Ein ZDF-Moderator informiert über die Praxis geldgieriger Finanzhaie
Veröffentlichungen, die sich kritisch mit Fehlentwicklungen der globalisierten kapitalistischen Wirtschaft auseinander setzen, haben zurzeit Konjunktur. Stammten die Analysen zunächst meist von "linken" Autoren, so kommen jetzt verstärkt auch Publikationen aus dem bürgerlichen Lager.
Michael Opoczynski arbeitet seit vielen Jahren als Moderator der ZDF-Sendung WISO, die jeden Montagabend ausgestrahlt wird. Obwohl er kein Buch "gegen Unternehmer, aber auch nicht gegen Manager" schreiben wollte, so ist seine Bilanz dessen, was sich gegenwärtig in den Chefetagen vieler Konzerne, bei Bankern, Unternehmensberatern und Juristen abspielt, eine brisante Abrechnung.
Da menschliche Arbeit infolge der technologischen Errungenschaften ständig an Wert verliert und sich große Gewinne nur noch über den Einsatz von sehr viel Kapital erzielen lassen, versuchen skrupellose Firmeninhaber, zumeist Großbetriebe und internationale Konzerne, ohne Rücksicht auf das Allgemeinwohl Kasse zu machen. Mit einem erheblichen Maß krimineller Energie werden durch so genannte Raider unterbewertete Unternehmen aufgekauft und zerlegt, die Filetstücke dann zu erhöhten Preisen verkauft und die Belegschaften an die Luft gesetzt.
Private-Equity-Firmen treten als Kapitalgeber auf, erwerben Geschäftsanteile einer Unternehmung an der Börse und veräußern die Anteile, sobald der Kurs gestiegen ist. Erzielt werden Renditen von 15 bis 25 Prozent. 2003 und 2004, rechnet Opoczynski vor, haben solche Firmen allein in Deutschland Firmenanteile von mehr als 35 Milliarden Euro erworben und über das Schicksal von 400.000 Menschen bestimmt.
Den "Blutsaugern" und "Aasgeiern", so der Autor, geht es ausschließlich um schnelle Gewinne und niemals langfristig um die Schaffung volkswirtschaftlicher Werte. Gnadenlos abgezockt und ausgebeutet werden Mitarbeiter ebenso wie Kunden, Staat, Steuerzahler und Anleger. Wird Insolvenz angemeldet, haben die Manager rechtzeitig Verträge abgeschlossen, die ihnen hohe Abfindungen sichern. Auf einem ungehemmten Kapitalmarkt geht es vielfach nur noch um schrankenlose Geldvermehrung. Über die rund 8.000 Hedge-Fonds weltweit werden Milliardenbeträge eingesammelt und gewinnträchtig wieder verhökert, durch Vulture-Fonds schwächelnde Betriebe ausgeschlachtet und gefleddert. Die Börse kann nach Meinung des Autors "ganze Volkswirtschaften zum Wanken bringen", Kapital "vernichten oder es an falsche Stellen lenken".
Opozcynski begnügt sich nicht damit, skandalöses Verhalten wie das der Brüder Haffa, der FlowTex-Gruppe oder von Mobilcom aufzuarbeiten. Er beschreibt auch Firmen, die auf überzeugende Weise Alternativen zum entfesselten Kapitalismus entwickelt haben, beispielsweise Babykost-Hersteller Hipp, Bleistift-Produzent Faber-Castell und die Firmen Trumpf und Trigema. Unternehmer mit den "alten deutschen Tugenden Fleiß, Disziplin, Einsatz, Pflichterfüllung und Verantwortungsbereitschaft", die langfristig planen, für ein faires Betriebsklima sorgen und Wert auf hochwertige Produkte legen, brauchen Produktionsstätten nicht ins Ausland verlagern, keine Mitarbeiter zu entlassen und behaupten sich dennoch am Markt.
Wer statt Shareholder-Value auf Stakeholder-Value setzt, also Corporate-Social-Responsibility anstrebt und seine Unternehmenspolitik "auf eine Basis ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit" stellt, stärkt den Standort Deutschland und leistet einen entscheidenden Beitrag zur Überwindung der beschriebenen Fehlentwicklungen.
Das Buch erleichtert es, die Machenschaften der "Blutsauger" zu erkennen, und gibt wichtige Hinweise, wie sich die Zivilgesellschaft dagegen zur Wehr setzen kann.
Michael Opoczynski
Die Blutsauger der Nation. Wie ein entfesselter Kapitalismus uns alle ruiniert.
Droemer Verlag, München 2005; 270 S., 16,90 Euro.