Große Erwartungen begleiteten die Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung bis zu ihrem Scheitern im Dezember 2004. Letztlich hatten sich die Hürden für Reformen des deutschen Föderalismus wieder als zu hoch erwiesen. Also hält der Kompetenzverlust der Landesparlamente an; und es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass die Analysen der Landtagswahlen in der "Zeitschrift für Parlamentsfragen" kaum landesspezifische Wahlkampfthemen, sondern jene Fragen identifizieren, die gerade an der Spitze bundespolitischer Reizthemen rangieren.
Bei den Landtagswahlen im Herbst 2004 standen die Proteste gegen die Arbeitsmarktreform Hartz IV im Vordergrund. Höchstens mit Personalisierungsstrategien scheinen noch regionale Akzente gesetzt werden zu können, wie Jürgen R. Winkler für das Saarland und Oskar Niedermayer für Brandenburg zeigen. In allen Ländern wurde erneut deutlich, dass die großen Parteien immer weniger Wähler an sich zu binden und zu mobilisieren vermögen.
Die Beteiligung an den Landtagswahlen 2004 betrug überall unter 60 Prozent, im Saarland sank sie gar um 13 Punkte. Zum Teil drastische Verluste von SPD und CDU kamen überwiegend den kleinen Parteien zugute. Dabei gilt mittlerweile beunruhigend häufig, dass nicht mehr die "Opposition im System", sondern die "Opposition zum System" profitiert, wie Eckehard Jesse für Sachsen beobachtet, wo die NPD fast so viele Stimmen wie die SPD erhielt. Auch wenn man noch hoffen mag, dass es kein nennenswertes rechtsextremes Milieu gibt, so können sich weder die demokratischen Parteien noch die Öffentlichkeit damit beruhigen, dass - so Eckehard Jesse - die Protestwähler schon zurückkehren werden, wenn die Leistungsfähigkeit der Parteien und Politiker wieder steige.
Wir verfügen nicht über sicheres Wissen, wann aktuelle und punktuelle Verdrossenheit über Politik und Politikern umschlägt in generelle Ablehnung demokratischer Prinzipien und Institutionen. Es ist klüger, den Anfängen zu wehren und alles zu unternehmen, Bürger und Politik besser aufeinander zu beziehen, als sich mit selbstgefälligem Abwarten zu begnügen.
Dass dies ganz besonders für die Ebene der EU gilt, auf der sich alle Schwierigkeiten von Repräsentationsprozessen noch einmal zu verschärfen scheinen, wird regelmäßig bei Wahlen zum Europäischen Parlament demonstriert. Auch hier fällt den (großen) Parteien die Mobilisierung der Wähler zunehmend schwerer; sie weichen auf Personalisierung aus oder versuchen, Unzufriedenheit mit nationalen Politikergebnissen zu instrumentalisieren. Insofern stellt sich der Ausgang der EP-Wahl 2004 in Deutschland durchaus als europäischer Normalfall dar, wie Oskar Niedermayer belegt. Ein "Normalfall", mit dem wir uns beruhigen können?
Die Ausdifferenzierung des Parteiensystems und das Erstarken kleiner Parteien lassen erwarten, dass künftig noch häufiger als bisher Koalitionen gebildet werden müssen. Den Einfluss der kleineren Partner in Regierungsbündnissen erhellt Sebastian Putz. Seine Fallstudie blickt hinter die Kulissen der seinerzeitigen CDU-FDP-Koalition in Sachsen-Anhalt, zeichnet den Sturz des Ministerpräsidenten 1993 detailliert nach und leitet zu weiteren Systematisierungen bei der Erforschung von Koalitionskonflikten an.
Welche Wirkung von Wahlsystemen auf die Entscheidungen der Bürger ausgeht, haben Harald Schoen und Thorsten Faas am bayerischen Fall untersucht. Das dortige kandidatenorientierte Landtagswahlrecht werde von den Wählern nicht ausgeschöpft. Die Führer auf den Parteilisten erhalten vielmehr einen Bonus von fast 40 Prozent, werden gewählt, weil sie die Erstgenannten sind. Dennoch - und trotz aller trendigen Taktiken von Werbemanagern in der Politik - sind programmatische Positionen wichtig. Dies belegen Umfragen unter deutschen und niederländischen Parlamentskandidaten, die Andreas M. Wüst auswertet. Danach dürften Wähler mit Migrationshintergrund "linke" Parteien erheblich stärker präferieren, weil deren Kandidaten weiterer Zuwanderung und geringeren Assimilationsanforderungen offener gegenüberstehen und bessere Repräsentation der Minderheiten im Parlament befürworten.
Seit langem werden in Deutschland unmittelbare Sachabstimmungen durch das Volk diskutiert. Erich Röper erläutert ein Urteil des OVG Bremen zu einer Volksinitiative, das Bedeutung über die Grenzen des Stadtstaates hinaus entfaltet, weil es die Rechtsstellung der Initiatoren stärkt und die Verfahren beschleunigen wird. Daran knüpft sich die Hoffnung, dass Parlamente nicht mehr so "abschätzig oder zumindest uninteressiert" auf Volksinitiativen reagieren. Kritisch sieht auch Otmar Jung die Haltung von Parlamenten und Regierungen gegenüber Instrumenten sogenannter direktdemokratischer Einflussnahme. Er untersucht obligatorische Verfassungsreferenden in Bayern, Hessen und Bremen. Seine Quintessenz: Regierungen schnüren Abstimmungspakete und fangen Basisinitiativen ab, um sich der Kontrolle durch Referenden zu entziehen. Eine insofern unvollkommene Referendumspraxis mache immerhin "konservative Abwehrparolen unglaubhaft", zum Beispiel jene, "dass das Volk nicht über Sachfragen entscheiden könne, weil diese zu komplex seien".
Peter Rütters präsentiert Daten zu Sozialprofil, Rekrutierungsvoraussetzungen und Amtsverlauf der saarländischen Regierungsmitglieder seit 1947. Danach sind hohe Anforderungen an die Schulbildung und an fachliche, administrative und politische Erfahrungen der Amtsinhaber festzustellen. Ihre Parlamentsbindung hingegen nahm seit den 80er-Jahren deutlich ab: Der saarländische Landtag vermochte "offensichtlich immer weniger, die notwendige personelle Expertise zu liefern".
In welchem Ausmaß mittlerweile nicht nur der deutsche Verbundföderalismus, sondern obendrein die europäische Ebene professionelle Politikgestaltung von den Landesregierungen erfordert, zeigt Michael W. Bauer. Auf der Basis gängiger Hypothesen zur Stellung der deutschen Länder im europäischen Integrationsprozess untersucht er, wie die Landesregierungen im Konzert und ihre Verhandlungsführer im einzelnen agiert haben, um den europäischen Verfassungskonvent zu beeinflussen. Bauers Fazit: Die Länder büßten ihre Sprachfähigkeit und damit ihren Einfluss weitgehend ein. Betrachtet man die in diesem Heft analysierten bundesstaatlichen und europäischen Lernprozesse zusammen, so fragt man sich, ob die deutschen Länder noch mitreden können, auch, ob sie überhaupt noch mitreden wollen.