Jürgen Mantheys gelungenes Königsberg-Buch
Wenige Städte wecken so freundliche und gleichzeitig so wehmütige Erinnerungen wie Königsberg. Viele Städte, einst groß und mächtig, sind untergegangen und kaum noch in der Erinnerung. Königsberg aber ist selbst den jüngeren Generationen in Deutschland ein Begriff; man verbindet mit ihm eine große geistesgeschichtliche Tradition, aber auch die Schrecken des Krieges und der völligen Vernichtung. Selbst der heutige Name "Kaliningrad" wirkt nicht mehr allzu fremd; man assoziiert damit ein Russland, das ein wenig europäischer wirkt als das eigentliche Land, zu dem die Stadt heute keine direkte Landverbindung mehr hat.
Dieser Tage begeht die Stadt ihr 750-jähriges Jubiläum; seit 60 Jahren gehört sie zu Russland. Zu den Feiern wurde auch Bundeskanzler Schröder eingeladen - eine große Geste der Versöhnung. Was er als Geburtstagsgeschenk mitbringt, war bis Redaktionsschluss nicht zu erfahren. Das schönste Geschenk von deutscher Seite haben aber zweifellos der Literaturwissenschaftler Jürgen Manthey und der Carl Hanser Verlag gemacht. Ihr wunderbares Buch über Königsberg - in diesem Fall ist ein solcher Superlativ durchaus angebracht - ist nicht nur eine Reverenz an eine große Vergangenheit, sondern es reiht die Stadt ein in die großen geistigen Zentren, die Europa geprägt haben und die in ihrer Unterschiedlichkeit doch ein einheitliches Ganzes verkörpern.
Denn die Stadt war, wie der Untertitel völlig zu recht sagt, eine "Weltbürgerrepublik". Manthey ruft die großen Geister dieser Stadt mit viel Wissen und großem Erzählertalent in Erinnerung: Immanuel Kant natürlich, der bekanntlich die Stadt nie verlassen hat und trotzdem in der ganzen (geistigen) Welt seiner Zeit zu Hause war; dessen Vorgänger und Antipode Johann Georg Hamann, von seinen Zeitgenossen als "Magus im Norden" gerühmt; Johann Gottfried Herder, später dann Kleist und E.T.A. Hoffmann.
Die streitbare Philosophin und Publizistin Hanna Arendt wurde zwar in Hannover geboren, hat aber ihre Kindheit und Jugend in Königsberg verbracht und sich noch viele Jahre später, in der neuen Heimat Amerika, mit Wehmut dieser Jahre erinnert. Sie berichtet von einem weltoffenen und toleranten Bürgertum, in dem sich ihre jüdische Familie vollkommen heimisch fühlte.
Der Autor spiegelt die Geschichte der soliden Kaufmanns- und preußischen Krönungsstadt immer wieder in den Lebensläufen dieser Geistesgrößen und umgekehrt deren Werk und Alltag als Ausdruck freistädtischen - man möchte sagen: großstädtischen - Lebens. Und Königsberg war dann doch wieder auch eine durch und durch preußische Stadt: Im Jahre 1701 war sie Schauplatz der (selbstherrlichen) Königskrönung, nach der Niederlage gegen Napoleon beherbergte sie Hof und Regierung des gedemütigten Staates, von hier gingen die ersten Pläne zum Widerstand aus.
1945 sank das alte Königsberg in Schutt und Asche; das "deutsche" Kapitel ist endgültig abgeschlossen. Daran lässt auch Manthey nicht den geringsten Zweifel. Er lässt eine Stadt auferstehen, die zum geistigen und kulturellen Erbe Europas gehört, ja dieses wesentlich mitgeprägt hat.
Jürgen Manthey
Königsberg.
Geschichte einer Weltbürgerrepublik.
Carl Hanser Verlag, München 2005; 736 S., 29,90 Euro