Wege in die Politik
Damenschneiderin und Förster, Dolmetscherin und Winzer - die Abgeordneten im Bundestag kommen aus ganz verschiedenen Berufen. Die am häufigsten vertretene Berufsgruppe bilden mit 23 Prozent die Juristen. Der Rest der insgesamt 612 Abgeordneten hat in 121 anderen Berufen und Berufungen Erfahrungen gesammelt. Eine kleine Vorstellungsrunde...
Der Lokomotivführer: Detlef Müller (SPD)
Schon als kleiner Junge steuerte Detlef Müller seine Modelleisenbahn stundenlang über Miniaturgleissysteme und wusste genau, dass er später mal Lokführer werden würde. Müller, geboren 1964 in Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz, begann dann auch 1981 seine Ausbildung zum Lokomotivführer, zwei Jahre später fuhr er die Loks der Deutschen Reichsbahn, fuhr von Chemnitz aus nach Leipzig, Dresden und Erfurt. So weit die Schienen in der DDR reichten.
Die Westbahn kommt
Zuerst führte er Dieselloks, später E-Loks. Mit der Wende erlebte Müller den Wechsel zur Deutschen Bahn. "Das war ein kompletter Umbruch", erzählt der heute 44-jährige Bundestagsabgeordnete. Neue Technologien und die Vernetzung durch Computer sollten verhindern, dass die Bahn im Osten des Landes aufs Abstellgleis geriet. "Und es gab nicht mehr so viele Leerlaufzeiten, die Arbeitszeit wurde viel effektiver genutzt."
Die erste freie Wahl
Mit der Wiedervereinigung kamen 1990 auch die Wahlen. "Das waren die ersten demokratischen, freien und geheimen Wahlen in Sachsen." Detlef Müller war so begeistert, dass er Wahlhelfer wurde. Sein Interesse für die Politik wurde schlagartig geweckt, er trat in die SPD ein. Neben seiner berufsbegleitenden Weiterbildung zum Ausbilder für Lokomotiv- und Triebfahrzeugführer begann er, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren. 1994 wurde er in den Stadtrat gewählt, von 1999 bis 2005 war er Fraktionsvorsitzender. Auch beruflich ging es bergauf. 2002 wurde er Teamleiter "Fahrzeuge und Personal" bei der Erzgebirgsbahn in Chemnitz. Nun war er für das Zugpersonal und die Technik verantwortlich, fuhr aber weiterhin auch selbst.
Streckenweise schwierig
Dass er einmal in den Bundestag einziehen würde, hatte er sich insgeheim gewünscht, aber nie wirklich damit gerechnet. Im Jahr 2005 dann, bei der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag, wurde dieser zweite seiner beruflichen Träume wahr. Doch frei von Hindernissen war dieser Weg nicht. "Der Wechsel in den Bundestag war streckenweise schwierig", sagt der SPD-Abgeordnete. "Ich kam aus einem Beruf, bei dem man auf Effektivität und Schnelligkeit getrimmt wurde, in den 'großen Betrieb' Bundestag, wo die Entscheidungen oft länger dauern."
Experte für Verkehrsfragen
Doch seine Fähigkeiten als Lokführer helfen ihm heute dabei, Bundestagspolitik zu machen. "Lokomotivführer sind vor allem verantwortungsbewusst und das hilft im politischen Betrieb." Nur dass er nicht mehr Entscheidungen für Hunderte Passagiere treffe, sondern für über 80 Millionen Bürger.
Sein früherer praktischer Beruf sei ihm in vielerlei Hinsicht von Vorteil, so der Abgeordnete. "Beschlüsse klopfe ich erst mal auf ihre Praxistauglichkeit ab." Bei Debatten und Initiativen, welche die Deutsche Bahn oder die Verkehrsinfrastruktur betreffen, kann Müller als Experte dienen und aus seinem eigenen Erfahrungsschatz schöpfen.
Mit dem Zug in den Bundestag
Trotz seines Arbeitsplatzes im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestags ist der SPD-Abgeordnete seiner Heimatstadt treu geblieben. Am Wochenende fährt er zurück in seinen Wahlkreis Chemnitz - mit dem Zug natürlich. "Als Lokomotivführer braucht man eine Basisstation." Dabei betont er gerne die kulturellen Möglichkeiten von Chemnitz, "einer der erfolgreichsten Wirtschafts-, Technologie- und Innovationsstandorte in Ostdeutschland." Viele würden lediglich den Fußballer Michael Ballack kennen, der schon in den 80er-Jahren beim FC Karl-Marx-Stadt kickte. Oder das Erzgebirge. Einige Bundestagskollegen, so Müller, habe er aber schon zum Besuch nach Chemnitz gelockt.
In den tiefen Osten
Nachdem er alle möglichen Bahnen gefahren ist, erst die Modelleisenbahn, schließlich die Fahrzeugflotte der Deutschen Bahn, fehlt nur noch eine: die Transsibirische Eisenbahn. Zumindest als Passagier möchte Müller darin einmal mitfahren: "Bis ganz tief in den Osten."