ADAC und Versicherungen im Visier des Untersuchungsausschusses
Während unten im Saal die Ausschussmitglieder konzentriert und wahlkämpfend versuchten, Licht ins Dunkel der Visa-Affäre zu bringen, konnte einer, obwohl zentrale Figur der Affäre, ganz entspannt den Zeugenvernehmungen folgen: Heinz Martin Kübler, Gründer der Reiseschutz-AG und nach eigenen Angaben Vertreiber von ungefähr 120.000 Reiseschutzpässen. Erst Mitte Juni war der Prozess gegen den wegen Beihilfe zur Schleusung in mehreren hundert Fällen angeklagten Versicherungsverteter gegen Zahlung einer Geldbuße von 120.000 Euro eingestellt worden. Für den Visa-Untersuchungsausschuss war das jedoch kein Grund, sich nicht mehr mit den Reiseschutzversicherungen und Reiseschutzpässen zu beschäftigen. Schließlich entpuppten sie sich im Laufe der Affäre als entscheidendes Instrument zur Visa-Erschleichung.
Am vergangenen Donnerstag bat der Ausschuss deshalb zunächst den Präsidenten des ADAC in den Zeugenstand. Der Automobilclub hatte 1995 die ersten Reiseschutzpässe, die so genannten Carnets de Touriste (CdT), auf dem Markt etabliert. Peter Meyer erläuterte, warum: "Der Verband verfolgte damit keine wirtschaftlichen, sondern eher altruistische Ziele. Es ging darum, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Reisemöglichkeiten von Mitgliedern der Partnerverbände in Osteuropa zu verbessern." Durch die Versicherung eventueller Kosten für Krankheit oder Abschiebung sollten solche Reisen erleichtert werden. Laut Meyer war die Einführung des CdT sowohl vom Auswärtigen Amt (AA) als auch vom Bundesinnenministerium der Kohl-Regierung "gewünscht". Deshalb habe es Gespräche mit den Behörden gegeben, in denen die Modalitäten festgelegt worden seien. So habe die Regierung darauf bestanden, ein offizielles Dokument mit Schutzmerkmalen zu schaffen. Die Produktion der CdT in der Bundesdruckerei und eine "Vorprüfung" der Antragsteller sollten Missbrauch verhindern.
Heute ist zwar klar, dass sich dieser Wunsch nicht erfüllte. Über die Ursachen dafür scheiden sich nach wie vor die Geister von Opposition und Regierungskoalition. Fest dürfte mittlerweile lediglich stehen, dass nicht das CdT als solches Schuld hat, sondern seine Anwendung im hierzulande in der Vergangenheit praktizierten Visa-Verfahren. Und da wird es knifflich. Union und FDP sehen in einem Erlass des AA vom Oktober 1999 einen Hauptgrund. Darin wurden die Botschaften in Osteuropa angewiesen, bei Vorlage des CdT auf eine weitere Prüfung der Finanzierbarkeit der Reise und Rückkehrbereitschaft der Antragsteller zu verzichten - so die Interpretation der Opposition, die hierin ein Einfallstor für Visa-Missbrauch und massenhafte Menschenschleusungen entdeckte. Rot-Grün sieht das anders. In dem Erlass stehe keinesfalls, dass das CdT von weiteren Überprüfungen entbinde, betonte der Grünen-Obmann Jerzy Montag während der Sitzung noch einmal. Auf dasselbe Argument beruft sich auch die Opposition, um einen Erlass der Kohl-Regierung zu verteidigen, der der SPD als Argumentationshilfe dient. Schon Mitte der 90er-Jahre habe das AA unter Außenminister Klaus Kinkel (FDP) einen fast ähnlich lautenden Erlass verfasst. Die Vorwürfe der Union, Rot-Grün habe durch eine ideologisierte Visa-Politik Menschenschleusungen begünstigt, seien deshalb absurd, meinen SPD und Grüne.
Für Peter Meyer ist das Carnet de Touriste des ADAC noch immer "ein gutes Instrument", das für den Missbrauch ursächlich nicht verantwortlich sei. Der ADAC könne dafür nicht in die Plicht genommen werden, so Meyer: "Er war weder Herausgeber noch Verkäufer des CdT, sondern hatte nur eine Vermittlerfunktion." Vertrieben wurde das CdT laut Meyer von dem Weltverband der Automobilclubs, der Alliance Internationale de Tourisme (AIT). Die AIT als Dachorganisation hätte auch die Regularien bestimmt, nach denen die einzelnen Länderklubs das CdT ausgegeben haben. Dazu habe die Prüfung von Reisezweck und Finanzierbarkeit durch ein persönliches Gespräch gehört. Wegen dieser Auflagen sei das ADAC-CdT grundsätzlich zu verteidigen. "Bei uns war immer klar, wer der Inhaber eines CdT ist", begründete Meyer seine Haltung. Erst mit der Zulassung der Reiseschutzpässe, zum Beispiel von Küblers Reiseschutz-AG, hätte sich die Situation verändert: "Der Markt wurde stark verlagert von einem reglemetierten Verfahren der AIT hin zu einem kommerziellen Verfahren", sagte Meyer. Seit der Einführung des CdT vermittelte der ADAC nach Angaben Meyers 350.000 dieser Dokumente, davon 100.000 allein in der Ukraine. Nach dem Auftritt der Reiseschutz-AG habe es jedoch einen Einbruch gegeben. Während im Jahr 2001 noch 56.000 CdT "abgewickelt" worden seien, sank die Zahl ein Jahr darauf auf 73.000, bis sie schließlich im Jahr 2004 auf nur 6.000 zusammenschrumpfte.
Im Mai 2001 hatte das AA die Botschaften angewiesen, die Reiseschutzpässe der Kübler-Firma im Visa-Verfahren zu akzeptieren. An dieser Stelle trat nun der zweite Zeuge des Tages auf den Plan: Hartwig Meyer, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Allianz AG. Gleich zu Beginn seiner Vernehmung nahm er das Versicherungsunternehmen aus der Schusslinie: "Für mich ist ganz zentral: Es gab keinen Allianz-Reiseschutzpass." Zu dieser Vermutung könnte man kommen, da Heinz Kübler bis 2002 für die Allianz-Gesellschaft tätig war, aber nicht als "Mitarbeiter", bemühte sich Meyer eilig zu betonen, sondern als Vertreter. In dieser Funktion war er immerhin "ein aus unserer Sicht erfolgreicher Geschäftspartner", so Meyer weiter. Sogar Auszeichnen habe Kübler erhalten. Die Allianz habe mit den Machenschaften der Reiseschutz-AG aber nichts zu tun, versicherte Meyer. Die Versicherung habe dem Unternehmen lediglich die Kranken- und Haftpflichtversicherung "zur Verfügung gestellt". Es habe sich um ein "Versicherungsgeschäft wie viele andere gehandelt". Im Übrigen habe zu der Zeit kein Grund zu Zweifeln bestanden, schließlich sei es ja ein Projekt gewesen, das vom Bundesinnenministerium promotet worden sei, verteidigte sich Hartwig Meyer.
Erst als die Allianz im Herbst 2002 von Hausdurchsuchungen und infolgedessen von den kriminellen Aktivitäten der Firma erfuhr, habe sie alle Verträge mit Kübler gekündigt. Im übrigen kenne er Kübler persönlich nicht, worauf sich der Ausschuss-Vorsitzende Hans-Peter Uhl (CSU) die Bemerkung nicht verkneifen konnte, dass sich dies schnell ändern lasse. Heinz Kübler lächelte von der Pressetribüne herab.
Während der Zuschauer jedoch sicher ist, wie viele Pässe er verkauft hat, versetzte die Frage den Zeugen in Schwierigkeiten: "Wir wissen nicht, wie viele Reiseschutzdokumente Kübler vertrieben hat." Mit der Allianz habe er 57.000 abgerechnet. Jedoch hätte die Allianz weder die Namen der Versicherten gekannt, noch Angaben zu deren Aufenthaltsdauer besessen. Der SPD-Abgeordnete Sebastian Edaty fand es "ungewöhnlich", dass bei einer solchen Zahl kein einziger Schadensfall gemeldet wurde. Meyer konnte das aber auf Nachfrage des Politkers nicht erklären. Die Union fand diese Frage unzulässig und protestierte.
Nun warten alle auf den 8. Juli: den Auftritt von Bundesinnenminister Otto Schily.