Wege in die Politik
Damenschneiderin und Förster, Dolmetscherin und Winzer -
die Abgeordneten im Bundestag kommen aus ganz verschiedenen
Berufen. Die am häufigsten vertretene Berufsgruppe bilden mit
23 Prozent die Juristen. Der Rest der insgesamt 612 Abgeordneten
hat in 121 anderen Berufen und Berufungen Erfahrungen gesammelt.
Eine kleine Vorstellungsrunde...
Die Schlosserin: Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE.)
Es war 1979, als Eva Bulling-Schröter von einer Umfrage
hörte, in der behauptet wurde, Mädchen könnten nicht
in Metallberufen arbeiten. Die absurde Begründung dafür
lautete: zu kurze Daumen. Eva Bulling-Schröter entschloss
sich, den Gegenbeweis anzutreten. Damals hatte sie bereits in
verschiedenen Betrieben des Handels und der Metallverarbeitung
gearbeitet. Die Ingolstädterin unterschrieb einen
Ausbildungsvertrag bei Audi und machte dort bis 1981 eine Lehre zur
Betriebsschlosserin. "Es war zu dieser Zeit nicht gerade
üblich, dass Mädchen in solchen Berufen arbeiten", sagt
die 52-Jährige heute. Doch Bulling-Schröter stand ganz
selbstverständlich an der Werkbank, wo sie Metallteile
fräste, schleifte, sägte und feilte.
Erste Frau mit Gesellenbrief
Den Gesellenbrief zur Betriebsschlosserin erhielt sie als erste
Frau überhaupt beim Autohersteller Audi. "Die Männer im
Betrieb waren solidarisch, obwohl manch einer heimlich
schmunzelte." Ab 1985 arbeitete sie als Montageschlosserin bei einem
Spinnereimaschinen-Hersteller in Ingolstadt. Bis zur Endverpackung
baute sie die Maschinen zusammen. Dort begann sie auch ihr
ehrenamtliches Engagement als
Betriebsrätin, stand aber weiterhin jeden Tag mit Hammer und
Schraubenzieher an der Werkbank.
Große Umstellung im Bundestag
Politisch aktiv wurde Eva Bulling-Schröter 1974. Sie trat
in die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) ein und engagierte sich
zudem in der IG Bau-Steine-Erden. Nach der Wiedervereinigung
Deutschlands trat sie in die PDS ein. 1994 wurde sie
Bundestagsabgeordnete. "Das war eine riesige Umstellung",
erzählt Eva Bulling-Schröter. "In den ersten Wochen war
ich morgens viel zu früh im Büro, wenn der Bundestag noch
ganz leer war. Aus dem Maschinenbau war ich ganz andere
Arbeitszeiten gewohnt." Außerdem hatte sie keine
parlamentarische Erfahrung. Die sammelte sie zuerst im
Petitionsausschuss. In der PDS-Fraktion wurde sie umweltpolitische
Sprecherin und Beauftragte für Tierschutz.
Zurück an die Werkbank
Im Jahr 2000 wurde Eva Bulling-Schröter zur bayerischen
Landessprecherin der PDS gewählt. Doch als ihre Partei bei der
Bundestagswahl 2002 an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte,
kehrte die Abgeordnete wieder in den Ingolstädter Betrieb
zurück. "Anfangs war das schwierig. Schließlich ist die
Arbeit in der Werkshalle eine ganz andere körperliche
Belastung." Die Umstellung brauchte Zeit. "In den ersten Wochen bin
ich abends tot ins Bett gefallen." Nach einer Weile habe ihr die
körperliche Arbeit dann wieder so viel Spaß gemacht wie
vorher. Außerdem, gesteht die Betriebsschlosserin, habe sie
damit beweisen wollen, dass sie sowohl in der Politik als auch in
der Montage arbeiten
könne.
Expertin für Umweltfragen
Drei Jahre später kehrte Eva Bulling-Schröter mit der
Linkspartei in den Bundestag zurück. Seitdem arbeitet die
Abgeordnete im Umweltausschuss, wo sie stellvertretende Vorsitzende
ist. Dort profitiert sie von ihren Kenntnissen über
Umweltschutz, die sie als Betriebsrätin im
Spinnereimaschinenbau gewonnen hat. Auch ihr Spezialwissen
über Montage und Maschinenbau ist bei der parlamentarischen
Arbeit nützlich. "Als die so genannte Alt-Auto-Verordnung im
Bundestag debattiert wurde, war es von Vorteil, schon einmal ein
Auto zusammengebaut zu haben." Auch bei EU-Richtlinien, die sich
mit Werkstoffen befassen, kann sie als Metallexpertin Auskunft
geben. Über die Jahre kam viel Fachwissen aus anderen Gebieten
dazu, etwa über den Emissionshandel oder die Europäische
Chemikalienverordnung.
Für Chancengleichheit
Jenseits des Umweltbereichs engagiert sich Bulling-Schröter
für Themen wie Chancengleichheit und Vereinbarkeit von Beruf
und Familie. Eine männliche Abgeordnetenbank konnte sie nie
beeindrucken: "In den 90er-Jahren arbeiteten in der Werkshalle
achtzig Männer und zwei Frauen, eine davon war ich. Ich bin
einiges gewohnt." Auch im Frauenausschuss der IG Metall habe sie
anderen Frauen Mut gemacht, in der Metallindustrie zu arbeiten -
gerade heute, wo es reine "Männerberufe" gar nicht mehr gebe,
weil Kräne das Heben schwerer Gegenstände
übernähmen.