Ein Plädoyer für eine ökosoziale Marktwirtschaft
Das Buch von Huschmand Sabet heißt im Unter-Untertitel "Report an die Global Marshall Plan Initiative". Der Marshall-Plan hat nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges erheblich zum Wiederaufbau Europas, insbesondere zum "Wirtschaftswunder" im Westen Deutschlands beigetragen. Der globale Marshall-Plan will eine "Welt in Balance". Diese erfordere eine bessere Gestaltung der Globalisierung und der weltökonomischen Prozesse, eine weltweite "ökosoziale Marktwirtschaft".
Es geht den Initiatoren um einen besseren Ordnungsrahmen für die kapitalistische Weltwirtschaft, dazu um eine nachhaltige Entwicklung, um die Überwindung der Armut, den Schutz der Umwelt, um soziale Gerechtigkeit - letztlich um nichts weniger als um ein Weltwirtschaftswunder. Multidisziplinär angelegt, befördert Sabets "Report" den Diskurs zur Globalisierung über Wissenschaftsgrenzen hinweg. Dass viele verschiedene Sichtweisen aufgegriffen werden, bedeutet andererseits aber Angreifbarkeit in vielen Einzelaspekten.
Im Fokus des Buches steht der weltweite Mittelstand, den Sabet, selbst mittelständischer Unternehmer, als größtes Opfer der real existierenden Globalisierung sieht. Für Letztere ist ihm keine Vokabel kräftig genug - es handelt sich um "Turbo-Kapitalismus" oder, bezogen auf Hedge-Fonds, um "Heuschrecken- Kapitalismus" im Sinne Franz Münteferings. Solche Vokabeln werden mit Beispielen aus der Welt des Großkapitals unterfüttert, wobei die Folgen für die Armen der Welt - sowohl Länder als auch Individuen - drastisch dargestellt werden.
Weniger überzeugend ist die behauptete "Paria-Rolle", der Zusammenbruch des weltweiten Mittelstandes. Dessen "Vernichtung" bringe Nachteile mit sich, die aus der kommunistischen Ära bekannt seien. "Das unternehmerische Potenzial wird so gut wie abgeschafft. Die Vorstände der Großunternehmen sorgen, wie (...) Funktionäre im Kommunismus, für die Lenkung der wirtschaftlichen Geschehnisse. Wie in der Planwirtschaft sind sie auf spekulative Erfolge angewiesen."
Zum "Weltmittelstand" gehören Sabet zufolge "nicht nur der im deutschsprachigen Raum so bezeichnete gewerbliche Mittelstand, sondern gleichermaßen auch Postboten und Bäckergesellen, Minister, Richter, Lehrer und viele mehr. Sie sind derzeit die größten Verlierer der Weltwirtschaft."
Abgesehen davon, dass täglich Zehntausende Hungertote wohl eher dieses zweifelhafte Attribut verdienen, unterlegt Sabet diese Behauptung ausschließlich mit Beispielen aus der deutschen gewerblichen Wirtschaft, während die angesprochenen Dienstleistungsmittelschichten nicht weiter behandelt werden. Wie die deutsche mittelständische Wirtschaft unter der Abhängigkeit von transnationalen Konzernen leide, wird an vielen Beispielen illustriert. Die Kritik richtet sich gegen private Großbanken, die lukratives Investmentbanking bezahlbaren Krediten an den Mittelstand vorzögen, gegen die Politik, die der Erpressung der Multis nichts entgegensetze oder gegen die Strategien, mit denen Großkonzerne sich der Steuerpflicht entzögen.
Nachvollziehbar setzt sich Sabet mit der deutschen Justiz auseinander. Jahrelange Prozesse brächten Mittelständler um die Durchsetzung ihres Rechts gegenüber milliardenschweren Konzernen, weil diese den Rechtsweg so lange ausschöpften, bis der Mittelständler finanziell ausgeblutet aufgebe.
Aber liegt der Mittelstand tatsächlich bereits so am Boden? Was der Autor offenbar neben der anhaltenden gesamtwirtschaftlichen Bedeutung mittelständischer Unternehmen in Deutschland übersieht, ist beispielsweise das Wachstum der Mittelschichten in Schwellenländern. So rücken etwa in Indien jährlich etwa 30 Millionen Menschen in die Mittelschicht auf.
Dieses Buch ist auch wegen solcher Widersprüche provokativ. Etwa für Theologen, weil die Rede von Gott mit den Niederungen des Gelderwerbs in Verbindung gebracht wird. Dies leistet der Autor im Zusammenhang mit einer globalen Wertedebatte indes sehr lesenswert und weitgehend überzeugend. Sein Hauptanliegen auch gegenüber den "Superreichen" ist "Mäßigung".
Provokant ist das Buch weiter
- für Ökologen, weil Umweltgefährdungen durch Wachstum kleingeschrieben werden;
- für Neoliberale, weil Sabet die Grundannahme ihrer reinen Lehre angreift;
- für Sozialethiker, weil der "faire Handel" oder der Kampf gegen Kinderarbeit in Zweifel gezogen werden.
Sprachpuristen schließlich kommen bei der Lektüre ins Stocken, weil das Lektorat überbordende "Gleichnisse", die nicht immer dem besseren Textverstehen dienen, ebenso zugelassen hat wie eine sehr eigenwillige Interpunktion.
Huschmand Sabet
Globale Maßlosigkeit. Der (un)aufhaltsame Zusammenbruch des weltweiten Mittelstandes.
Patmos-Verlag, Düsseldorf 2005; 224 S., 14,90 Euro