Die Zentrale der Staatssicherheit als Museum in der Berliner Normannenstraße
Stasi raus!" rufen am Abend des 15. Januar 1990 mehrere 1.000 Demonstranten. Vor der Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Berlin-Lichtenberg spielen sich chaotische Zustände ab. Das Gelände des verhassten Geheimdienstes wird gestürmt. Türen werden aufgetreten, Parolen an die Wand geschrieben, Bilder zertrümmert, Akten fliegen durch die Luft. Bis heute ist nicht geklärt, ob die Erstürmung ein - durch wen auch immer - geplanter Vorgang war, um unauffällig Spitzelberichte und Namensdateien verschwinden zu lassen. Tatsache aber ist, dass gerade die wichtigen Gebäudeteile, wie das Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und die für Spionage zuständige Hauptverwaltung für Spionage nicht in Mitleidenschaft gezogen wurden.
Bürgerrechtler und Mitglieder der Bürgerkomitees besetzen die Stasi-Zentrale. Eine Woche später entscheidet der "Zentrale Runde Tisch", an diesem Ort eine Gedenkstätte zu errichten. Zu diesen Initiativen der ersten Stunde gehört die "Antistalinistische Aktion Berlin-Normannenstraße (ASTAK) e.V.", die sich seit nunmehr 15 Jahren in herausragender Weise um die Stasi-Zentrale kümmert. Der Verein ist aus den DDR-Bürgerbewegungen gewachsen, im Vorstand sitzen ehemalige politische Häftlinge.
"Forschungs- und Gedenkstätte Berlin-Normannenstraße", verkündet das Plexiglasschild dem Besucher. Hier, im riesigen Gebäudekarree des MfS, wo 15.000 von zuletzt mehr als 91.000 hauptamtlichen Mitarbeitern ihrem Verfolgungshandwerk nachgingen, ist das Leben mit dem Auszug von Stasi-Chef Erich Mielke keineswegs erloschen. Heute residieren in der einst hermetisch abgeriegelten Zwingburg von rund 40 Häusern das Lichtenberger Congress Center, die Deutsche Bahn AG, daneben die Sparda Bank, die Gaststätte "Feldherrenhügel", das Bezirksamt Lichtenberg, die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen und im Zentrum des Geländes: das Haus Nummer 1. Seit 1990 wird das ehemalige Hauptgebäude der MfS-Zentrale als Museum genutzt. Zu den bedeutenden und gleichzeitig kuriosen Hinterlassenschaften gehört das dritte Stockwerk - der im Originalzustand belassene Arbeitsbereich von Erich Mielke, als zweitmächtigster Mann der DDR hinter Erich Honecker von seinen Offizieren jovial auch Erich der Zweite genannt.
Von besonderem Charme ist Mielkes Büroeinrichtung. Zum Beispiel die versteckten Stahlschränke und die altertümliche Telefonanlage auf dem kolossalen Arbeitstisch des Stasichefs, von dem aus die Bespitzelung des Arbeiter- und Bauernstaates kommandiert wurde. Im Nebenzimmer: eine Pritsche für sein Mittagsschläfchen. Die Einrichtung wirkt im Original noch kümmerlicher als auf den bekannten Fotos, besonders im eigentlichen Büro des Staatssicherheitsministers: der Schreibtisch mit abgenutztem Furnier, dahinter eine braune Kunststoffcouch und Mielkes blauer Ohrensessel. "Das war Mielkes Arbeitszimmer", kommentiert der Geschäftsführer der Forschungs- und Gedenkstätte Jörg Drieselmann und ergänzt lakonisch: "Was uns als Verletzung des guten Geschmacks erscheint, dieses leicht in die Augen stechende blau, kombiniert mit einem roten Teppich, ist für DDR-Funktionäre der Normalfall gewesen. Die fanden das unheimlich toll: rot und blau."
Drieselmann wurde 1974 wegen "staatsfeindlicher Hetze", wie es im Sprachgebrauch der Stasi hieß, zu vier Jahren Gefängnis in der DDR verurteilt. Von der Bundesrepublik zwei Jahre später freigekauft, danach ein Publizistikstudium in West-Berlin, arbeitet der 49-Jährige seit 1992 für die ASTAK: "Für die Mielke-Mitarbeiter gab es auf dieser dritten Etage eine eigene Teeküche. DDR-Bürgern in Design und Farbgebung vertraut. Das heißt, die sattsam bekannten hellblauen Fliesen an den Wänden, die normale DDR-Einbauküche, so wie es halt war. Hier hat er mal 'ne Stulle geschmiert oder ein Glas Kamillentee bekommen." Offensichtlich waren Mielke & Co in der Lage, Macht auszuüben, ohne ein ausschweifend-luxuriöses Leben zu demonstrieren. Doch das gehört eher zu den banalen Einsichten, die beim Gang durch die bunten Konferenzräume entstehen.
Weit über 600.000 Besucher haben die Räumlichkeiten seit 1990 besichtigt. Woche für Woche kommen Schulklassen und Touristen aus aller Welt, Bundeswehrsoldaten und Politiker. Es gibt Anfragen aus aller Welt, etwa aus Südamerika, wie man mit dem Erbe des Verfolgungsapparates umgegangen sei. Die kritische Auseinandersetzung mit dem politischen System der DDR gehöre dabei ebenso zu den Museumszielen wie der Versuch, das Gebäude so authentisch wie möglich zu belassen, sagt Drieselmann. Form und Inhalt der DDR sollen angemessen dargestellt werden und nicht durch eine moderne, virtuelle Museumstechnik als ästhetisierende Erlebniswelt präsentiert werden.
Dabei gibt es Makabres und Obskures zu sehen, das vom Machtwahn einer vergangenen Epoche erzählt. Zu den Arbeitsräumen Mielkes gehörte auch ein kleines Vorzimmer, in dem sein persönlicher Fahrer auf Abruf bereit saß. Für die Besucher hat man hier ein Radio aufgestellt, interessant deshalb, weil die Mitarbeiter des MfS verpflichtet waren, auf ihren Rundfunkgeräten jene Sender zu markieren, die zu hören erlaubt waren. Einige Zimmer weiter haben die ASTAK-Mitarbeiter eine kleine Ausstellung eingerichtet. Thema: Observierungstechnik außerhalb der ministeriellen Stasi-Wände.
Der Verfolgungswahn der Staatssicherheit war ebenso absurd wie gigantisch. "In keiner Stasi-Dienststelle", versichert Drieselmann, "hat man moderne Bürotechnik gefunden, also Typenradmaschine, Schreibcomputer". Der Hintergrund: Die Abhörspezialisten des MfS gingen davon aus, dass elektronische Schreibtechnik abhörbar sei. Um zu verhindern, dass ein sogenannter imperialistischer Geheimdienst den Schreibcomputer von Mielkes persönlicher Sekretärin "anzapfen" konnte, durfte nur alte Schreibtechnik verwendet werden. Theoretisch hätte ja die Gefahr bestanden, anhand der benutzten Karbonfarbbänder jene Texte zu rekonstruieren, die geschrieben wurden. Folglich wäre für ihre Vernichtung ein ungeheurer Verwaltungsaufwand notwendig gewesen. Und das schien selbst der weitverzweigten Stasi-Bürokratie zu umständlich.
Aber wird in den Ausstellungsräumlichkeiten den Besuchern nicht die Banalität des Bösen präsentiert? "Es kommt kaum jemand, der sagt: ,Mensch guck' mal, das ist Mielkes Schreibtisch gewesen, toll!", entgegnet Drieselmann, "sondern es ist das Gefühl, in Räumen sein zu können, die über Jahrzehnte unzugänglich waren. Das ist das Geheimste des Geheimen gewesen. Von hier aus sind die Fäden gesponnen worden, jeden einzelnen DDR-Bürger an der Strippe zu halten. Hier sind die Entscheidungen gefallen. Dies war ein Machtzentrum der DDR. Und nun plötzlich kann man hier herumstolpern. Das Haus ist ein Symbol für die 1989/90 stattgefundene Wende: Wer heute noch Macht hat, dessen Arbeitsräume können morgen schon Ausstellung sein."
Gleichwohl hatte die Macht der Staatssicherheit ihr Fundament auch in einer vermeintlich unpolitischen Alltagssphäre. Ohne die Mitarbeit hunderttausender DDR-Bürger, ohne das Nebeneinander von Bespitzeln, Dulden und stummer Distanzierung hätte sich die Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstrasse nie zu einem furchtbaren undurchsichtigen Machtzentrum entwickeln können.
In den zwölf Jahren des Bestehens haben die ASTAK-Mitarbeiter einen stattlichen Fundus an einschlägigen Objekten zusammengetragen: Im ersten Stock befinden sich Observierungsgerätschaften wie Kameras in Friedhofsgießkannen oder Kleingarten-Vogelhäuschen. Die ausgestellte "operative Technik" ist Teil der Ausstellung "Unterdrückung, Aufbegehren, Selbstfreiung". Zu sehen sind erschütternde Verfolgungsschicksale, aber auch der Mut von Bürgerrechtlern und deren Sieg über die SED-Herrschaft im Herbst 1989 - ergänzt durch Wechselausstellungen über Stasi-Kitsch, Chiffrierwesen des MfS, die Rolle der Volkspolizei beim Aufstand vom 17. Juni 1953 oder die Hetzjagd auf Zeugen Yehovas. Vor einigen Jahren hat man eine kleine Mediathek eröffnet, außerdem gibt es eine Sammlung von MfS-Unterlagen und andere Archivalien.
Ganz zu Beginn ihrer Arbeit verfügten die ASTAK-Mitglieder nur über Enthusiasmus und Engagement, aber kein Geld. 1991 bekam man für zwei Jahre 13 ABM-Stellen. Heute finanziert sich die Forschungs- und Gedenkstätte über Projektmittel des Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und zu 20 Prozent über Eigenmittel. Davon bezahlt der Verein seine sechs Angestellten, seine wissenschaftlichen Honorarreferenten und Museumsführer, die Forschungs-, Ausstellungs- und Betriebskosten. Aber wie lange geht das noch?
Schon mehrfach gab es Versuche durch den Berliner Senat und die Bundesregierung, ein neues Konzept für die Normannenstraße auszuarbeiten und die einstige Mielke-Zentrale als nationalen Erinnerungsort unter Bundesobhut zu stellen. Trotz der finanziellen Krise in Deutschland habe man keine Angst davor, dass die Forschungs- und Gedenkstätte platt gemacht werden könnte, meint Drieselmann selbstbewusst und fügt hinzu: Vielmehr könne man aus der Beschäftigung mit der DDR lernen, wie Macht sich organisiert und erhält.
Internet: www.stasimuseum.de