König. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Derart schmerzhaft hat sich Günther Oettinger, immerhin seit Dezember nach seinem Sieg über Annette Schavan beim unionsinternen Mitgliedervotum als neuer Ministerpräsident designiert, seine Thronbesteigung wohl nicht vorgestellt. Sozusagen bis zur letzten Minute seiner Amtszeit ließ Erwin Teufel den ungeliebten Nachfolger demonstrativ Zorn und Bitterkeit wegen seines durch Oettingers Lager erzwungenen Abgangs spüren. Die 1.200 Gäste des zur Verabschiedung Teufels inszenierten Festakts waren perplex, als der 65-Jährige noch einmal eine Frontalattacke gegen den neuen Herrn der Villa Reitzenstein ritt: Er nehme seinen Rücktritt "nicht an von denen, die ihn angestoßen haben, denn sie sind mir bis heute jede Begründung schuldig geblieben", schleuderte Teufel in den Saal.
So lastet zum Start der neuen Regentschaft das Image des Königsmörders auf Oettinger, und diesen Ruf muss der 51-Jährige erst einmal abschütteln. Am besten ungerührt zur Tagesordnung übergehen, business as usual: Der Manager-Typ dürfte versuchen, cool aus dem Schatten der Vergangenheit zu treten und rasch eigene Duftnoten zu setzen. Seine Signale, anders als der bodenständige Teufel zügig auch auf der Berliner Bühne mitmischen zu wollen, markieren bereits eine Wende: Wer bundespolitisch und in den Medien auftritt, lässt heimisches Kleinklein schnell hinter sich.
In erster Linie werden sich Schwaben und Badener mit einem anderen Politikstil anfreunden müssen. Teufels solide Behäbigkeit wird einer quirligen Geschäftigkeit weichen, nicht umsonst zählt der Neue das einstige "Cleverle" Lothar Späth zu seinen Vorbildern und Freunden. Oettinger werde "sich eher am Stil von Lothar Späth orientieren", prognostiziert die Hohenheimer Kommunikationswissenschaftlerin Barbara Pfetsch. Und dazu gehöre eine verstärkte mediale Präsenz. Teufel zog es nur widerwillig in Talkshows, Oettinger wird bei einem Anruf Christiansens oder Maischbergers nicht "Nein" sagen.
Der verheiratete Protestant und Vater eines Sohnes, der gern Rockkonzerte besucht und bei Festen schon mal bis zum Schluss bleibt, passt vom eher urbanen Habitus her nicht unbedingt zu der katholisch-konservativ geprägten Südwest-CDU, deren Inkarnation geradezu idealtypisch "Landespater" Teufel war. Schnellredner Oettinger, ein ehemaliger Steueranwalt, kann als Musterbeispiel einer in den 70er- und 80er-Jahren in allen Parteien groß gewordenen Kaste technokratischer Polit-Manager gelten. Zeichnet sich diese Garde oft durch spezialisiertes Fachwissen aus, so agiert Oettinger indes als einer der rar gewordenen Allround-Politiker: Er kennt sich nicht nur im CDU-Landesverband, zu dessen Vorsitzendem er kommendes Wochenende gewählt wird, sondern auch in den Verästelungen der Landespolitik bestens aus. Seit 1991 hat Oettinger die Fraktion geführt, er beherrscht das Geschäft, das er nun eben mit mehr Machtfülle von der Regierungsbank aus betreibt.
Am politischen Kurs wird sich kaum etwas ändern. Zwar kündigte Oettinger an, Kindergartenbetreuung und Ganztagsschulen stärker zu fördern. An der wirtschaftsnahen Linie will er jedoch festhalten, häufig unterstreicht er sein Bekenntnis zur Atomenergie. Ausgebaut werden soll das Straßennetz. Oettingers Domäne ist die Wirtschafts- und Finanzpolitik, und das ist im "Ländle" von Gewicht: "Die Wirtschaft und die Schaffung von Arbeitsplätzen müssen im Vordergrund der Landespolitik stehen." Der DGB, dessen Beziehungen zu Teufel frostiger Natur waren, erhofft sich mehr Bereitschaft zum Dialog. Allerdings ärgert Oettinger die Gewerkschaften mit seiner Forderung nach längeren Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich oder nach Einschnitten bei der Steuerfreiheit von Schicht- und Nachtzuschlägen. Die rigide Law-and-order-Innenpolitik soll fortgeführt werden, auch soll die Polizei von Einsparungen im Etat ausgenommen werden. Was zum persönlich eher liberal-lässigen Stil nicht so recht passen will: Oettingers Plädoyer für Schuluniformen.
Auffallend ist, dass der Ministerpräsident den Grünen kurz vor seinem Amtsantritt erneut Avancen gemacht hat: Er schließe eine Koalition mit der Öko-Partei nach der Wahl 2006 nicht aus, "gerade in Baden-Württemberg haben wir grüne Mandatsträger, die pragmatischer als viele Grüne bundesweit sind". In der Tat gelten die Südwest-Grünen im innerparteilichen Spektrum als konservativ. Frisch in Erinnerung ist noch deren Hilfe bei der Stuttgarter OB-Wahl für CDU-Rathauschef Wolfgang Schuster. Solche Tändeleien muten erstaunlich an, schließlich regiert die Union mit der FDP. Oettinger aber bringt es fertig, bei einer Podiumsdiskussion betont freundschaftlich mit Jürgen Trittin zu plaudern und gleichzeitig für die Kernenergie einzutreten.
Oettinger gehört zur Generation von CDU-Politikern wie Christian Wulff, Roland Koch oder Peter Müller. Anders als diese Schwergewichte hat es der Schwabe jenseits der Landesgrenzen noch nicht zu Einfluss und Ruhm gebracht. Das soll sich nun ändern: "Die Präsenz von Baden-Württemberg in Berlin muss ausgebaut werden." Das unter Teufel an der Spree entstandene Vakuum will gefüllt werden. Oettingers Einsatz in der Hauptstadt wird freilich nicht nur Landesinteressen befördern. Unüberhörbar meldet er seit Monaten seine bundespolitischen Ambitionen speziell in Sachen Wirtschaft und Finanzen an. Erst einmal ist jedoch Kärrnerarbeit zu Hause angesagt.