Es ist ein grauer, verregneter Tag. Das Gebäude des Jugendbüros gegenüber der roten Backsteinkirche hat schon bessere Zeiten hinter sich. So wie es aussieht, stammt es aus den 80er-Jahren: Graues Gemäuer, Flachdach, eine braune Holzvertäfelung über dem Eingang. Drinnen ist es gemütlicher: Eine Sitzecke aus Rattan, zwei Schreibtische mit Computern - Grünpflanzen lockern das Ambiente auf. In der Maschine läuft heißer Kaffee durch.
Hier fühlen sich die arbeitslosen Jugendlichen wohl. Aber nicht nur das: Hier wird ihnen vor allem geholfen - bei der Stellensuche oder bei Bewerbungsschreiben. In vergangenen Jahr brachte das kleine Kalker Jugendbüro schon 131 junge Menschen aus 14 Nationen in Weiterbildungsmaßnahmen, Qualifizierungen oder in regulären Jobs unter. "Bei der Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt hatten wir eine Quote von 35,28 Prozent. Die Bundesagentur für Arbeit hat nur eine von 4,6 Prozent", berichtet Ute Esser, die Leiterin des Büros. Sie ist stolz darauf, dass sie bei ihrer alltäglichen Arbeit nicht nur Rückschläge erlebt. Im Stadtteil Kalk ist die Arbeitslosenquote besonders hoch.
Franco und Taifun sitzen am Computer und surfen in den Stellenanzeigen im Internet. Beide tragen Jeans: Franco ein weißes, frisch gebügeltes Hemd, Taifun einen modischen Pullover. Ihre Frisuren sind akkurat. So könnten sie eigentlich schon fast zum Bewerbungsgespräch gehen. Beide haben einen Schulabschluss und einen Facharbeiterbrief in der Tasche. Dennoch finden sie keine Arbeit. Der 21-jährige Franco ist seit über einem Jahr ohne feste Stelle - Taifun, 22 Jahre alt, bereits seit zwei Jahren. Er zieht an seiner Zigarette und erzählt dann: "Ich habe bei der Bahn Fertigungsmechaniker gelernt. Nach der Lehre war dort aber Schluss. Ich habe keine feste Stelle gefunden. Nur ab und zu konnte ich über Zeitarbeitsfirmen als Hilfsarbeiter jobben - die Stunde für sechs Euro. Inzwischen weiß ich gar nicht mehr, ob ich meinen Beruf überhaupt noch ausüben könnte."
Franco kommt aus einem ganz anderen Bereich. Er hat Einzelhandelskaufmann gelernt. In seiner Branche gibt es noch Jobs, aber eher für Frauen als für Männer. In dem Baumarkt, in dem er ausgebildet wurde, waren 40 Frauen angestellt, aber nur 10 Männer. Franco ist ein fröhlicher Typ, ein wenig Enttäuschung klingt in seinen Worten aber schon durch: "Den Rest der Arbeit machten die Frauen. Es ist doch so: Die Chefs im Einzelhandel, wo es Kundenkontakt gibt, stellen Leute ein, die für sie und die Kunden attraktiv sind. Bei uns im Baumarkt gab es natürlich besonders viel männliche Kunden. Und da hat der Chef eben keine Männer mit einer besonders guten Qualifikation eingestellt, sondern Frauen. Ich glaube, er hat sich gedacht: Wenn die Kunden eine nette, hilfreiche Verkäuferin bedient, dann sagen die sich: Ich geh doch lieber in diesen Baumarkt als zur Konkurrenz."
Francos Erfahrungen werden von Arbeitsmarktexperten bestätigt. Auch Thomas Bauer vom Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsinstitut glaubt, dass die so genannten "Soft Skills" im Berufsleben immer wichtiger werden: "Gerade im Dienstleistungsbereich ist die soziale Kompetenz besonders gefordert, und da sind Frauen oft besser geeignet", erläutert der Arbeitsökonom. Grundsätzlich spielten natürlich die Abschlüsse bei der Arbeitssuche eine große Rolle: "Alles was unter einem Realabschluss und einer abgeschlossenen Lehre liegt, verringert die Berufschancen enorm." Auch andere Experten, zum Beispiel vom DIHK, bestätigen dies. Sie weisen daraufhin, dass junge Frauen bei der Ausbildung aufgeholt hätten. Häufig seien ihre Noten besser als die der männlichen Konkurrenz.
Ute Esser betrachtet die Fotos im Flur des Kalker Jugendbüros. Sie zeigen junge Frauen an der Drehbank oder am Schweißbrenner. Lange Zeit hat Ute Esser Qualifizierungskurse für junge Mädchen geleitet. Das würde sie auch jederzeit wieder tun. Allerdings, warnt sie, müsse man aufpassen, dass die Jungs nicht auf der Strecke blieben. "Es gab in den vergangenen Jahren einen Trend, junge Frauen speziell zu fördern, zum Beispiel im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Viele haben gesagt: Die Jungs können das sowieso - die brauchen keine Extra-Kurse. Das wurde einfach immer so vorausgesetzt." Außerdem, so glaubt Ute Esser, werde der Grundstein für die spätere Arbeitslosigkeit von jungen Männern oftmals schon in der Schule gelegt: "Viele Mädchen sind in der Schule eher ruhiger und umgänglicher - die Jungen hingegen lauter und unkonzentrierter. Deswegen machen sie den Pädagogen Probleme, und das bedeutet dann oftmals nicht etwa eine spezielle Betreuung, sondern einfach nur schlechtere Noten." Damit wiederum hätten junge Männer bei der Suche nach einer Lehrstelle oder einem Beruf schlechtere Chancen als junge Frauen, die die besseren Zeugnisse vorweisen können. Die Leiterin des Jugendbüros fordert daher spezielle Förderprogramme für junge Männer, die sie realistisch auf den Arbeitsmarkt vorbereiten: "Es ist nicht Muskelkraft und Lautsprecherei angesagt, sondern soziale Kompetenz. Das muss denen beigebracht werden."
Taifun holt sich noch eine Tasse Kaffee. Er umschließt sie mit beiden Händen, als ob er sich daran wärmen wollte. Der gelernte Fertigungsmechaniker rät anderen Jugendlichen, sich schon vor der Lehre genauer über die Berufssaussichten zu informieren: "Wenn man erst nach drei Jahren mitbekommt, dass es eigentlich gar keine Arbeit in diesem Beruf gibt, steht man auf einmal dumm da." Klassische "Männerberufe" wie seiner, oder der des KFZ-Mechatronikers stehen bei jungen Männern immer noch auf Platz Eins der Beliebtheitsskala. Allerdings gibt es in den "Männerberufen" einfach nicht mehr genug Stellen. Gerade in Industrieregionen sind sie dem Strukturwandel zum Opfer gefallen.
Die Arbeitswelt wandelt sich immer schneller. Taifun hat das am eigenen Leib gespürt und sich deswegen auch schon anderweitig orientiert. So legte er auf eigene Kosten eine IHK-Prüfung zum Wachmann ab. Lakonisch sagt er: "Einen Job habe ich damit zwar auch noch nicht gefunden, aber von zehn Bewerbungsschreiben kommen immerhin nur noch fünf ungelesen zurück."
Die statistische Geschlechterlücke bei den jungen Arbeitslosen wird auch aufgrund der wachsenden Anzahl von Niedriglohnjobs größer. Junge Frauen, gerade wenn sie noch zusätzlich Kinder betreuen müssen, arbeiten häufiger als junge Männer in Teilzeit oder nehmen 400 Euro-Jobs an. So fallen sie aus der offiziellen Arbeitslosenstatistik heraus. Rein theoretisch könnten auch Männer solche gering bezahlten Beschäftigungen annehmen. Statistisch gesehen tun sie das aber nicht in demselben Maße wie Frauen. Das sei für Männer aber auch schwieriger, meint Franco: "In der Regel wird doch von einem Mann immer noch erwartet, dass er die Familie ernährt. Von einem 400 Euro Job kann man aber einfach nicht leben." Er drückt die SMS-Nachricht auf seinem Handy weg, grübelt ein wenig und sagt dann weiter: "Für eine Frau ist das schon etwas anderes."