Ein 15-jähriger Gymnasiast studiert nebenher an der Technischen Universität Dresden Mathematik. "Unser Ehrgeiz ist, dass er in drei Jahren mit dem Abitur zugleich sein Hochschuldiplom hat", verspricht Unikanzler Alfred Post. Das wäre dann deutscher Rekord. Ein Münsteraner meisterte vergangenen Sommer mit 18 Jahren an der Uni neben den Abiturprüfungen immerhin die Zwischenprüfung in Philosophie. Eine Bonner Abiturientin von 2004 macht jetzt gerade das Vordiplom in Mathematik und Physik und hat damit schon das halbe Studium in beiden Fächern hinter sich. Diese Drei gehören zu etwa 500 Junioren, die an rund 15 von insgesamt gut 110 deutschen Unis in eigenen Schülerzirkeln von älteren Mitstudenten besonders unterstützt werden. Die halbwüchsigen Talente brauchen beim Weg in und durch die Uni ständige Ansprechpartner und Tutoren, um den Uni-Alltag zu managen, und mehr noch zur Prüfungsvorbereitung. Sie nehmen an den Vorlesungen und Seminaren teil und machen die selben Tests wie alle Studenten. Den Anfang machte im Jahr 2000 die Kölner Uni.
Die persönliche Studienbegleitung kostet Geld, das die allermeisten Hochschulen einfach nicht haben.
Eine studentische Hilfskraft als Ratgeber etwa für eine Gruppe von 30 Juniorhochschülern schlägt mit 5.000 Euro im Jahr zu Buche. Für die Personalausgaben will jetzt die Telekom-Stiftung einspringen. Ihr Ziel ist es, so Stiftungsreferent Johannes Schlarb, in jedem Bundesland wenigstens ein Zentrum für die Frühstarter einzurichten und zu fördern.
Die Idee stammt im Grunde aus den USA. Dort ist "acceleration" ("Gas geben!") ein ganz traditioneller Kernbestandteil des Bildungswesens vom Kindergarten bis zum akademischen Abschluss an Eliteunis. Beispielsweise gibt es an der Staatsuniversität von Washington eine "Übergangsschule" (Transition School), in der Schnelldenker mit besonderer mathematischer Begabung die letzten vier Schuljahre komprimiert in einem absolvieren und sich gleichzeitig in den Unibetrieb und -unterricht einleben. Wenn Durchschnittsköpfe den Schulabschluss schaffen, machen sie schon den - neuerdings auch an unseren Hochschulen üblichen - Bachelor.
Überdies fördert die Ford Stiftung schon seit 50 Jahren ein vorgezogenes Studium (Advanced Placement) an High Schools. Fast die Hälfte der Schulen und knapp zwei Millionen Schüler machen heute mit. Die Freiwilligen studieren mit Hilfe besonders guter Fachlehrer Kursprogramme ihrer Wahl auf College-Niveau. Nichts wird geschenkt, bei zentralen Prüfungen zum Semesterende ist höchstens jeder Zweite erfolgreich. Die erworbenen Leistungspunkte kann man sich fürs Uni-Examen anrechnen lassen.
Der Erfolg der "Schüler-Universität" hängt auch hierzulande nicht zuletzt vom guten Willen der Gymnasien ab. Sie müssen geeignete Spitzenbegabungen vorschlagen. Der Kölner Koordinator Ulrich Halbritter ist überzeugt, dass große Talente für abstraktes, mathematisch-naturwissenschaftliches Denken sich bereits in der fünften und sechsten Klasse herauskristallisieren und mit 13 auf die "Schüler-Uni" gehen können. Hingegen seien Überflieger in den traditionellen Geisteswissenschaften erst mit der fortschreitenden Persönlichkeitsentwicklung erkennbar. "Ich denke, dass man mit zwölf Jahren noch nicht reif für ein Proseminar über Liebeslyrik ist", meint Halbritter.
Generell bedauert der Kölner Programmleiter allerdings, dass bislang "nur etwa die Hälfte der Gymnasien in unserem Einzugsgebiet Schülern die Teilnahme ermöglicht hat". Denn die Juniorstudenten versäumen nicht nur den Unterricht in ihren leistungsstärksten Fächern wie Mathe oder Physik, sondern je nachdem auch in Englisch oder Deutsch. Das kommt ganz auf den Veranstaltungskalender an der Uni an. Dann muss sich etwa auch der Geschichtslehrer darum kümmern, dass das naturwissenschaftliche Ass sich zu Hause mit den vergangenen Zeiten beschäftigt und in der Geschichtsnote nicht zurückfällt. Tests und Klassenarbeiten bleiben den Turboschülern natürlich nicht erspart.
Viele von ihnen lernen mit der Doppelbelastung das erste Mal in ihrem Leben, was für durchschnittliche Altergenossen allein schon auf der Schule selbstverständlich ist: arbeiten, pauken, stundenlang büffeln, sogar Misserfolge haben und wegstecken. Solch ungewohnte Erlebnisse können bislang erfolgsverwöhnte Geistesathleten schlimmstenfalls in eine seelische
Krise stürzen. Die Ansprechpartner und Tutoren von der T-Stiftung sollen einer solchen Fehlentwicklung vorbeugen. Mancher sagt auch von vornherein lieber "Nein, danke!". Ein Beispiel ist der Bonner Philipp, Klasse 13, Notendurchschnitt 1,1. Er beherrscht fließend vier Fremdsprachen. Von einem vorgezogenen Studium hält er aber nichts: "Alles zu seiner Zeit." Der Junge betreibt nach der Schule lieber viel Sport und spielt in der Schach-Bundesliga.
Andererseits spricht das neue Kombi-Angebot Schule plus Studium nicht zuletzt einen ganz neuen Typ von Bildungskarrieristen an, bemerkt die Duisburger Koordinatorin Michaela Christoph. Das sind Abendgymnasiasten, die die Schule schon einmal geschmissen und eine Ausbildung absolviert haben, daneben aber wieder Geschmack am Abi gefunden haben. In ihrem letzten Schuljahr nutzen manche die freie Zeit am Tage schon für ein vorgezogenen Studium. Einer von ihnen hat im vergangenen Jahr in der mathematisch geprägten Betriebswirtschaftslehre die beste Buchhaltungsklausur geschrieben, die dem Dozenten bislang je unter die Augen gekommen ist.
www.telekom-stiftung.de
www.mi.uni-koeln.de/Schuelerstudenten/
www.apcentral.collegeboard.com/
www.depts.washington.edu/cscy
www.nationdeceived.com