Der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof zu Staat und Politik
Was muss der Staat regeln, was darf er seinen Bürgern zumuten, wo hat er sich nicht einzumischen? Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof vermittelt einen seriösen und lehrreichen staatsbürgerlichen Primärunterricht. Kirchhof, der heute ein Universitätsinstitut leitet, hat als Konservativer eine fest gefügte Vorstellung vom Staat, der sich auf kulturelle Werte, Traditionen und Religion gründet, der den Menschen Freiheitsrechte verschafft und selbst eine Hoheitsgewalt beansprucht.
Kirchhof kennt die verbreitete Geringschätzung, aber auch die hohen Erwartungen an den Staat als Sozialschutzsystem und als Friedensbewahrer. Trotz aller Handlungsschwächen, die er nüchtern, aber nicht klagend benennt, kommt er zu dem Schluss, dass es zum Staat keine Alternative gebe, sondern dass alle Kräfte gesammelt werden müssten, "um ihn zu erneuern und zu verbessern".
Manchmal benutzt er befremdliche Vokabeln, wenn er die Staatsbürger "Gewaltunterworfene", "Menschenrechtsberechtigte" oder "Freiheitsberechtigte" nennt, die "individualnützige Leistungen" vollbringen. Hier und da macht er auch eigenartige Vorschläge. So sollten Journalisten in Jahresbilanzen rückblickend verantworten, warum sie berichtet oder geschwiegen, gelobt oder getadelt haben. Oder einmal im Monat könnte in einem "Kultur-DAX" über die Leistungen ehrenamtlich Tätiger Rechenschaft abgelegt werden.
Das ist realitätsfern, zeugt aber vom ungebrochenen Vertrauen Kirchhofs in Institutionen. Das letzte Wort seiner Abhandlung heißt "Nachhaltigkeit" - auch daran glaubt er unerschütterlich, sogar in der Politik.
Paul Kirchhof
Der Staat - Eine Erneuerungsaufgabe.
Verlag Herder, Freiburg, 2005; 160 S., 8,90 Euro