Kohlebergbau gerät unter Druck
Die Saarländer scheinen Gefallen am Protestieren zu finden. Monatelang hauten Eltern und Jugendliche querfeldein im Land bei großen und kleinen Manifestationen gegen die Schließung fast eines Drittels der Grundschulen kräftig auf den Putz. Und nun machen ansonsten recht brave Hausbesitzer aus den Dörfern rund um die Kleinstadt Lebach mächtig Dampf. Die Bürger sind empört, weil sich mittlerweile zum Dauerzustand entwickelt hat, was im Winter noch als seltener Einzelfall galt: Regelmäßig bebt in diesem Landstrich über Kohlegruben die Erde, versetzt die Leute in Angst und Schrecken und richtet Schäden an Gebäuden an. Zu Hunderten demonstrieren die Betroffenen in Lebach für ein Ende der Kohleförderung unter bewohntem Gebiet, blockieren gelegentlich aufgebracht die Zufahrt zu einem Schacht oder fahren immer mal wieder in Autokorsos zu den Privatdomizilen von CDU-Ministerpräsident Peter Müller und Managern der Deutschen Steinkohle AG (DSK), um dem Protest Nachdruck zu verleihen und Säcke mit Kohle auszuschütten.
Über 20 Erderschütterungen wurden im Umfeld des Zechenstandorts Ensdorf bereits registriert, mehrere Male ermittelte die Erdbebenwarte Freiburg sogar Stärken von 3,5 auf der Richterskala. Zwar will die DSK mit der Sprengung von unterirdischen Sandsteinbänken, deren durch den Kohlevortrieb aufgebaute Spannung sich entlädt und so die Beben provoziert, das Problem in den Griff bekommen. Bislang hat diese Strategie aber nichts genutzt. Nach Erdstößen gehen bei der Polizei und beim Notruf bis zu 200 Anrufe ein. Jährlich zahlt die DSK in der Region Lebach und im Warndt bei Saarbrücken 17 Millionen Euro als Ausgleich für Schäden an Gebäuden.
Kein Zweifel: Die Eskalation rund um die Erdstöße setzt den Bergbau, der das Saarland über Jahrhunderte prägte, zusehends unter Druck. Mehrfach debattierte der Landtag über die geologischen und politischen Unruhen. Grüne und FDP fordern bereits einen schnellen Ausstieg aus der Kohle, die regierende CDU spricht von einem "Auslauf-Bergbau" - nur die SPD setzt noch auf eine Zukunft für das "Schwarze Gold".
Und nun droht über den Köpfen der Kumpel neues Unheil. In Düsseldorf werden nach dem Machtwechsel CDU und FDP die Kohlesubventionen schneller als bislang geplant zurückfahren. Diese Kehrtwende strahlt auch auf den Südwesten aus, ist doch im nationalen DSK-Verbund das Schicksal der beim Bergwerk Saar verbliebenen beiden Zechenstandorte Ensdorf und Warndt-Luisenthal eng mit dem Schicksal der Gruben an der Ruhr verbunden. Und sollten Union und FDP die Bundestagswahl gewinnen, dann werden die Karten gänzlich neu gemischt: In Berlin wollen beide Parteien die Zuschüsse des Bundes zügiger reduzieren als von SPD-Kanzler Gerhard Schröder geplant. Der nordrhein-westfälische FDP-Politiker Andreas Pinkwart kündigte für den Fall eines Wechsels auf Bundesebene schon mal Verhandlungen mit allen Beteiligten über ein Auslaufen der Kohlebeihilfen an.
Als Chef des RAG-Konzerns, unter dessen Fittiche die DSK mit ihren republikweit noch 35.000 Beschäftigten angesiedelt ist, malte Werner Müller zum Entsetzen der Saar-Kumpel schon mal ein Schreckensszenario an die Wand: Würden die Subventionen stärker als vereinbart gekürzt, dann seien im Zuge eines schnelleren Personalabbaus eine Zusammenlegung von Gruben und die Konzentration der Kohleförderung auf das Ruhrrevier denkbar - auch wenn der Standort Ensdorf, der an der Saar als einziger nach dem Aus für Warndt-Luisenthal Ende dieses Jahres übrig bleiben wird, eigentlich "eine gute Zeche mit Zukunft" sei. Bisher gibt es verbindliche Zuwendungsbescheide für 2006 bis 2008 in Höhe von 7,3 Milliarden Euro für die DSK-Gruben an Ruhr und Saar. Kanzler Schröder hat zudem weitere Kohlehilfen von 8,6 Milliarden Euro für 2009 bis 2012 zugesagt, was aber rechtlich noch nicht besiegelt ist.
Ohne ein genaues Datum zu nennen, plädiert Regierungschef Peter Müller dafür, ein regionales Auslauf-Szenario mit einem "konkreten Endzeitpunkt" für den Bergbau zu vereinbaren. Man erwarte, so das Wirtschaftsministerium, dass die Hälfte der so einzusparenden Kohlezuschüsse des Bundes stattdessen in die Förderung des heimischen Strukturwandels fließen werde. Für Klaus Meiser (CDU), Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Landtag, weckt der Machtwechsel in Düsseldorf jedenfalls Hoffnungen auf eine "neue Qualität der Kohlepolitik".
Angesichts der Menetekel am Horizont zeigt sich die Gewerkschaft alarmiert. Vor einem "Super-GAU" warnt Richard Henkes, Vize-Bezirksleiter der IG Bergbau an der Saar: Sollten die Kohlesubventionen stärker als vorgesehen gekürzt werden, dann werde es in den nächsten Jahren trotz aller offiziellen Erklärungen nicht beim sozialverträglichen Beschäftigungsabbau bleiben. Henkes: "Bei den Bergleuten und ihren Familien geht die Angst um". Im Saarland zählt die DSK als zentraler Wirtschaftsfaktor momentan noch 7.300 Mitarbeiter, zudem hängen 5.000 Arbeitsplätze in Kraftwerken und anderen Branchen an der Kohle.
Würden bei einem Sieg von Union und FDP im September in Berlin, Düsseldorf und Saarbrücken die Weichen in der Kohlepolitik tatsächlich neu gestellt, dann will die IG Bergbau zunächst in politischen Verhandlungen die Interessen der Kumpel vertreten, wie Henkes sagt. Aber für die Gewerkschaft dürfte es ein Leichtes sein, die Bergleute auch für Demonstrationen zu mobilisieren. Und wenn erst die Kumpel auf der Straße marschieren, dann wird die saarländische Lust am Protestieren zusätzlichen Auftrieb erhalten. Einen ersten Vorgeschmack gab es schon. Als in Saarlouis bei einer mit rund 1.000 Zuhörern überfüllten Podiumsdiskussion die von Erdstößen betroffenen Bürger aus dem Raum Lebach das Aus für die Kohleförderung verlangten, demonstrierten auch die Bergleute mit massiver Präsenz für ihre Arbeitsplätze.