Pauschale Aufhebung von NS-Urteilen gegen Kriegsverräter umstritten
Gegensätzliche Ansichten vertreten Experten in der Frage, ob Urteile gegen Kriegsverräter pauschal und ohne Einzelfallprüfung aufgehoben werden sollen. Das verlangt die Linksfraktion in einem Gesetzentwurf ( 16/3139), der am Montag, dem 5. März 2008 Gegenstand einer Anhörung im Rechtsausschuss war.
Die Linke hatte die Forderung nach einer Aufhebung unter anderem
damit begründet, die Kriegsverräter hätten aus
"zutiefst humanen Gründen gehandelt". Eine Aufhebung der
Urteile sei für die Angehörigen getöteter oder
mittlerweile verstorbener Verurteilter zudem ein wichtiges
moralisches und politisches Zeichen, dass ihre Verwandten nicht
länger als Straftäter gälten, so die
Fraktion.
Motive sorgfältig differenzieren
Professor Sönke Neitzel von der
Universität Mainz spricht sich in seiner Stellungnahme gegen
den Gesetzentwurf aus: Ein solcher Beschluss hätte zur Folge,
dass das opportunistische Verhalten einer über
Einzelfälle weit hinausgehenden Gruppe von Wehrmachtssoldaten
mit dem Gewissensentscheid, etwa eines Hans Oster (deutscher
General und Widerstandskämpfer) auf eine Stufe gestellt werden
würde. Gerade bei einem politisch wie moralisch sensiblen
Thema wie dem Kriegsverrat erfordere das Gebot der
historisch-kritischen Analyse "zwingend" eine sorgfältige
Differenzierung der Motive jener Männer und Frauen, die
Kriegsverrat begingen oder dessen beschuldigt wurden. Neitzel weist
zudem darauf hin, es sei zwingend erforderlich, die
überlieferten 180.000 Akten der Feldgerichte im
Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg ebenfalls
auswerten.
Gegen eine pauschale Lösung
Professor Rolf-Dieter Müller vom
Militärgeschichtlichen Forschungsamt aus Potsdam wendet sich
ebenfalls gegen eine "pauschale Lösung". Durch die bisherigen
Regelungen sei der mögliche Unrechtsgehalt bei
Kriegsverratsurteilen grundsätzlich anerkannt. Durch das
Angebot einer Einzelfallprüfung sei zudem eine angemessene
Berücksichtigung auch des möglichen Strafgehalts der Tat
der Verurteilten vorgesehen. Die Einzelfallprüfung müsse
deshalb nicht als unzumutbar angesehen werden, so Müller in
seiner Stellungnahme.
Rehabilitierung nicht verweigern
Professor Wolfram Wette von der
Universität Freiburg widerspricht dem in seiner Beurteilung:
Die meisten der wegen Kriegsverrats verurteilten Wehrmachtsoldaten
hätten auf unterschiedliche Weise politischen Widerstand gegen
das NS-Regime geleistet; andere hätten verfolgten Juden oder
Kriegsgefangenen geholfen. Wieder andere seien desertiert und zu
den Partisanen übergelaufen. Selbst die einseitig von der
Betrachtungsweise der NS-Militärrichter geprägten Quellen
ließen erkennen, dass die meisten Fälle von
"Kriegsverrat" politisch oder ethisch-moralisch motiviert gewesen
seien. Sie seien Opfer einer willkürlich urteilenden und
gnadenlosen NS-Militärjustiz gewesen. Wettes Fazit: "Wer
Widerstand gegen das verbrecherische NS-Regime für legitim
hält, sollte den wegen Kriegsverrats Verurteilten die
Rehabilitierung nicht verweigern."
Aus ethisch-moralischen Motiven gehandelt
Ludwig Baumann, Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e.V. aus Bremen, pflichtet ihm in seiner Stellungnahme bei: Die Urteile wegen Kriegsverrat müssten aufgehoben werden, weil gerade die Kriegsverräter aus ethisch-moralischen und politischen Motiven und Gründen heraus gehandelt hätten.