Eine solche Ermahnung erlebt Alice Schwarzer von einem CDU-Politiker wohl eher selten: "Die Frauenbewegung braucht mehr Galopp. Sie müssen mehr kämpfen!" Aber es war ja nicht irgendwer, sondern der ehemalige Generalsekretär der Partei, Heiner Geißler, der an die prominenteste Feministin der Bundesrepublik appellierte. Der heute 75-Jährige galt in den 80er-Jahren immerhin als "die beste Frau der CDU", wie Angela Merkel in ihren Begrüßungsworten feststellte. Am vergangenen Montag hatte die Partei im Rahmen der "Berliner Gespräche" ins Konrad-Adenauer-Haus geladen, um mit Geißler und Schwarzer auf dem Podium über die Frage "Wie modern ist Deutschlands Frauenbild? - 20 Jahre nach dem ?Essener Parteitag'" zu diskutieren.
Im März 1985 bekannte sich die CDU unter ihrem Generalsekretär Geißler zu den "Leitsätzen für eine neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau". Sie konzentierten sich auf die Gleichwertigkeit von Hausarbeit und Erwerbsarbeit. 1986 verabschiedete die Bundesregierung ein Erziehungsurlaubs- und Bundeserziehungsgeldgesetz. Berufstätige Mütter oder Väter konnten erstmals zehn Monate (ab 1992 bis zu drei Jahren) pausieren, ohne den Anspruch auf ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Außerdem erhielten sie ein Erziehungsgeld von 600 Mark. Die Resonanz in der Frauenbewegung war zwiespältig. Viele Frauen erkannten in diesem "Lohn für Hausarbeit" eine Festschreibung patriarchalischer Strukturen. Alice Schwarzer ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie auch nach 20 Jahren keine Freundin dieser Regelung geworden ist: "Das sieht erst mal gut aus, ist aber in der Realität zu einer Hauptfalle für Frauen geworden. Die Mehrheit der Frauen kommt nach einer längeren Pause nicht mehr rein in den Beruf!" Einen solchen Vorwurf wollte Heiner Geißler nicht auf sich sitzen lassen, auch wenn er es manchmal schwer hatte, sich gegen seine stimmgewaltige Gesprächspartnerin durchzusetzen: "Der Erziehungsurlaub ist ja nichts anderes als ein Kündigungsschutz. Dass das in der Praxis weitgehend unterlaufen wird, ändert nichts an der richtigen Zielsetzung dieser Entscheidung." Dass sich aber die Höhe des Erziehungsgeldes bis heute nicht verändert habe, sei, so glaube er, "ein markantes Zeichen dafür, dass Frauenpower immer mehr erschlafft ist".
An diesem Abend spürten die dicht gedrängt sitzenden Zuhörer davon nichts. Kämpferisch wie immer forderte die Frauenrechtlerin die CDU auf: "Wenn sie es ernst meinen mit den Frauen, dann sorgen sie für mehr Kinderbetreuung und Ganztagsschulen!" Geißler und Schwarzer waren sich darin einig, dass eine Gleichberechtigung der Frauen nicht ohne einen veränderten Lebensstil der Männer zu erreichen ist. "Wir müssen die verkrusteten Strukturen der Männerwelten aufbrechen", sagte Geißler. Dass die CDU auf dem Weg dorthin ist, unterstrich die Vorsitzende Merkel am Beginn der Veranstaltung: "Wir haben jetzt auch die Männer im Visier", umriss sie die neue familienpolitische Orientierung der Union, die von der im Januar einberufenen Kommission "Frauen, Familie und Beruf" derzeit augearbeitet wird. Bis zum Parteitag im Dezember sollen die Ergebnisse auf dem Tisch liegen.
Unabhängig davon hat die CDU mit ihrer weiblichen Vorsitzenden hier bereits Unerwartetes geleistet, was Moderatorin Tissy Bruns zu der Frage veranlasste: "Was sagen sie nun, Frau Schwarzer?" Die hielt sich jedoch mit Lob zurück. Statt dessen erkannte sie auch darin vor allem ein althergebrachtes Muster: "Wir dürfen nicht vergessen, dass es der CDU nicht gut ging, als Angela Merkel Vorsitzende wurde. So ist das immer: In brenzligen Situationen dürfen die Frauen den Karren aus dem Dreck ziehen."