Nordrhein-Westfalen: Das neue Kabinett steht
Bundesweit prominente Politikernamen finden sich auf der Kabinettsliste nicht. Dafür kennen alle Minister das Land und kommen aus der Praxis. Bis auf Rüttgers und Christa Thoben hat niemand Regierungserfahrung. Ähnlich wie früher Johannes Rau (SPD) hat Rüttgers bei der Zusammensetzung seines Kabinetts darauf geachtet, die parteipolitischen Kräfte im Land einzubinden.
Überraschung löste die Ernennung der Bielefelder Schulrätin Barbara Sommer zur Schulministerin aus. Sie ist ein Neuling auf der politischen Bühne. Von ihr ist nur bekannt, dass sie 56 Jahre alt ist, fünf Kinder groß gezogen hat und mit dem IHK-Präsidenten von Bielefeld verheiratet ist. Seit 1997 arbeitet die Grundschullehrerin als Schulamtsdirektorin in Gütersloh. Rüttgers verteilte an seine neue Schulministerin Vorschusslorbeeren. Sie habe "Biss", als ehemalige Lehrerin, Schulrätin und Mutter wisse sie genau, was sich an den Schulen ändern müsse, betonte er.
Die CDU-Politikerin trägt im neuen Kabinett die Verantwortung für die schwierige Korrektur der Schulpolitik. Dazu gehören die Einschulung mit dem fünften Lebensjahr, Englisch ab Klasse eins, Noten ab der 2. Klasse, die Auflösung der Schulbezirksgrenzen und vor allem die Einstellung von 4.000 zusätzlichen Lehrern bis 2010.
Unerwartet kommt auch die Berufung von Roswitha Müller-Piepenkötter zur Justizministerin. Die 55 Jahre alte Richterin am Oberlandesgericht Düsseldorf war bisher auch Vorsitzende des Richterbundes in NRW. In dieser Position hat sie die Justizpolitik der rot-grünen Landesregierung kritisiert. Roswitha Müller-Piepenkötter ist verheiratet und hat zwei Kinder.
In der Kabinettshierarchie steht an erster Stelle FDP-Landeschef Andreas Pinkwart als stellvertretender Ministerpräsident und Ressortchef für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technokratie. Der 44-jährige haushaltspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion aus dem Rhein-Sieg-Kreis hat sich auf Drängen von Parteifreunden für Düsseldorf entschieden. Jetzt muss der beurlaubte Wirtschaftswissenschaftler der Uni Siegen Wissenschaft in die Praxis umsetzen. Zu seinem Aufgaben gehört auch, die geplanten Studiengebühren durchzusetzen.
Das Innenministerium übernimmt der bisherige FDP-Fraktionschef Ingo Wolf. Der Ex-Oberkreisdirektor von Euskirchen soll den Abbau von Bürokratie vorantreiben und sich um die Reform der Polizei kümmern. Der 50-jährige Volljurist geht als Verlierer ins Kabinett. Ursprünglich wollte er Vizepremier werden, unterlag jedoch im innerparteilichen Machtkampf mit Pinkwart. Wenig erfreut dürfte er auch darüber sein, dass Rüttgers ihm den CDU-Mann Manfred Palmen als Parlamentarischen Staatssekretär zur Seite stellt. Er wird sich um die Verwaltungsstrukturreform kümmern. In diesem Bereich hat die FDP andere Vorstellungen als die CDU.
Nach dem Machtwechsel werden auch die Ressortzuschnitte verändert, um den im Wahlkampf angekündigten Richtungswechsel zu demonstrieren. Das frühere Superministerium für Wirtschaft und Arbeit wird getrennt. Neue Ministerin für Wirtschaft, Mittelstand und Energie wird Christa Thoben. Die wirtschaftserfahrene Politikerin aus dem Ruhrgebiet hatte 1999 vergeblich versucht, in Konkurrenz zu Helmut Linssen und Rüttgers NRW-CDU-Chefin zu werden. Die 63-jährige Wattenscheiderin kennt als langjährige Hauptgeschäftsführerin der IHK Münster die Probleme gerade kleinerer Firmen. Sie war drei Jahre Staatssekretärin im Bundesbauministerium von Klaus Töpfer und kurze Zeit Kultursenatorin in Berlin.
Das schwierige Amt des Finanzministers übernimmt Helmut Linssen. Der gelernte Außenhandelskaufmann, studierte Ökonom und heutige Gesellschafter eines großen Futtermittelbetriebes am Niederrhein muss im Herbst ein Sparpaket von 2,2 Milliarden Euro vorlegen. Linssen war vor Rüttgers neun Jahre lang Chef der CDU-Fraktion im Landtag und bei der Landtagswahl 1995 Spitzenkandidat gegen Ministerpräsident Johannes Rau. 1999 verlor er gegen Jürgen Rüttgers den Kampf um die NRW-Spitzenkandidatur in NRW. Seit 2000 war er Landtagsvizepräsident.
Der Bundestagsabgeordnete Karl-Josef Laumann wird Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die Berufung des 48-jährigen sollte ein Zeichen für die soziale Ausrichtung der Landespolitik setzen. Der Münsterländer ist ausgebildeter Maschinenschlosser und Vater von drei Kindern. Er wird daran gemessen werden, ob es ihm gelingt, die Arbeitslosigkeit von über einer Million Menschen abzubauen. Ihm traut man zu, eine moderne Art Norbert Blüm zu werden.
Ungewöhnlich wirkt die Berufung des Aachener Europaabgeordneten Armin Laschet zum Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration. Mit der in Deutschland erstmaligen Einrichtung eines Generationenministeriums trägt Rüttgers der Tatsache Rechnung, dass der Anteil der Älteren immer größer wird. Dass der 44-jährige Jurist und Journalist auch für Frauen zuständig ist, mutet eigenartig an, macht im Zusammenhang mit den anderen Zuständigkeitsbereichen als Querschnittsressort durchaus Sinn. Nach dem SPD-Politiker Friedhelm Farthmann ist er der zweite Mann, der für Frauenfragen zuständig sein wird.
Verwunderung hat auch die Berufung von Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, dem bisherigen Stadtdirektor und Kulturdezerntenten der Landeshauptstadt Düsseldorf, zum Chef der Staatskanzlei und gleichzeitig zum Staatssekretär für Kultur ausgelöst. Offensichtlich will Rüttgers damit deutlich machen, dass Kultur künftig Chefsache ist. Andere fürchten allerdings, dass die Kultur zu kurz kommen wird.
Minister für Bundes- und Europafragen wird der 39- jährige CDU-Bezirksvorsitzende Mittelrhein Michael Breuer; der frühere Gelsenkirchener Oberbürgermeister Oliver Wittke wird Minister für Bau und Verkehr. Der 57-jährige gelernte Landwirt Eckhard Uhlenberg übernimmt das Umweltministerium. Regierungssprecher und Medienstaatssekretär wird Thomas Kemper (53). Zum neuen Fraktionschef wählten die 89 CDU-Abgeordneten den bisherigen Parlamentarischen Geschäftsführer Helmut Stahl. Am 13. Juli will Rüttgers seine Regierungserklärung abgeben.