Parlamentarische Gesellschaft - Bonner Stadtrat beschließt: Villa Dahm muss weg
Durch das Bonner Bundesviertel führt seit einiger Zeit ein "Weg der Demokratie". Er soll mit seinen Texttafeln das ehemalige (und zum Teil auch heutige) Regierungsviertel erschließen. Solch eine Tafel steht auch vor dem ehemaligen Sitz der Parlamentarischen Gesellschaft, der klassizistischen Villa Dahm. Hier ist dieses Bonner Kontrastbild vom Verlust der Vergangenheit und der Hoffnung auf die Zukunftsmusik einer wachsenden Kongress- und UNO-Stadt ebenfalls zu besichtigen. Dort ist zu lesen: "Die Dahlmannstraße stand für die Nähe von Medien und Politik in Bonn. Das Gelände wird Teil des Internationalen Kongress-Zentrums Bundeshaus Bonn (IKBB). Redaktionen namhafter Zeitungen, Magazine, Hörfunk- und Fernsehanstalten waren hier mit ihren Bonner Korrespondenten vertreten. Zum Teil in ehemaligen Wohnhäusern saßen mehrere Redaktionen Seite an Seite. Viele dieser Gebäude wurden mittlerweile abgerissen, so auch das Haus in der Nummer 18, in dem die Landesvertretung Niedersachsen bis 1992 und Sachsen-Anhalt bis 2000 ihren Sitz hatten."
Ebenfalls verschwunden ist das Nachbarhaus des WDR, in dem unter anderem Friedrich Nowottny und Ernst-Dieter Lueg ihren "Bericht aus Bonn" sendeten. Das war ein Hauptstadtstudio, ohne sich, anders als in Berlin, jemals vollmundig so zu nennen. An der anderen Ecke steht das Haus der Redaktion des "Spiegel" zum guten Teil leer. Aber im Parterre ist wenigstens der Bundeshaus-Friseur Münch eingezogen, bei dem man noch immer Annemarie Renger oder Horst Ehmke und Otto Graf Lambsdorff zufällig treffen kann.
Zurück zum Schild vor der Villa Dahm. Ein Satz darauf muss demnächst korrigiert werden: "Sie war bis 1999 Sitz der Parlamentarischen Gesellschaft und ist Teil des Weges der Demokratie." Das war sie tatsächlich, denn in der Rheinaue stehen drei Villen für die Bonner Erfolgsgeschichte der Demokratie: die Villa Hammerschmidt des Bundespräsidenten, das Palais Schaumburg des Bundeskanzlers und die Villa Dahm als Sitz des interfraktionellen Clubs der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft. Sie wird demnächst nicht mehr Teil des Weges der Demokratie sein können, weil der Rat der Stadt trotz des vorausgegangenen Protestes von Bürgern und des "Arbeitskreises zur Erhaltung des historischen Stadtgefüges", aber auch vieler ehemaliger und heutiger Bundestagsabgeordneter, deren Abriss beschlossen hat. Denn der Stadt als Auftraggeber und den jungen Münchner Architektinnen des Büros YES, Ruth Berkolt und Marion Wicher, fehlte die Phantasie, Altes und Neues in dem von allen erwünschten künftigen Kongress-Zentrum am Bundeshaus miteinander zu verbinden.
Einstimmig, sang- und klanglos wurde am 24. Mai der Abriss beschlossen. Die Bürger können sich zwar zu der nun öffentlichen Auslegung des Bebauungsplanes nochmals äußern, aber dies ändert nichts an der geschichtlich unsensiblen Entschlossenheit der Stadt. Zur Begründung heißt es: "Unter Berücksichtigung der hier verfolgten städtebaulichen Zielsetzung und dem hierfür benötigten Raum, unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit, aber auch dem des Einfügens eines solchen Gebäudes in eine moderne, anderen Zielsetzungen unterworfene Architektur ist ein Einfügen oder Erhalten nicht darstellbar." Merkwürdig ist die Begründung der Stadt, die Villa Dahm stelle ein "Relikt vorangegangener Epochen in diesem Bereich" dar: "Die Architektur der jungen Demokratie spiegelt sich im wesentlichen in den Gebäuden des Langen Eugen, den Bundestagsgebäuden mit der ehemaligen Pädagogischen Akademie sowie dem Neubau des Plenarsaales, den Abgeordnetenhäusern und nicht zuletzt durch den/das Kanzlerbungalow/-amt wider." Würde man dieser Logik folgen, wären auch die Villa Hammerschmidt und das Palais Schaumburg "Relikte vorangegangener Epochen". Hinweg auch mit ihnen?
Das Rheinische Amt für Denkmalpflege hat sich ebenfalls nicht mit Ruhm bedeckt. Während es in den 80er-Jahren noch den Plan des damaligen Oberbürgermeisters Hanns Daniels verhinderte, die Villa zugunsten einer "grünen Mitte" der Bundesrepublik zu opfern, schützen die Denkmalschützer die Villa nun nicht länger. Damals hatte es geheißen: "Das Bauwerk ist wegen der baukünstlerischen Qualität erhaltenswert. Die Erhaltung ist zudem wegen des stadtgeschichtlichen Zeugnischarakters sowie wegen der städtebaulichen Wirkung des von der Straße zurückgesetzten freistehenden Gebäudes geboten." Was für Hans Daniels galt, gilt für Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann nicht mehr. Begeistert sind die Denkmalschützer dennoch nicht: "Der Abbruch der Denkmäler Dahlmannstraße 5 - 7 (Parlamentarische Gesellschaft) und Görresstraße 28 (Pressebaracke) wird aus denkmalpflegerischer Sicht in Anbetracht der tatsächlichen Unvereinbarkeit des errechneten Flächenbedarfs für das IKBB mit den Erhaltungszielen des Denkmalschutzgesetzes in Würdigung des bisherigen Verfahrens hingenommen. Im Rahmen des Abbruchverfahrens für die Denkmäler ist der Umfang der zu leistenden Dokumentation zu konkretisieren."
Die schöne alte Villa teilt leider nicht das Schicksal der drei Appartement-Häuser der Abgeordneten zwischen Heussallee und Saemischstraße, wo man an manchem Klingelschild noch Namen von Abgeordneten findet, die längst nicht mehr hier wohnen, und des Zeitungskiosks gegenüber dem Bundesrat. Sie dürfen bleiben. Das Zeitungshäuschen wird jedoch womöglich verlegt. Gegenüber der historischen Bedeutung und der ästhetischen Wirkung der Villa Dahm ist deren Bedeutung für das historische Bewusstsein einer Stadt wie Bonn und eines Staates wie der Bundesrepublik keineswegs so groß. Heute wuchert eine Wiese vor der Villa Dahm, wo einst gepflegter Rasen war. Die Türschilder verweisen auf die "Willi-Daume-Stiftung unter Schirmherrschaft des Bundeskanzlers", den Deutschen Tennis-Rollstuhlverein, den Verband Deutscher Naturparke, das Deutsche Forum Kriminalprävention. Noch ist ungeklärt, was aus den erst beim Umbau in den 80er-Jahren gefundenen farbigen Deck-enmalereien mit Vögeln und Palmen wird oder der unter dem Putz des ehemaligen Hauptraumes Berlin verborgenen Deckenmalerei und anderen Schätzen des Hauses.
Eine ironische Pointe dieser Geschichte: Dem auf die Abrissbirne wartenden Denkmal soll künftig ein Denkmal gesetzt werden. Demnächst wird also ein einmaliges Zeugnis der Bonner Geschichte verschwinden. Hier wurden Geschichten zur Geschichte erlebt und erzählt, manches Gesetz ent- und verworfen, fanden viele Abgeordnete Lebenskultur in der Einsamkeit und Unwirtlichkeit des politischen Betriebes. Dafür stehen die Namen der Gründer: Karl Georg Pfleiderer, Gerhard Lütkens, Josef Ernst Fürst Fugger von Glött, Carlo Schmid, Kurt Georg Kiesinger, Otto Fürst Bismarck, Ernst Majonica, aber auch spätere Präsidenten wie Hedwig Meermann, Richard Stücklen, Burkhard Ritz, Otto Wulff, Reinhard Freiherr von Schorlemer und Elke Leonhard. Nicht zu vergessen die Bonner Geschäftsführerinnen dieses Clubs als Damen des Hauses: Elisabeth Gräfin Werthern und Ingrid von Hagen.
Verstehe Oberbürgermeisterin, Stadtrat und Landeskonservator, wer will. Bonn hätte das Kongress-Zentrum am Bundeshaus auch mit der Villa haben können, wenn der politische Wille und die Vorgabe für die Architekten vorhanden gewesen wären. So aber haben manche der Abgeordneten in Berlin den Eindruck, als wolle Bonn sich doch noch am Umzugsbeschluss "rächen" und Zeugnisse seiner Vergangenheit als Bundeshauptstadt vergessen und verdrängen. Dabei ist das Ansehen der Bundes- und deutschen UNO-Stadt unlösbar mit dieser Vergangenheit verbunden und Kapital für ihre Gegenwart und Zukunft. Einen Ausweg zur Rettung der Parlamentarischen Gesellschaft kann man der Stadt allerdings nicht wünschen. Nachdem der erste Investor des IKBB gescheitert war, will der neue, die US-Firma United Marketing Services GmbH aus Aachen, zwar mit dem Bau schon "unbedingt Anfang kommenden Jahres beginnen". Der Haken, wie Bernd Leyendecker (GA) über Stadtdirektor Arno Hübner berichtet: "Der Investor muss allerdings bis Ende Juni noch ein seriöses Finanzierungskonzept vorlegen." Demnach fehlt dieses noch.