Parlamentarismus - Kein Auslaufmodell
Gesetze werden zum großen Teil in Brüssel vorbestimmt - und vielerorts wird die Kritik laut, dass dies einen Bedeutungsverlust für die nationalen Parlament im politischen Entscheidungsprozeß mit sich bringt. Von Philosophen wie Jügen Habermas bis hin zu den Verfassungsrichtern Hans-Jürgen Papier und Udo di Fabio wird diese Entwicklung kritisch betrachtet. Doch auch die Dominanz der Exekutive, die starke Rolle des Bundesverfassungsgericht und die große Zahl außerparlamentarischer Gremien unterstützen die These vom "Parlamentarismus als Verfallsgeschichte". Das Wissenschaftsforum (W-Forum) des Deutschen Bundestag beschäftigte sich am Donnerstag, den 14. September mit der Frage: "Parlamentarismus in Europa - Verfalls- oder Erfolgsgeschichte?". Der Gast dieses W-Forums, der Jurist, Armin von Bogdandy, Direktor am Max-Planck-Institut wollte in dieses allgemeine Wehklagen allerdings erst gar nicht einstimmen. Im Gegenteil.
Indiz für das Erfolgsmodell Parlamentarismus
"Wir haben einen Siegeszug des Parlamentarismus in Deutschland und in Europa", sagte er in der vergangenen Woche auf dem Wissenschaftsforum (W-Forum) des Deutschen Bundestages. Das Parlament nehme seine Kernaufgaben sehr fokussiert wahr. Das sind Kreation und Kontrolle von Gesetzgebung, reaktive Einflussnahme und die Herstellung von Öffentlichkeit. Mit Blick auf die politische Entwicklung nach 1989 konstatiert von Bogdandy in Europa einen eindeutigen Machtgewinn statt eines Machtverlusts des Parlamentarismus. Vor 1989 habe es jenseits des Eisernen Vorhangs nur "eine parlamentarische Fassade" gegeben. Die Übernahme des westeuropäischen Modells habe daher nicht nur dort für ein Erstarken des Parlamentarismus gesorgt, so von Bogdandy. Für ihn ein weiterer Beweis seiner Fortschrittsthese. In Westeuropa führt er die Verfassung der V. Republik Frankreichs als Indiz für das Erfolgsmodell Parlamentarismus an. Obwohl gerade diese Verfassungsordnung anfangs eine Entmachtung der Volksvertretung bedeutete, habe sich in der Praxis gezeigt, dass das Parlament hier "verlorenes Terrain zurückerobert hat".
Beispiellose Stärkung des Parlamentarismus
Als Schlusspunkt seiner europäischen Betrachtung führt von Bogdandy den "Kronzeugen der Verfallsthese", die Europäische Integration, an und interpretiert sie auf seine Weise. Zwar schränke die Europäische Verfassung die Kompetenzen der nationalen Parlamente "substanziell" ein. Doch der Machtzuwachs des Europäischen Parlaments sei ein entscheidender Eckpunkt der Europäischen Union. Dies bedeute keine Entmachtung, sondern eine "beispiellose Stärkung des Parlamentarismus im transnationalen Raum", argumentiert von Bogdandy. Allerdings sieht auch er Schwächen des Europaparlaments. Für von Bogdandy, zählt aber vor allem eins: "Dass die parlamentarische Idee gesiegt hat".