Europäische Institutionen fordern Aufklärung über mögliche Gefangenenflüge des amerikanischen Geheimdienstes CIA
Wenn aus diesem Stoff kein Kinothriller wird: Getarnte Flugzeuge des Geheimdienstes einer Supermacht kreuzen im Luftraum und transportieren mysteriöse Gefangene zu dubiosen Verliesen, in denen gefoltert werden soll. Junge Flugzeugnarren, die in ihrer Freizeit auf Airports startende und landende Maschinen aus Spaß penibel registrieren, decken seltsame Routen auf. Agenten entführen in fremden Ländern Gegner auf offener Straße. Davids treten gegen einen Goliath an: Ein Staatsanwalt in einem deutschen Provinznest nimmt den mächtigsten Secret Service der Welt ins Visier, überdies fordert ein ehemaliger Schweizer Kollege und Mafiajäger mit Untersuchungen im Auftrag einer ansonsten eher machtlosen europäischen Organisation die Supermacht und zudem einige nationale Regierungen heraus.
Was eines Tages für Kinobesucher ein Nervenkitzel werden könnte, dient momentan als Sprengsatz für das transatlantische Bündnis und die innereuropäische Politik. Wenn nicht alle Indizien trügen, nutzten über Jahre hinweg und bis in die jüngere Zeit mehr oder weniger gut getarnte CIA-Maschinen zahlreiche Flughäfen in Europa - auch die US-Militärairports Frankfurt am Main und Ramstein in der Pfalz wurden danach angeflogen, an die 100 Zwischenstopps sollen es allein in der Bundesrepublik gewesen sein. Was genau in den Maschinen geschah und welchen Zweck die Flüge hatten, ist bislang unklar. Die CIA soll auf diese Weise, jedenfalls verdichten sich die entsprechenden Anzeichen, Al-Quaida-Leute und andere Terrorverdächtige in geheime Folterkerker ("Black Sites") etwa in Afghanistan, Ägypten, Jordanien, Marokko oder Zentralasien geschafft haben - und eventuell auch nach Osteuropa, beispielsweise nach Rumänien und Polen. Wurden CIA-Gefangene sogar während der Reise im europäischen Luftraum verhört und misshandelt? Es geht um nicht weniger als um die Verletzung der Menschenrechtskonvention des Europarats mit ihrem Folterverbot - an die sich auf dem Kontinent jeder Staat zu halten hat, auch eine Supermacht.
Die USA bestätigen die ungeheuerlich klingenden Vorwürfe nicht, aus Washington ist aber auch kein Dementi zu vernehmen.
Die Recherchen des Europarats, die Intervention des britischen Außenministers Jack Straw im EU-Auftrag in Washington, ein von der sozialistischen Fraktion erwogener Untersuchungsausschuss im EU-Parlament, Haftbefehle in Mailand gegen CIA-Agenten, Ermittlungen im pfälzischen Zweibrücken: All das sieht nach einem Aufbegehren gegenüber den USA aus, von denen die Europäer die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards auch beim Kampf gegen den Terrorismus verlangen. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Regierungen auf dem Kontinent könnten ebenfalls in die Bredouille geraten: Was wusste man in Berlin, London oder Bukarest von den CIA-Aktivitäten? Wurden die Gefangenentransporte möglicherweise geduldet oder gar unterstützt? Wirklich Präzises ist bislang nicht zu hören. Es wäre "ein Skandal", meint die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, sollte die Bundesregierung nicht über die ominösen Flugbewegungen in Deutschland unterrichtet gewesen sein. "Noch viel schlimmer" wäre es jedoch, wenn Berlin informiert gewesen sein sollte. Anfragen der Liberalen und der Linkspartei bringen das Thema im Bundestag nun auch formell zu Sprache.
Ins Rollen gebracht hat die Lawine Anfang November die "Washington Post". Sie berichtete, dass die CIA angeblich auch in Polen und Rumänien "Black Sites" betreibe, die von Maschinen mit gefangenen Terrorverdächtigen angeflogen würden. Warschau und Bukarest dementierten. Doch die Recherchejagd war eröffnet. Bürgerrechtsgruppen wie Human Rights Watch oder Amnesty International steuerten Indizien über Geheimtransporte bei. Immer mehr Zwischenstopps kamen über Medienberichte ans Tageslicht, aus Geheimdienstkreisen wurden Infos lanciert. Ins Bild fügten sich die Listen der so genannten "Plane-Spotter", die mit großem Eifer auf vielen Airports Maschinen bei Starts und Landungen registrieren, notieren und fotografieren. Kaum ein Tag verging, ohne neue Enthüllungen.
Das Puzzle gewann Kontur. In dieser Situation ergriff der Europarat die Initiative. Generalsekretär Terry Davis leitete gegen die 46 Mitgliedsstaaten eine förmliche Untersuchung ein, was im Palais de l'Europe nur sehr selten geschieht. Bis Februar haben die Regierungen Zeit, die heiklen Fragen des Briten zu beantworten. So will Davis wissen, wie Europas Nationen die Kontrolle "ausländischer Dienste" sicherzustellen gedenken. Die Länder müssen mitteilen, ob sie Agenten eines anderen Staats dabei unterstützt haben, Terrorverdächtige in Flugzeugen zu verschleppen und so entgegen der Menschenrechtscharta ihrer Freiheit zu berauben. Davis weist darauf hin, dass auch "Unterlassung" eine Hilfestellung in diesem Sinne sein könne - dass also die betreffenden Nationen eigentlich gegen mysteriöse CIA-Aktivitäten hätten vorgehen müssen. In solchen Fragen steckt Brisanz.
Eine Schlüsselrolle beim Vorpreschen des Europarats spielt Dick Marty. Der frühere Staatsanwalt, der sich in der Schweiz mit der Mafia angelegt hat, sitzt als Vertreter der helvetischen Volksvertretung in der Parlamentarischen Versammlung des Straßburger Staatenbunds. In deren Auftrag hat der Liberale eine eigenständige Untersuchung eingeleitet. "Illegale und inhumane Maßnahmen bei der Terrorbekämpfung dürfen nicht toleriert werden", so Marty. Er betont, er wolle nicht "anklagen", sondern die "Wahrheit" herausfinden. Mit Hilfe der Daten von Eurocontrol prüft der Europarats-Politiker, ob verdächtige Flüge von der CIA für den Transport von entführten und gefangenen Terrorverdächtigten genutzt wurden. Aufnahmen des EU-Satellitenzentrums im spanischen Torrejón sollen klären helfen, ob es in Rumänien und Polen CIA-Geheimgefängnissen gibt oder nicht.
Der Brüsseler Kommissar Franco Frattini droht EU-Staaten, die solche Kerker dulden, mit harten Sanktionen bis hin zum Entzug des Stimmrechts im EU-Ministerrat. Für Bukarest ist die Lage besonders delikat, weil der Beitritt Rumäniens zur EU gefährdet werden könnte. Die Aufregung um die CIA-Flüge rückt auch staatsanwaltschaftliche Aktivitäten in den Mittelpunkt des Interesses, die bislang kaum wahrgenommen wurden. So ermitteln die Münchner und die spanische Justiz wegen der Entführung eines Deutsch-Libanesen, der Ende 2003 während seines Mazedonien-Urlaubs verschleppt, im Flugzeug auf dem Umweg über Spanien nach Afghanistan gebracht und nach mehrmonatigem Gefängnisaufenthalt wieder freigelassen wurde. In Mailand hat eine Untersuchungsrichterin Haftbefehl gegen mehrere CIA-Agenten erlassen, die 2003 in der Stadt auf offener Straße den Imam Abu Omar gekidnappt haben sollen. Die Zweibrücker Staatsanwaltschaft hegt nun den Verdacht, dass Abu Omar während eines getarnten CIA-Transports von Italien nach Ägypten bei einem Zwischenstopp in Ramstein in ein anderes Flugzeug umgeladen wurde. In diesem Fall hätten der Entführte und die Agenten vorübergehend deutschen Boden betreten, weswegen die Staatsanwaltschaft jüngst im September Ermittlungen "gegen Unbekannt" unter dem Vorwurf der Freiheitsberaubung und Nötigung eingeleitet hat.
Staatsanwälte, die einfach ihre Pflicht tun und deswegen ins politische Wespennest stechen: Das kam schon öfters vor. Thriller greifen dieses Motiv jedenfalls gerne auf.