Ein selbsternannter Staatsfeind analysiert den Staat
Es mag ja sein, dass der Autor, wie sein Verlag ankündigt, den Ruf genießt, "Deutschlands profiliertester Führungsexperte" zu sein. Was so einer tut, kann man einem Porträt in der christlichen Publikation "chrismon" entnehmen: er haut deutschen Managern, die für acht gemeinsame Stunden mit Sprenger viel Geld springen lassen, Zitate und Argumente um die Ohren, "bis sie Cäsar und Kant nicht mehr auseinander halten können". Das ist sicher eine bemerkenswerte Fähigkeit.
Wenn Sprenger Bücher schreibt, verfährt er ähnlich. Mit flotten Zitaten und gewagten Sprachbildern hält er sich nicht gerade bescheiden zurück. Dass man sich damit in eine Phalanx jener einreiht, die modisch über den ökonomischen und psychischen Zustand Deutschlands lamentieren und natürlich reichlich Patentrezepte anpreisen, versteht sich fast von selbst.
Dennoch fällt dieser Autor aus dem Rahmen: einmal, weil er sich ganz unverblümt als Staatsfeind outet, ohne dass der Leser so recht dahinterkommt, was für ihn Staat eigentlich ist. Zum anderen, weil Sprenger eine weit überdurchschnittlich eindrucksvolle Sprachkraft zu Gebote steht, die man süffig nennen könnte. Beides dient zweifellos der Publicity und hilft, Geld in die Taschen des selbsternannten Staatsfeindes zu scheffeln.
Keine Frage, dass Sprenger weitverbreitetem Unmut seine Stimme leiht. Seine Kritik in Bausch und Bogen als Unsinn abzutun, wäre unredlich. Natürlich kann und darf man das Übermaß an Bürokratie beklagen, dass ein ganzes Land und seine Wirtschaft zu lähmen droht. Man kann sich sehr wohl daran reiben, dass Vater Staat sich allzu oft mit erhobenem Zeigefinger als Volkspädagoge gibt und dabei ganz profane Absichten hegt, nämlich seine Kassen zu füllen. Dass es um das Selbstvertrauen in Deutschland nicht zum besten steht, dass das Gefühl, für sich selbst verantwortlich zu sein, schwächelt, dass unsere Gesellschaft satt und bequem geworden ist und dass eine Subventionsmentalität um sich gegriffen hat - auch mit diesen Befunden Sprengers kann man sich seriös auseinandersetzen.
Aber Sprenger findet einfach zu viel und zu undifferenziert Gefallen daran, die verbale Keule zu schwingen - vornehmlich gegen den Staat, wobei er in aller Regel die Politik meint. Von Politikverdrossenheit zu sprechen, ist ihm offenkundig nicht knallig und provokant genug, davon reden schließlich viele. Sein Sendungsbewusstsein als Problemlöser verlangt nach mehr, nach Staatsverdrossenheit. Dass "Staatsfeind" Sprenger letztlich - angesichts seiner akademischen Vita wohl kaum unbewusst - anarchischen Lebensformen das Wort redet, scheint ihm egal zu sein.
Zwar deutet er an, dass ihm Staat recht ist, wenn er sich darauf beschränkt, die innere Ordnung und den äußeren Frieden zu regeln, aber ansonsten schwärmt der Autor für die Freiheit grenzenlos, und das verstimmt. Wer so massiv gegen den Staat als Ordnungsfaktor zu Felde zieht, der ist einfach in einer zivilisierten Gesellschaft, die der Ordnung des Staates bedarf, offenbar nie richtig angekommen. Um seine Staatsfeindschaft zu belegen ist ihm kein Argument zu platt: Von "Es gibt keine Lösung ohne Entmachtung des Staates" über "Der Staat löst nicht unsere gesellschaftlichen Probleme, er verursacht sie" bis zu dem Vorwurf, dass der Staat die Familie zerstört habe, weil unter anderem das "Regulativ der Liebe durch Gerechtigkeit ersetzt worden" sei.
Das klingt nicht nur hanebüchen, das ist es auch. Und immer dann, wenn man an einer bildhaften Formulierung Sprengers Freude zu empfinden beginnt, schweift er wieder in historische Untiefen von der Art ab, dass etwa das Vertrauen in das politische System derzeit so tief wie einst in der Weimarer Republik gesunken ist oder dass der monarchische Absolutheitsanspruch "Dem deutschen Volk", der über dem Reichstag prangt, Ausdruck dafür sei, dass der Staat einst für den Bürger da war. Und heute eben nicht mehr.
Autor Sprenger ist wohl gar kein Staatsfeind. Er stört sich an der Politik, der die Bürger dieses Staates ausgesetzt sind. Das ist sein gutes Recht. Und Anlass für eine jederzeit reizvolle Diskussion. Nur nicht auf der Basis, dass - wie Sprenger schwadroniert - Politik weder die Aufgabe habe, die Bürger zu verwöhnen noch zu aktivieren , "sondern in Ruhe zu lassen".
Ganz zum Schluss kommt Sprenger noch einmal auf sein dramatisches Bekenntnis, ein Staatsfeind zu sein, zu sprechen. Er zeigt sich erfreut und beeindruckt, dass dieser unser Staat ihm gestattet habe, solch ein Buch zu schreiben und zu veröffentlichen. Man möchte spöttelnd hinzufügen: Er erlaubt sogar, es zu lesen, nur zum Glück zwingt er einen nicht dazu.
Reinhard K. Sprenger
Der dressierte Bürger. Warum wir weniger Staat und mehr Selbstvertrauen brauchen.
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2005; 196 S., 19,90 Euro