Schüler helfen Straßenkindern
Es ist kein Geheimnis: Steinbrücke will Geld verdienen, am liebsten viel Geld. Insofern ist das Projekt keine übliche Schülerfirma. Hier geht es weder um Kaninchenzüchten noch um die Sammlung von Spenden für die nächste Klassenfahrt. Auf Messen und bei Großhändlern kaufen eine Gruppe von Schülern und zwei Lehrer der Berliner Waldorfschule im Märkischen Viertel Edelsteine, Mineralien und Schmuck, um sie dann auf Schulfesten, bei Sonderaktionen, auf Messen oder in Läden zu handelsüblichen Preisen wieder zu verkaufen. Die Firma ist beim Gewerbeamt, beim Finanzamt und bei der Industrie und Handelskammer angemeldet. Da alle ehrenamtlich arbeiten, erzielen sie eine unüblich hohe Gewinnspanne - im Jahr kommen rund 5.000 Euro zusammen. Seit 1996 betreiben sie ihr lukratives Geschäft. Das Geld wird an Projekte gespendet, die für Straßenkinder in der Dritten Welt arbeiten.
Auch die Gewichtszahlen sprechen für sich. "Eine Tonne Rosenquarz haben wir gerade geliefert bekommen", weist der Sozialkundelehrer Michael Benner auf übereinander gestapelte Jutesäcke im Lager. Zwischen den bunt gekennzeichneten Fächern voller Edelsteine glitzern außerdem riesige Amethystdrusen dunkellila. Eine besonders pfiffige Verkaufsidee von Steinbrücke ist der Mietkaufvertrag, eine Art Leasing, bei dem der Käufer 33 Monate lang drei Prozent des Preises zahlt. Der Kunde kann den Stein jederzeit zurückgeben und damit den Vertrag beenden.
Der Erfolg drückt sich nicht zuletzt durch viele Auszeichnungen aus. Im vergangenen Mai bekam Steinbrücke einen Sonderpreis in Höhe von 250 Euro durch die Stiftung Brandenburger Tor, davor eine Urkunde des Bundespräsidenten Johannes Rau unter dem Motto "Jugend übernimmt Verantwortung". Im Jahr 2003 punkteten die "steinreichen" Schüler sogar zweimal jeweils mit 2.000 Euro: Sie bekamen den 2. Platz beim bundesweiten Wettbewerb "Jugend hilft" und den Sonderpreis der Industrie- und Handelskammer Berlin und des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller e.V. "Schule und Betrieb - Begegnungen von zwei Welten".
So einfach das Prinzip der Firma, so hoch die Motivation der Schüler. Quer im gesamten Oberstufenplan der Waldorfschule gibt es montags eine freie Stunde. Wer will, kann in der Zeit bei Steinbrücke mitmachen. Konkret heißt das: Jede Woche 45 Minuten Sitzung mit straffer Tagesordnung - und unzählige Stunden ehrenamtliche Arbeit. Schüler entdecken, dass sie selber etwas bewegen können - ohne Staat, ohne Regierung, allerdings mit viel Fleiß und Geschick.
Zur Zeit moderiert Elisa-Maria Haag die wöchentlichen Treffen. Sie ist die "Monatschefin" und tut es im Schnelltempo. "Bitte zurück zum Thema", fordert sie auf, sobald das Gespräch abzuschweifen droht. Auf ihrer langen Besprechungsliste steht unter anderem die Einarbeitung der Neuankömmlinge, die Verkaufsaktion nach den Sommerferien, das Treffen mit dem madagassischen Botschafter, eine Einladung zur Preisverleihung.
"Theo, hast du die Rechnung vom letzten Mal fertig?", fragt sie. Ihr Gegenüber winkt ab - sie verzieht den Mund. Das Signal reicht, Theo verspricht sofort: "Ich schreibe sie noch schnell." Nur ab und zu greift die Werklehrerin Elke Jendrzejweski ins Gespräch ein. Wie in einem Lehrbuch für basisdemokratische Personalführung verteilen die jüngeren Anwesenden die freiwilligen Aufgaben. Sie nennen sie "Nebenjobs" und haben die ganze Verantwortung dafür.
Der Zehntklässler Theo Wolf hat in den letzten Wochen die Webseite von Steinbrücke aktualisiert: "Ich habe die 31 Presseartikel, die schon über uns geschrieben worden sind, ins Netz gestellt. Pro Artikel habe ich drei bis vier Stunden gebraucht." Seine ganze Freizeit dafür einzusetzen, scheint ihm selbstverständlich. Allerdings weiß er genau, was er von seinem Ehrenamt hat. "Ich sammle Erfahrungswerte in einer echten Firma. Sicher kann ich das später gebrauchen." Neulich habe er einen Brief an den Geschäftsführer vom KaDeWe geschrieben. "Dabei außerdem noch Straßenkindern zu helfen - das ist auf jeden Fall ein gutes Gefühl", betont er.
Für Elisa-Maria steht die soziale Motivation im Vordergrund. Die 16-Jährige mit Ohrringen aus Muscheln und indischem Hemd spricht schnell, so als hätte sie keine Sekunde Zeit zu verlieren: "Ich fand die Idee von Steinbrücke genial. Man arbeitet und sieht den Erfolg für die Kinder direkt. Mir geht es finanziell gut, und ich bin froh an einer solchen Schule zu sein. Also kann ich ruhig etwas tun, um den anderen helfen."
Jährlich spendet Steinbrücke 3.000 Euro an eine madagassische Organisation, Zaza Faly, die Straßenkindern hilft und ausbildet. Wie der Rest vom Gewinn verteilt wird, entscheiden die Schüler selbst einmal im Jahr auf einer sogenannten Spaghetti-Sitzung. Wer will, kann ein zu förderndes Projekt vorschlagen. Dies gibt oft Anlass zu langen Diskussionen über die Nachhaltigkeit der Entwicklungshilfe. "Man braucht viel Überzeugungskraft, wenn man eine Idee durchsetzen will", berichtet Elisa-Maria. Bei der letzten Spaghetti-Sitzung hat sie ein brasilianisches Projekt für HIV-Kinder vorgestellt. Bei der Vorstellung sei sogar die Projektleiterin aus Sao Paolo dabei gewesen. Im Gespräch wandten einige der Schüler ein, es sei "Luxus", Geld für Spielzeuge und Feste zu spenden. Sie wollten lieber "echt armen Kindern" helfen. Elisa-Maria glaubt trotzdem immer noch an ihr Projekt: "Was für uns hier wenig bedeutet, ist dort viel Geld. So können wir mit dem Gewinn von Steinbrücke eine Menge bewirken", erklärt sie mit leuchtenden Augen. Aber sie freut sie sich auch auf das Extra-Zeugnis, das sie im Portfolio am Ende der Schulzeit für ihr Engagement erhalten wird.