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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Symbol des vereinten Deutschlands
Gültig ab: 16.09.2008 10:19
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Symbol des vereinten Deutschlands

Das Reichstagsgebäude im Parlamentsviertel


Im Kaiserreich nicht gemocht, in der Weimarer Zeit Herzstück der bekämpften parlamentarischen Demokratie, im Nationalsozialismus zerstört, im geteilten Deutschland im Abseits. Das Reichstagsgebäude schien seine Zukunft hinter sich zu haben. Doch mit der Wiedervereinigung wurde es zum neuen Symbol für Deutschland.

Kurz vor Weihnachten 1990 — im Jahr der Einheit — tritt im Reichstagsgebäude der neugewählte Bundestag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Es ist der zwölfte der „Bonner Republik” seit 1949, zugleich ist es das erste Parlament seit 1933, das nach freien Wahlen in ganz Deutschland in Berlin eröffnet wird. Das hätte es dann sein können mit der wiedervereinigten Republik und dem Reichstagsgebäude. Denn die Alltagsarbeit nimmt das Parlament dann in Bonn auf. Dort ist das Bundesparlament nach knapp vier Jahrzehnten in der umgebauten alten Pädagogischen Akademie ins Provisorium „Wasserwerk” umgezogen, weil gerade ein neues Plenargebäude entsteht.

Doch als der Bundestag 1992 in sein neues Domizil am Rhein einzieht, läuft bereits der Countdown für den Auszug. Denn nach leidenschaftlichem Ringen hat sich der Bundestag am 20. Juni 1991 entschieden, Berlin zum Parlaments- und Regierungssitz des wiedervereinigten Deutschlands zu machen.

Senkrechtes Luftbild des Spreebogens in Berlin-Mitte
Senkrechtes Luftbild des Spreebogens in Berlin-Mitte
© www.stadtplan3d.de


Am Morgen des entscheidenden Tages ist die Abstimmung noch völlig offen. Gefühlt scheinen die Bonn-Befürworter vorn zu liegen. Den Umschwung Richtung Berlin schafft der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Es gehe nicht um einen Wettkampf zwischen zwei Städten, sondern um die Zukunft Deutschlands, stellt er fest. Daraufhin entwickelt er unter Verweis auf das Jahrzehnte geltende Bekenntnis zu Berlin als Hauptstadt eines wiedervereinigten Deutschlands die Forderung, dass man sich aufeinander verlassen müsse, wenn man die Teilung über winden wolle. „Deutschland, die Deutschen, wir haben unsere Einheit gewonnen, weil Europa seine Teilung überwinden wollte. Deshalb ist die Entscheidung für Berlin auch eine Entscheidung für die Überwindung der Teilung Europas”, sagt Schäuble unter großem Beifall aus dem ganzen Haus. „Stimmen Sie mit mir für Berlin”, appelliert er zum Schluss, woraufhin sich Abgeordnete der Union und SPD von den Plätzen erheben und ihm Willy Brandt zu dieser Rede gratuliert. Das Ergebnis der Abstimmung: 337 gegen 320 Stimmen für Berlin.

Es wird nur kurz diskutiert, wohin das Parlament in Berlin ziehen soll. Ein Vorschlag geht in Richtung eines Neubaus auf dem Schlossplatz. Doch bald steht fest: Das Reichstagsgebäude soll es sein. Anregungen für die Gestaltung ergibt ein internationaler Wettbewerb. Drei Entwürfe werden ausgewählt: Sir Norman Foster will ein riesiges, transparentes Dach hoch über dem umgebauten, aber in seiner historischen Substanz erhaltenen Bau errichten, Pi de Bruijn den Reichstagsbau um einen Präsidialflügel erweitern und den Plenarsaal in einer großen Schüssel auf dem Vorplatz unterbringen und Santiago Calatrava ein großes Glasdach mit Kuppel schaffen. Schließlich erhält Foster den Auftrag für den Umbau. Sein Konzept wird allerdings in einem Überarbeitungsprozess in den augenfälligsten Teilen verändert: ohne das teure Großdach, aber mit Kuppel.

Eingebettet ist der erneute Umbau des Reichstagsgebäudes in ein städtebauliches Konzept für das Parlaments- und Regierungsviertel, das nach den Vorschlägen von Axel Schultes und Charlotte Frank verwirklicht wird. Es stellt einen Zusammenhang zwischen dem Kanzleramt und den Neubauten des Bundestages her, trennt sich von dem historischen Stadtviertel im Spreebogen und entwickelt stattdessen ein „Band des Bundes”, bei dem das Reichstagsgebäude nicht mehr Abseits der Stadt, sondern angeschlossen an eine dynamische Ost-West-Entwicklung liegt. Über die neuen Bundestagsbauten ist sogar ein Sprung über die Spree in Form einer Brücke verwirklicht. Dieser überwindet symbolisch nicht nur die Jahrzehnte der Teilung.

Er durchbricht damit auch symbolisch die städtebaulichen Vorstellungen, die Hitler mit seinem Architekten Albert Speer für die „Welthauptstadt Germania” entwickelt und in Ansätzen bereits vorbereitet hatte: Eine pompöse Nord-Süd-Achse sollte neben dem Reichstag zu einer „Halle des Volkes” führen, die mit 315 mal 315 mal 320 Metern das größte Kuppelbauwerk der Welt geworden wäre und das Reichstagsgebäude optisch auf die Größe einer Pförtnerloge gebracht hätte.

Inschriften von russischen Soldaten an den Wänden des Reichstagsgebäudes
Die Inschriften der russischen Soldaten, die sich nach Kriegsende 1945 an den Wänden des Reichstagsgebäudes verewigt haben, wurden restauriert und stehen nun unter Denkmalschutz
© DBT/Friedrich Rosenstiel
Statt „Germania”-­Gigantomanie bekommt das wiedervereinigte Deutschland mit dem Reichstagsgebäude und seiner gläsernen Kuppel ein Symbol für Offenheit und Transparenz und zugleich eine Zuwendung zu den Höhen und Tiefen seiner Geschichte. Foster berichtet: „Je intensiver wir uns mit der Geschichte des Reichstages auseinandersetzten, desto klarer wurden uns die Zusammenhänge zwischen Architektur, Politik und Geschichte.” Der Reichstag sei ein „doppeltes Symbol”, stehe einerseits für die Zerbrechlichkeit von Demokratien, andererseits für die Leiden des Krieges. War der Umbau der 60er- und 70er-Jahre noch kaschierend mit der Vergangenheit um gegangen, so legt sie Foster nun wieder frei — bis hin zu Einschusslöchern aus den Kriegstagen und Graffiti, die Sowjetsoldaten nach der Einnahme der Stadt auf die Reichstagsmauern kritzelten. Foster stellt Sichtachsen her, öffnet den Plenarsaal trotz der mächtigen Mauern optisch zu den Seiten und greift auf die ursprüngliche Ausrichtung zurück: Sitzungspräsident, Bundesregierung und Bundesratsvertreter blicken wieder Richtung Westen auf den Platz der Republik.

Das architektonische Ja zur Geschichte setzt sich in den Kunstwerken fort. So konnten etwa mit Grisha Bruskin (Russland), Christian Boltanski (Frankreich), Jenny Holzer (USA) und Sir Norman Foster (Großbritannien) Künstler aus den Ländern der vier alliierten Mächte gewonnen werden. Gerhard Richter setzt sich, an die Größe des Gebäudes angepasst, aber unpathetisch, mit Schwarz, Rot und Gold auseinander, Sigmar Polke greift gewitzt Szenen aus der deutschen Ge schichte auf und bringt sie in Bewegung, Katharina Sieverding hält die Erinnerung an verfolgte und ermordete Reichstagsabgeordnete lebendig. Dutzende weitere faszinierende Kunstwerke regen zu neuen Zugängen zur deutschen Geschichte an.

Dabei zeigt sich der Bundestag immer wieder offen selbst für provokante und entsprechend kontrovers diskutierte Ideen. Etwa für den großen Trog mit dem Schriftzug „Der Bevölkerung”, den Hans Haacke im Jahr 2000 im nördlichen Lichthof installiert. Abgeordnete bringen Erde aus ihren Wahlkreisen mit, um ihn zu füllen. Der darin enthaltene Samen lässt eine bemerkenswerte Pflanzenvielfalt entstehen, auch Tiere nutzen das Objekt als Lebensraum. Via Webkamera lässt sich verfolgen, wie es wächst und sich wandelt im Reichstagsgebäude. So wie in Deutschland. 

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Erschienen am: 24. September 2008

Weitere Informationen:

Bau und Kunst
Informationen zu Architektur und Kunstwerken:
www.bundestag.de/bau_kunst


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