"Eine Große Koalition wird es nicht geben"
Die hessische SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Andrea
Ypsilanti schließt eine Große Koalition in Hessen
weiterhin aus. Gegenüber der Wochenzeitung „Das
Parlament“ erklärte sie, die Programme von SPD und CDU
passten nicht zusammen. Außerdem habe Ministerpräsident
Roland Koch einen „spaltenden Wahlkampf“
geführt.
Ypsilanti bekräftigte gleichzeitig, auch mit der Linkspartei
keine Koalition zu bilden wollen. Diese sei ein zu großer
Unsicherheitsfaktor – gerade, wenn man wie in Hessen mit
knapper Mehrheit arbeiten müsse. Koalitionsverhandlungen mit
der FDP würden zwar ebenfalls „nicht einfach“.
Ihrer Ansicht nach ließen sich aber Anknüpfungspunkte
finden, „wenn die FDP ihre Inhalte noch einmal
überprüfen würde“.
Das Interview im Wortlaut:
Frau Ypsilanti, sind Sie die neue Hoffnungsträgerin der
deutschen Sozialdemokratie?
Ich habe, glaube ich, hier in Hessen einen sehr überzeugenden Job gemacht, aber ich lege immer Wert darauf zu sagen, dass ich das mit der gesamten Partei zusammen erreicht habe.
Hat Ihre Stimme in der Bundes-SPD jetzt ein stärkeres
Gewicht?
Das wird sich weisen. Aber ich war ja noch nie leise in der Bundespartei, wenn es darum ging, politische Entscheidungen zu treffen. Auf dem Hamburger Parteitag bin ich mit dem besten Ergebnis in den Parteivorstand gewählt worden, im vergangenen Herbst ins Präsidium und dort hört man natürlich genau hin bei jemandem, der einen solchen Wahlerfolg wie ich hatte und das Ohr direkt an den Bürgerinnen und Bürgern hat. Von daher glaube ich, dass das Wahlergebnis auch Einfluss hat auf die zukünftige Richtung der Partei.
Wie soll die Ihrer Meinung nach aussehen?
Unsere Aufgabe ist es, soziale Gerechtigkeit wieder herzustellen. Wir haben den richtigen Weg schon eingeschlagen auf dem Hamburger Parteitag. Das Wahlergebnis in Hessen ist eine Bestätigung, dass wir dort den richtigen Aufschlag gemacht haben.
Ihre Parteikollegen Steinmeier und Steinbrück sagen, dass die
SPD allein mit sozialen Themen keine Wahl gewinnen kann. Sie wollen
eine breitere inhaltliche Aufstellung.
Genau das haben wir in Hessen gemacht. Wir haben hier einen überzeugenden Weg eingeschlagen und das Ziel „soziale Gerechtigkeit“ mit politischen Konzepten unterlegt, zum Beispiel in der Frage Bildungsgerechtigkeit, beim Mindestlohn, aber auch sehr viel weiter gefasst in der Wirtschaftspolitik. Denn Wirtschaftspolitik ist nicht nur Unternehmenspolitik, sondern auch Politik für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Beim Thema Energiewende haben wir Überzeugungsarbeit bis in die Mitte der Gesellschaft geleistet und hierfür auch viele Stimmen bekommen.
Teilen alle Parteiflügel Ihren Ansatz?
Ich wehre mich immer gegen diese Einordnung links oder rechts oder Mitte. Ich stehe für eine Politik der sozialen Moderne. Wir wollen in Hessen Reformen, die für die Mehrheit der Menschen eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse bringen und sozial untermauert sind. Dieser Ansatz trifft ein breites Spektrum meiner Partei und stößt auch auf große Resonanz in anderen Landesverbänden.
Sie haben sich einmal als „Parteilinke mit Bereitschaft zum
Pragmatismus“ bezeichnet. Wie weit geht Ihr
Pragmatismus bei der Suche nach Mehrheiten für Ihr politisches
Programm?
Der geht so weit, dass ich am 5. April bei der Wahl eine Mehrheit haben will und zwar eine Mehrheit ohne die Linkspartei. Er geht auch so weit, dass ich natürlich an einzelnen Stellen kompromissfähig bin. Wo, das werde ich Ihnen jetzt nicht aufdröseln. Das ist Inhalt späterer Koalitionsrunden. Aber ich sage ganz klar: Die Identitätsthemen meiner Partei – die Bildungsfrage, die Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Energiewende – stehen nicht zur Disposition. Und ich lege großen Wert darauf, dass eine Landesregierung unter meiner Führung die von der SPD entwickelte politische Kultur weiter pflegt.
Warum bleiben Sie bei Ihrem kategorischen Nein gegenüber der
Linkspartei? An den Inhalten können Sie es kaum
festmachen. Sind Ihnen die Akteure zu chaotisch?
Ich will sie nicht als Chaoten bezeichnen. Das finde ich nicht fair, denn ich kenne sie zu wenig. Aber alle sechs, die jetzt in den Landtag einziehen, sind Parlamentsneulinge. Ich weiß nicht, wie sehr sie aus Berlin beeinflusst werden. Es gibt da einfach zu viele offene Fragen. Die Linkspartei ist ein zu großer Unsicherheitsfaktor – gerade, wenn man wie in Hessen mit knappen Mehrheiten arbeiten muss.
Würde ein Einschwenken gegenüber der Linkspartei die
Einheit der hessischen SPD gefährden?
Es gibt innerhalb der Partei viele unterschiedliche Einschätzungen zur Linken. Die gibt es aber auch zur FDP und zur CDU. Ich bekomme im Moment viel Post aus der Partei mit ganz unterschiedlichen Ratschlägen.
Hat eine große Koalition noch eine Chance?
Eine große Koalition wird es nicht geben können und zwar aus drei Gründen. Unsere Programme passen überhaupt nicht zusammen. Dann hat Roland Koch einen spaltenden Wahlkampf geführt – die Plakate, die er geklebt hat, können wir nicht einfach vergessen. Und er hat nicht die gleiche politische Kultur wie wir. Im Übrigen kann ich nicht nachvollziehen, warum er glaubt, er habe einen Regierungsauftrag. Er ist der eindeutige Wahlverlierer und daraus müssen Konsequenzen gezogen werden.
Was wäre, wenn sich das Personaltableau bei der CDU
ändern würde?
Dann müßten Sie die gesamte Parteiführung austauschen. Selbst, wenn Herr Koch geht, gibt es immer noch seinen Fraktionschef Christean Wagner oder seinen Innenminister Volker Bouffier und viele andere, die genauso denken wie er. Die ganze hessische CDU hat die Wahl verloren.
Wollen Sie ein Gespräch mit Roland Koch
führen?
Es wird ein Vier-Augen-Gespräch zwischen Herrn Koch und mir geben. Dabei geht es allerdings nicht um die Frage einer Regierungsbildung. Ich werde zuerst Sondierungsgespräche mit FDP und Grünen führen. Unser Ziel lautet: Eine stabile, handlungsfähige Regierung für fünf Jahre schaffen. So haben es der SPD-Landesvorstand und die Landtagsfraktion jeweils einstimmig beschlossen.
Gibt es in der harten Front, die FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn
aufgebaut hat, Spielraum?
Ich hoffe es. Ich kann nur versuchen, im Gespräch Spielräume zu schaffen.
Warum sollte die FDP sich auf eine Ampel einlassen? Die Liberalen
sind gegen einen Mindestlohn, gegen die Einheitsschule, für
Atomenergie, für Studiengebühren...
Das wird nicht einfach. Ich glaube aber, dass wir Anknüpfungspunkte finden könnten, wenn die FDP ihre Inhalte noch einmal überprüfen würde. Ein Beispiel: Unser Programm für erneuerbare Energien hat weit in die Mittelschicht hinein gewirkt. Es ist ein Riesenprogramm für die mittelständische Wirtschaft. An dieser Stelle muss die FDP überlegen, ob sie sich damit nicht anfreunden kann. Es gibt eine Menge Dinge, die man zusammen tun kann bis hin zum Straßenbau oder ÖPNV.
Halten Sie eine Jamaika-Koalition in Hessen für
realistisch?
Nein, aber da fragen Sie besser die Grünen.
Die Linkspartei möchte wie Sie als eine der ersten
Maßnahmen die Studiengebühren abschaffen. Stimmen Sie da
mit?
Ich werde nicht über Eventualitäten spekulieren. Ich finde es auch nicht okay jetzt Rechen- oder Farben- oder Geschäftsordnungsspiele zu machen. Es geht hier um politische Gestaltung, und die wahrzunehmen, ist mein Auftrag. Ich kann nur wiederholen: Ich arbeite an einer stabilen Mehrheit, die dieses Land regieren kann und in der die Wähler ihr Votum inhaltlich wiederfinden.
Stellen Sie sich am 5. April unter allen Bedingungen zur Wahl oder
nur, wenn Sie diese stabile Mehrheit hinter sich
haben?
Viele Menschen sagen mir, dass Roland Koch nicht weiter regieren darf, und jetzt gucken wir erstmal, zu wie viel Vernunft er fähig ist.
Wenn Sie gewählt werden: Was ist ihre Vision für das
Hessen des Jahres 2013?
Ich möchte eine Politik machen, die für die Bürgerinnen und Bürger transparent ist und es den gesellschaftlichen Gruppen möglich macht, unter einer SPD-geführten Landesregierung das Land mitzugestalten. Ich will eine Bildungspolitik machen, bei der wir hinterher sagen können: Hier werden alle Kinder mitgenommen und hier werden alle Talente gefördert. Alle Schulen sollen die Möglichkeit bekommen, zu einem Haus der Bildung zu werden, in dem Schülerinnen und Schüler bis zum zehnten Schuljahr gemeinsam lernen können. Und alle Eltern sollen 2013 ihr Kind in eine nahe gelegene Ganztagsschule schicken können.
Sie wollen in Hessen die Energiewende einleiten. Was ist ihr Ziel
für diese Legislaturperiode?
Wir setzen in der Tat auf erneuerbare Energien als einen Jobmotor, mit dem wir viele tausend neue Arbeitsplätze schaffen können. Hier können wir Vorreiter für ganz Deutschland werden. Wir wollen mit der Förderung erneuerbarer Energien aus Sonne, Wind, Biomasse, Wasserkraft und Geothermie 2013 so weit sein, dass wir das Atomkraftwerk in Biblis planmäßig abschalten können.
Das Interview führte Jutta Witte