Das deutsche System der Mitbestimmung im internationalen Vergleich
Als einer der Bundesbeauftragten für Auslandsinvestitionen trommelt der Vorsitzende des Lufthansa-Aufsichtsrats heftig für Good Old Germany - vor wenigen Wochen erst wieder in Detroit. Tolle Reformen gebe es hierzulande, schwärmte Weber, flexible Arbeitnehmer und bald auch sinkende Steuern. Mit einem Thema jedoch hatte es der Chefverkäufer Deutschlands schwer: "Die Präsenz von Gewerkschaften in den Aufsichtsräten", sagt Weber, "ist niemandem in Amerika zu vermitteln, und daran müssen wir auch etwas ändern."
Mit dieser Forderung steht der Lufthansa-Manager nicht allein. Nirgendwo sind Gewerkschaften und Betriebsräte so mächtig wie hierzulande, klagen die Wirtschaftsverbände. Ineffizient und teuer sei die deutsche Mitbestimmung, wettern sie, und obendrein ein Inves- titionshemmnis erster Güte. Alles Unsinn, halten Gewerkschafter und Sozialpolitiker dagegen: Kein Land der Welt biete Unternehmern einen derartigen sozialen Frieden. Die deutsche Teilhabe-Kultur werde von anderen sogar abgekupfert.
Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte. "Weder einzigartig noch ein Exportschlager" sei die deutsche Mitbestimmung, sagt Martin Höpner vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Der Kölner Wissenschaftler hat die Mitbestimmung in den Aufsichtsräten einerseits (Unternehmensmitbestimmung) und die Rechte der Betriebsräte andererseits (betriebliche Mitbestimmung) innerhalb der EU untersucht. Sein Ergebnis: Mitbestimmte Leitungsgremien sind keine deutsche Eigenart, bei der Mehrheit der EU-Länder werden Arbeitnehmervertreter in die Konzernspitze einbezogen.
Da Unternehmen von Land zu Land sehr unterschiedlich strukturiert sind, ist ein Vergleich der Mitbestimmungssysteme schwierig. So kennen nicht alle eine Doppelspitze mit Vorstand und Aufsichtsrat, häufig gibt es nur ein Leitungsgremium. Dort mitreden zu können, bedeutet eine gehörige Portion Einfluss auf das operative Geschäft für die Mitarbeiter, auch wenn es nur einige Wenige sind.
Zum Beispiel in Skandinavien: In Schweden entsenden die Gewerkschaften zwei Mitglieder mit vollem Stimmrecht in den Verwaltungsrat in Unternehmen mit mehr als 25 Beschäftigten. Bei mehr als 1.000 Mitarbeitern sind es sogar drei. Ähnliche Regeln finden sich in Norwegen und Finnland. In Dänemark stellen die Arbeitnehmervertreter sogar die Hälfte der Verwaltungsräte, allerdings existiert gleichzeitig ein Direktorium an der Unternehmensspitze. In den Niederlanden genießt der Betriebsrat gewissermaßen ein Vorschlagsrecht für ein Drittel der Mitglieder des Aufsichtsrats.
Wenig Einfluss haben dagegen die Arbeitnehmervertreter in Frankreich. Sie sitzen zwar im Verwaltungsrat mit am Tisch, sind aber keine ordentlichen Mitglieder und haben kein Stimmrecht.
Ganz anders Österreich: Ein Drittel der Aufsichtsratssitze wird dort von den Mitarbeitern besetzt, die eine per Gesetz exakt definierte Reihe zustimmungspflichtiger Geschäfte abnicken müssen.
Bemerkenswert ist auch die Entwicklung in den osteuropäischen EU-Ländern. Sie haben sich fast durchweg für das duale System aus Vorstand und Aufsichtsrat entschieden. Wie in Deutschland sind ein Drittel der Kontrolleure Arbeitnehmervertreter. Das gilt für Polen, die Tschechische Republik, die Slowakische Republik und Ungarn. Nur Slowenien hat sich weitergehend an Deutschland orientiert: In Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten werden die Aufsichtsräte paritätisch besetzt.
Wenn es um die betriebliche Mitbestimmung geht, fällt der Ländervergleich etwas anders aus. Das Ergebnis Höpners: Österreichische, niederländische, dänische und schwedische Arbeitnehmer können fast so viel mitreden wie deutsche Betriebsräte. In Belgien, Finnland, Frankreich, Norwegen und Griechenland ist die betriebliche Mitbestimmung "auf mittlerem Niveau". Schwach sind die Arbeitnehmervertreter in Großbritannien, Irland, Italien, Spanien und der Schweiz. Und: Lange Zeit war mit der Mitbestimmung an den jeweiligen Grenzen Schluss. Doch inzwischen dringt Brüssel auf eindeutige EU-Regeln, wenn Firmen aus verschiedenen Ländern fusionieren oder sich gegenseitig kaufen. Kein leichtes Unterfangen, denn die Interessen der Staaten sind sehr unterschiedlich. Länder mit wenig Mitbestimmung fürchten, dass sich eine zu arbeitnehmerfreundliche Lösung EU-weit ausbreiten könnte. Rot-Grün indes kann sich in Brüssel mit Rücksicht auf die Gewerkschaften nicht zu weit herunterhandeln lassen.
Die waren denn auch völlig empört, als Wirtschaftsminister Wolfgang Clement Ende vergangenen Jahres keine 100-Prozent-Lösung im deutschen Sinne für die geplante Fusionsrichtlinie durchsetzen konnte. Ungeklärt ist, welche Gesetze gelten, wenn zwei Unternehmen grenzüberschreitend fusionieren. Scheitern in einem solchen Fall die Verhandlungen von Unternehmensleitung und Arbeitnehmervertretern, könnten deutsche Mitarbeiter schon bald schlechter gestellt werden. Denn geplant ist Folgendes: Die paritätische Mitbestimmung bleibt nur erhalten, wenn mindestens 33 Prozent der Belegschaft aus Deutschland stammt - auch wenn die neue Europa AG ihren Sitz hierzulande hat. Die hiesigen Gewerkschafter hatten für einen Schwellenwert von 25 Prozent gekämpft - und mussten zurückstecken.
Ähnlich frustrierend für IG Metall und Co. endeten die Verhandlungen 1994 über den Euro-Betriebsrat. Der ist zwar inzwischen Pflicht für die Mehrzahl der Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern, die EU-weit operieren, aber er genießt lediglich Informationsrechte. Bayer etwa hat ein solches Gremium, oder auch Siemens und VW. Der Autokonzern aus Wolfsburg ist sogar noch einen Schritt weitergegangen. Dort haben Belegschaftsvertreter aus allen internationalen Standorten einen Weltbetriebsrat ins Leben gerufen. Ähnliche Pläne gibt es bei DaimlerChrysler.
Die Globalisierung von unten geht jedoch nur schleppend voran. Denn außerhalb der EU wird Mitbestimmung lange nicht so groß geschrieben. "In USA oder Japan gibt es sie eigentlich gar nicht", sagt Roland Köstler vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut in der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf. In diesen Ländern haben die Mitarbeiter keinen gesetzlichen Anspruch auf eine unabhängige Vertretung. Zwar machen sich hier und dort Gewerkschaften für Interessen der Belegschaft stark, dies funktioniert aber eben nur dort, wo genügend Mitglieder zusammenkommen.
Die unternehmerische Mitbestimmung sei außerhalb der EU ebenfalls so gut wie kein Thema, berichtet Köstler. Bei einem einjährigen Aufenthalt in Japan erlebte er Ähnliches wie Lufthansa-Manager Weber: Nämlich nur Kopfschütteln, wenn er berichtete, dass in Deutschland Arbeitnehmer in Spitzengremien sitzen. Köstler: "Denen ist unser System völlig unbegreiflich."
Michaela Hoffmann ist Parlamentskorrespondentin bei der
"Wirtschaftswoche".