Neuregelung des Wahlrechts gefordert
„Keine seltene Ausnahme“
Im Falle eines negativen Stimmengewichts kann ein geringere Zahl von Zweitstimmen für eine Partei günstiger sein, wenn sie in einem Land mehr Direkt- als Listenmandate gewinnt. Hintergrund für dieses Phänomen ist nach Auffassung der Karlsruher Richter das Konzept der Verrechnung von Erst- und Zweitstimmenmandaten im bundesdeutschen Bundeswahlrecht. Der beschriebene Effekt sei keine „sehr seltene Ausnahme“, heißt es in ihrem Urteil, sondern er wirke sich regelmäßig auf das Wahlergebnis aus, wenn bei der Wahl zum Deutschen Bundestag Überhangmandate entstehen.
Zwei Bürger hatten eine Wahlprüfungsbeschwerde gegen die betreffenden Wahlvorschriften im Bundeswahlgesetz eingereicht, der die Richter des Zweiten Senats heute stattgaben.
Richter sehen Verfassungsgrundsätze verletzt
Dem Bundesverfassungsgericht zufolge verletzt der Effekt des negativen Stimmengleichgewichts den Grundsatz der Gleichheit und der Unmittelbarkeit der Wahl. Er führe nicht nur dazu, dass Wählerstimmen bei der Mandate unterschiedlich gewichtet werden, sondern er bewirke auch, „dass der Wählerwille in sein Gegenteil verkehrt wird“.
„Wahlsystem hat sich grundsätzlich bewährt“
Der Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses des Deutschen Bundestages, Thomas Strobl, erklärte dazu in einer Pressemitteilung: „Trotz der Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts zum Phänomen des negativen Stimmgewichts ist festzuhalten, dass sich unser Wahlsystem, das seit nunmehr 50 Jahren die Grundlage für Wahlen zum Deutschen Bundestag bildet und das der Bevölkerung vertraut ist, grundsätzlich bewährt hat. Hieran hat auch das Bundesverfassungsgericht festgehalten und die Bundestagswahl von 2005 nicht für ungültig erklärt.“
Strobl sicherte jedoch zu, dass der Deutsche Bundestag in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung das Verfassungsgerichtsurteil eingehend auswerten werde. „Der Gesetzgeber wird dann die notwendigen Schritte unternehmen, um das Bundeswahlgesetz an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts anzupassen“, so der Ausschussvorsitzende. Für eine detaillierte Stellungnahme sei es noch zu früh.
Frist bis Juni 2011
Der „Wahlfehler“ betreffe insgesamt nur wenige Mandate des Deutschen Bundestages. Die bisherige Rechtslage könne daher für eine angemessene Übergangszeit von Verfassung wegen gebilligt werden. Spätestens zum 30. Juni 2011 ist der Gesetzgeber jedoch aufgefordert, das Bundeswahlgesetz neu zu regeln.