Die Präsidentschaftswahlen im Visier der französischen Innenpolitik
Sarko ist mitten im Spiel. Die Flammennächte, die Frankreich wochenlang in Atem halten, haben zwei Gesichter. Da sind brennende Autos, Kindergärten und Geschäfte, zwischen deren Feuerschein junge Leute aus den Vorstadt-Ghettos mit Steinen und Benzinflaschen herumlichtern. Aber da ist eben auch überall Nicolas Sarkozy zu sichten, den Gegner bissig und Anhänger kumpelhaft Sarko nennen: Der Innenminister, TV-Kameras stets im Schlepptau, stärkt Polizisten bei deren Einsatz in der aufrührerischen Banlieue den Rücken, plaudert mit Feuerwehrleuten, klopft attackierten Busfahrern auf die Schulter.
Konkret bewirkt Sarkozy bei seinen Touren nichts, weder das Abfackeln von Fahrzeugen noch das Zertrümmern von Bussen verhindert er. Doch darum geht es nicht: Sarkozy will sich als Hardliner an der Front präsentieren, der durchgreift und dem "Abschaum", dem "Lumpenpack", die Stirn bietet. In den Vorstädten ist er verhasst, doch bei vielen Franzosen kommt er mit einer martialischen Null-Toleranz-Attitüde an.
Die inszenierten Bilder vom Sheriff, der sich anders als die elitär-abgehobene Klasse im Umfeld der Champs Elysées mutig ins Getümmel stürzt, sollen haften bleiben. Der ehrgeizige Sarkozy instrumentalisierte den Aufstand in der Banlieue als Bühne für ein viel größeres Spiel: für den Kampf um die Präsidentschaft 2007.
Trotz der Verlängerung der Notstandsgesetze bis Mitte Februar wurden die Unruhen offiziell für beendet erklärt - wobei im ganzen Land weiterhin jede Nacht bis zu hundert Autos lodern, was sozusagen als normaler Standard gilt. Indes haben die Flammennächte die Innenpolitik langfristig gründlich durcheinandergewirbelt: Präsident Jacques Chirac gerät zusehends an den Rand des Geschehens, Sarkozy punktet im konservativen Erbfolgekrieg gegen Premier Dominique de Villepin, die Sozialisten sehen sich in der Defensive, und im Hintergrund dräut als Gespenst der Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen.
Über Jahrzehnte war die französische Politik vom klassischen Rechts-Links-Schema geprägt, doch seit geraumer Zeit herrschen Unberechenbarkeit und Unwägbarkeit. Bei der Präsidentschaftswahl 2002 schaffte es Le Pen sensationell in die zweite Runde, was Konservative und Linke in einen gemeinsamen republikanischen Abwehrkampf zwang. Bei den Regionalwahlen 2004 fegten die Sozialisten die Regierungsparteien bis auf das Elsass aus sämtlichen Provinzkabinetten, doch wussten die Sieger mit diesem eigentlich epochalen Triumph kaum etwas anzufangen.
Das deutliche Nein bei der Volksabstimmung über die EU-Verfassung im Mai desavouierte die Spitzen des konservativen wie sozialistischen Lagers, ein Schock, der bis heute nicht aufgearbeitet ist. Und nun auch noch die Explosion in den Vorstädten, die eine schwärende Wunde der Gesellschaft offengelegt hat.
Niemand vermag überzeugende Pespektiven für die Lösung der vielfältigen Krisen im Innern anzubieten. Bereits die Niederlage beim EU-Referendum im Rück-en, hat Chirac während der Unruhen schon eineinhalb Jahre vor dem Ende seiner Amtszeit Anflüge einer "lame duck", einer "lahmen Ente", erkennen lassen. Erst zwei Wochen nach Ausbruch der Revolte wandte sich der Präsident ans Volk, wobei er in erster Linie den Eindruck von Ratlosigkeit vermittelte. Mehr als die Schaffung eines Zivildiensts mit 5.0000 Plätzen hatte er als Idee zur Bekämpfung der Vorstadt-Misere nicht parat.
Chirac selbst hatte vor zehn Jahren die Überwindung der sozialen Spaltung propagiert, die sich seither jedoch weiter verstärkt hat. Unerfüllt blieb auch das 2002 angesichts des Vormarschs von Le Pen vom Staatschef gemachte Versprechen, für mehr "Sicherheit" in Frankreich zu sorgen: Die seit Jahren in der Banlieue verfolgte Strategie rigider Repression hat sich jedenfalls als wenig tauglich erwiesen.
Hat nun der Innenminister das Zeug, die vor allem in den Vorstädten drängenden Probleme in den Griff zu bekommen? Außer Härte vermag der Innenminister nicht viel zu offerieren. Zwar unterstützen die meisten Franzosen in den Umfragen diese Politik des Durchgreifens, doch andererseits schätzt die Mehrheit Premier de Villepin im Vergleich zu Sarkozy als vertrauenswürdiger und sympathischer ein. Der staatsmännisch-umgängliche Regierungschef, der sich von Sarkozys Haudrauf-Image distanziert, steht indes im Ruf, als Ziehsohn Chiracs dessen als gescheitert empfundene Politik fortsetzen zu wollen.
Die linke Opposition bietet keine Alternative, auch wenn sie beim letzten Parteitag Geschlossenheit demonstrierte. Kein Wunder: Auch während ihrer Regierungszeit breitete sich die Malaise in den Ghettos der Banlieue aus. Laut Umfragen traut die Bevölkerung den Sozialisten nicht sonderlich viel politische Kompetenz zu.
So scheint sich für die Präsidentschaftswahl 2007 erneut eine bei den Franzosen mittlerweile beliebte Denkzettelwahl abzuzeichnen. Wer der Profiteur eines solch übellaunigen Protestvotums wäre, ist offen. In solchen Situationen verspüren Demagogen vom Schlage Le Pens Aufwind. Der Führer der Nationalen Front wird letztlich nicht als Sieger aus diesem Rennen hervorgehen, das ist wohl sicher. Aber vielleicht gelingt Le Pen erneut der Sprung in die Stichwahl, was auch international eine peinliche Sache wäre - das muss nicht so kommen, aber es kann so passieren.