Umbruch in Schleswig-Holstein
Nach neun Jahren Rot-Grün übernimmt in Schleswig-Holstein eine große Koalition das Ruder. CDU und SPD einigten sich am 16. April nach einem aufreibenden Poker um die Plätze im Kabinett auf ein Regierungsbündnis. Mit kräftigem Händedruck besiegelten die Landesvorsitzenden Peter Harry Carstensen (CDU) und Claus Möller (SPD) acht Wochen nach der Landtagswahl die große Koalition. Die SPD erhält vier Ministerien (Innen, Soziales, Bildung, Justiz), die CDU drei (Finanzen, Wirtschaft, Landwirtschaft).
Am 27. April - einen Monat vor der Wahl im letzten rot-grün regierten Bundesland Nordrhein-Westfalen - soll Carstensen zum Ministerpräsidenten und Nachfolger von Heide Simonis (SPD) gewählt werden. Simonis amtiert seit 1993. Damit würde die CDU erstmals seit 1988 wieder den Regierungschef stellen. Zuvor müssen Parteitage endgültig über die große Koalition entscheiden. Simonis war vor einem Monat mit der Neuauflage von Rot-Grün gescheitert.
"Zum Schluss wurde es schwierig", sagte Carstensen zum Ringen um die Kabinettsposten. "Die Koalitionsverhandlungen sind mit großer Verantwortung geführt worden." Er erwarte ein stabiles Bündnis, sagte Carstensen. "Jeder wird sein Gesicht wiederfinden, jeder wird sein Programm wiederfinden", meinte er. "Der Koalitionsvertrag ist auf Augenhöhe verhandelt worden", stimmte SPD-Landeschef Möller zu. Er sprach wie Carstensen von teils schwierigen, aber fairen Kompromissen.
Als Schwerpunkte nennt der Koalitionsvertrag Wirtschaft und Arbeit, Bildung, Verwaltungsmodernisierung, Sanierung des Haushaltes und Ausbau der norddeutschen Kooperation. Die Nettoneuverschuldung soll halbiert werden: Im Acht-Milliarden-Etat 2005 klafft eine Lücke von 1,5 Milliarden Euro, die Gesamtverschuldung beträgt 20 Milliarden.
Dennoch gibt es für die Schulen zusätzlich 150 Millionen Euro. Allerdings müssen die Beamten ab August 2006 eine Wochenstunde länger arbeiten; für Lehrer wäre dies eine halbe Unterrichtsstunde mehr. Das dreigliedrige Schulsystem wird auf Drängen der CDU nicht angetastet. Die von der SPD gewünschten Gemeinschaftsschulen können auf Antrag des Schulträgers aus bestehenden Schulen hervorgehen.
Der CDU-Haushaltsexperte im Bundestag, Dietrich Austermann, wird Wirtschafts- und Wissenschaftsminister, der bisherige Finanzminister Ralf Stegner (SPD) Innenminister. Um die Finanzen kümmert sich der CDU-Landtagsabgeordnete Rainer Wiegard. Als Vize-Regierungschefin wurde die alte und neue Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) benannt. Gitta Trauernicht (SPD) bleibt Sozialministerin; der bisherige Finanzstaatssekretär Uwe Döring (SPD) wird als Justizminister auch für Arbeit und Europa zuständig. Landwirtschaft und Umwelt übernimmt der ehemalige CDU-Europaabgeordnete Christian von Boetticher.
Die Kabinettsliste sei "ein Witz und hätte auch Harald Schmidt einfallen können", sagte FDP-Landeschef Jürgen Koppelin. Die Grünen beklagten Rückschritte im Umweltschutz. "Die große CDU/SPD-Mehrheit hat nicht den Mut wichtige Reformen anzupacken, sondern legt im Gegenteil in einer Reihe von Bereichen den Rückwärtsgang ein", meinte die Vorsitzende des SSW im Landtag, Anke Spoorendonk.
CDU und SPD hatten Koalitionsverhandlungen aufgenommen, nachdem die Wiederwahl von Simonis zur Ministerpräsidentin am 17. März spektakulär gescheitert war. Sie bekam in vier Wahlgängen keine Mehrheit, weil ihr jemand aus dem eigenen Lager die Stimme verweigerte. SPD und Grüne planten eine Minderheitsregierung, die der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) unterstützen wollte. Bei der Landtagswahl am 20. Februar hatten weder Rot-Grün noch CDU/FDP eine Mehrheit bekommen. Stärkste Fraktion ist die CDU mit 30 Sitzen, gefolgt von der SPD mit 29. FDP und Grüne haben je vier, der SSW zwei.