Eine völlige Neuorientierung und Abkehr von den grundlegenden Prinzipien des Transplantationsgesetzes hält die Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin" nicht für notwendig. Das teilte der Vorsitzende der Kommission, René Röspel (SPD), bei der Vorstellung des Zwischenberichts zur Organlebendspende mit. Der Gesetzgeber müsse die Situation der Lebendspender aber unbedingt verbessern, beispielsweise durch die Einführung eines Lebendspenderegisters, das eine regelmäßige Betreuung und die Erfassung von Komplikationen gewährleiste, so Röspel weiter. Auch müssten die Lebendspender finanziell und versicherungsrechtlich abgesichert werden, etwa durch einen angemessen Versicherungsschutz oder den Ausgleich finanzieller Nachteile durch Lohnausfall oder Krankheit in Folge der Operation.
Die große Kluft zwischen Angebot und Bedarf an Spenderorganen ist ein wichtiger Anlass, so der Bericht, acht Jahre nach Verabschiedung des Transplantationsgesetzes (TPG), über neue Wege in der Transplantationsmedizin nachzudenken. Derzeit warteten über 12.000 Menschen auf ein Spenderorgan. Eine Wartezeit von sechs Jahren sei keine Seltenheit, weil viel zu wenig Spenderorgane aus postmortaler Spende (also durch hirntote Spender) zur Verfügung stünden. Dennoch lehnt die Mehrheit der Kommission in ihrem Bericht eine Erweiterung des gesetzlich zulässigen Spenderkreises ab. "Wir halten an den bisherigen Regelungen im Transplantationsgesetz fest", erklärte Röspel. Eine Ausdehnung der Lebendspende auf Überkreuzspenden, bei denen sich Organspender und Organempfänger nicht in besonderer persönlicher Verbundenheit nahe stehen, sei abzulehnen. Diese Auffassung entspricht der geltenden Rechtslage, nach der nur Angehörige und andere sehr nahe stehende Menschen spenden dürfen. Die Kommissionsvertreter von CDU/CSU und FDP kritisierten allerdings diese Position. Thomas Rachel von der Union sprach sich dafür aus, eine Überkreuzspende zwischen zwei Paaren, deren jeweilige Partner einander besonders nahe stehen, zuzulassen. Michael Kauch von der FDP schloss sich dem an und forderte überdies, anonyme Lebendspenden in einem Organpool zu ermöglichen und in Notfällen sogar auf gezielte Lebendspenden unter Freunden zurückzugreifen. Die anonyme Lebendspende wird von der Mehrheit der Kommissionsmitglieder aber strikt abgelehnt.
Einig war sich die gesamte Kommission, dass eine Kommerzialisierung von Lebendorganspenden unbedingt zu verhindern sei. Wie Wolfgang Wodarg von der SPD bemerkte, gebe es massive Versuche, mit finanziellen Anreizen die Lebendspende zu forcieren. Das sei ein "Riesenproblem", denn dadurch würden insbesondere Menschen zur Spende bewogen, die sich in sozialen Notlagen befänden. Professor Linus Geisler, der als sachverständiges Mitglied der Kommission angehört, merkte dazu an, dass Ärzte im Fall von Lebendspenden ohnehin in einer schwierigen Situation seien, denn sie müssten einen völlig gesunden Menschen operieren. Jede Operation berge Risiken. Die Auswahl des Spenderkreises müsse man daher "vernünftig und sinnvoll" handhaben. "Spot-Märkte" für Organe, wie sie in den USA teilweise existierten, kämen aus ethischen Gründen nicht in Frage.
Bundestagspräsident Thierse lobte bei der Übergabe des Berichts die Arbeit der Sachverständigen und Abgeordneten als "sehr wichtig für die eigene Entscheidungsfindung". Besonders bei der Meinungsbildung in so schwierigen ethischen Fragen seien die Bürger und auch er selbst auf den Sachverstand von Experten unbedingt angewiesen.
In der abschließenden Beratung der Großen Anfrage der Union spielte auch die postmortale Organspende eine Rolle. Fraktionsübergreifend beklagten die Abgeordneten eine große Diskrepanz zwischen der bekundeten und der tatsächlichen Spendenbereitschaft in Deutschland und forderten die Krankenhäuser auf, sich stärker für postmortale Organspenden zu engagieren. Nach Meinungsumfragen genieße die Organspende bei 80 Prozent der Bevölkerung eine hohe Akzeptanz. Einen Spendenausweis besäßen dennoch lediglich 12 Prozent der Menschen hierzulande.
Redner und Rednerinnen aller Fraktionen unterstrichen daher die Notwendigkeit einer gezielten Aufklärung der Bevölkerung, damit mehr Leben gerettet werden könnten. "Wir brauchen mehr Öffentlichkeit für dieses Thema. Information und Aufklärung sind Voraussetzungen für eine höhere Bereitschaft zur Organspende", sagte die Parlamentarische Staatssekretärin, Marion Caspers-Merk (SPD), in der Debatte. Die Bundesregierung habe hier ihre Hausaufgaben gemacht. Seit 1998 wurden nach Angaben Caspers-Merks 6 Millionen Euro dafür ausgegeben.
Dagegen kritisierte die Opposition die Mittelkürzung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in diesem Bereich: "Spendenbereitschaft fördern wollen und zugleich die Aufklärung fast einstellen, das passt nicht zusammen", so die Gesundheitsexpertin der Union, Annette Widmann-Mauz. Für die Grünen-Politikerin Petra Selg ist es hingegen "zu kurz gesprungen", einfach nur mehr Geld für die Öffentlichkeitsarbeit zu fordern. Aus der Sicht des FDP-Abgeordneten Detlef Paar müssten die Abgeordneten mit gutem Beispiel vorangehen und einen Organspendeausweis ausfüllen. Gleichzeitig plädierte er für die Aufhebung der Nachrangigkeit der Lebendspende gegenüber der postmortalen Spende und die Zulassung von Überkreuzspenden.
Konsens herrschte darin, dass sich zu wenig Krankenhäuser bei der Förderung der Organspende engagieren. Nur 44 Prozent der Kliniken mit Intensivstationen beteiligten sich an der Suche nach geeigneten Organspendern, beklagte Paar. Das Fazit der Staatssekretärin hierzu: Die Kooperation zwischen den Kliniken müsse neu organisiert werden. Die Aufsichtspflicht über die Krankenhäuser liege aber bei den Ländern, so der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Klaus Kirschner (SPD).