Botschaften in Berlin (IV): Indien beeindruckt mit exotischem Flair und kühner Geometrie
Im November fließt nichts mehr. Das rechteckige Wasserbassin im Foyer liegt trocken, die Seerosen gestrandet auf Steinchen. Deutsche Winter sind der Garaus für indische Wassergärten. Die Rohre für den unterirdischen Wasserlauf sind im ersten Winter der Indischen Botschaft zerborsten. Jetzt ist einfach das Wasser abgestellt.
Im heißen Indien sorgt diese natürliche Air-Condition für frische, feuchte Luft in den Häusern. Kleine Bäche werden dazu aus Flüssen abgezweigt und in die Häuser geleitet. In der indischen Botschaft ist der Wasserlauf eine schöne Anspielung auf diese Bautradition, integriert in ein modernes Repräsentations- und Zweckgebäude.
"German Technology and Material from India", das ist es auch, was Indien nach den Worten von Manoj Mohapatra, Politischer Botschaftssekretär, für die diplomatische Vertretung in Deutschland wollte. Entworfen hat die Botschaft das Berliner Architekturbüro von Hilde Léon, Konrad Wohlhage und Siegfried Wernik. Das Rohmaterial fanden die Architekten in Indien: einen markanten roten Sandstein, der das gesamte Haus, Hofgarten und Wohnhaus umkleidet. Die Architekten suchten einen Baustoff, der Indien repräsentiert, aber nicht besonders edel ist. Dann fanden sie in Rajasthan den sagenhaften "roten Stein", der von jeher als universelles Baumaterial für Paläste, Wohnhäuser und als Straßenbelag verwendet wird. In Handarbeit wurde das Gestein in zwei mal zwei Meter große und etwa neun bis zwölf Zentimeter dicke Tafeln gespalten. Dann wurden die Tafeln in die vorgesehenen Formate für die Fassade geschnitten und über Delhi und Bombay per Schiff nach Hamburg und schließlich nach Berlin gebracht. Hier wirkt der roh gebrochene Stein an der Fassade, als wäre das Gebäude aus dem Fels gehauen. Unverrückbar wie ein Naturwunder steht es an der Tiergartenstraße und sticht neben der schneeweißen Landesvertretung Baden-Württembergs heraus. Dem wieder belebten Diplomatenviertel verleiht es eine exotische, fast märchenhafte Note. So empfängt auch ein fabelhaftes Tier, in der Fassade eingemeißelt, den Besucher. Der vierköpfige Löwe ist das Nationalsymbol Indiens und steht für Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Ein Schriftzug in Hindi darunter bedeutet: "Die Wahrheit gewinnt immer."
Hier beginnt auch die Wasserzone, die durch das gesamte Erdgeschoss durch den begrünten Gartenhof, dem Herzstück der Botschaft, bis zum Wohngebäude am Ende des Grundstücks verläuft. Über rote Steinplatten gelangt man trockenen Fußes zur architektonischen Idee des Gebäudes. Es ist das Prinzip der Umkehrung, das Spiel mit Masse und Leere, wie es die Architekten benennen. An der Frontseite des quadratischen Gebäudes wurde ein zylindrisches Eingangsatrium eingeschnitten, die Hohlform ist komplett verglast. Das geometrische Element wiederholt sich auf der Rückseite im quadratisch angelegten Hofgarten, allerdings umgekehrt. Dort ist ein zylindrischer Turm eingestellt, als wäre er vorne ausgeschnitten und hinten wieder ins Grüne gesetzt. Darin befinden sich die Büros von Meera Shankar, die in diesem November als neue Botschafterin in Berlin ihre diplomatische Mission beginnt. Shankar ist eine hochrangige Diplomatin der jüngeren Generation, zuletzt tätig für die UNO im indischen Außenministerium.
Südlich liegt der Bau, in dem sich Wohnungen für die Botschaftsangehörigen befinden. Hier wohnt auch Shanti, die Assistentin der Informationsabteilung. In einen rosafarbenen Sari gehüllt, zeigt sie stolz die Botschaft ihres Landes. Das schönste sei der rote Stein, findet sie. Er wurde innen noch kunstvoller zu Jalis verarbeitet. Das sind gemeißelte Trennwände mit einem filigranen geometrischen Lochmuster. Wie auch die Wasserläufe dienen sie in ihrer Heimat zugleich der Klimatisierung.
Der Boden ist aus grünem Kalkstein aus Kotah. Gelangt man zur Bibliothek, kann man Ghandis gesammelte Werke in den Regalen bewundern. Etwas weiter im Veranstaltungsraum werden im Dezember "Bollywood"-Filme aus Indiens inzwischen ruhmreicher Filmindustrie gezeigt.
Insgesamt arbeiten hier von der Sicherheit bis zum engeren Botschaftsstab 75 Menschen, die meisten haben ihren Arbeitsplatz auf den oberen Ebenen in den Konsulats- und Botschaftsbüros. Dort allerdings lässt das indische Flair etwas nach. Manche Büroflure sehen fast aus wie alltäglicher deutscher Bürohaus-Standard.
Von außen aber erinnert der eindrucksvolle Komplex mit seinen Zylindern, Höfen und Freitreppen an das Observatorium Jantar Mantar in Jaipur. Unübersehbar waren die deutschen Architekten davon inspiriert. Das Observatorium, zwischen 1728 und 1734 aus Stein erbaut, gilt als das größte der Erde. Seine Gebäude, die aussehen wie geometrische Figuren, erscheinen archaisch und futuristisch zugleich - genau so wie die indische Botschaft.