"Ich bekomme noch heute eine Gänsehaut"
Herr Brähmig, warum haben Sie sich vor knapp 20 Jahren
entschieden, für den Bundestag zu kandidieren?
Zu der Zeit, also kurz nach der Wende, herrschte eine große Euphorie. Wir Ostdeutschen, die wir so lange hinter dem Stacheldraht und mit der Diktatur gelebt hatten, wollten den Neuanfang mit gestalten. Seit Mitte der 80er-Jahre war ich der festen Überzeugung, dass das Regime nicht mehr ewig überleben würde. Als die Wende kam, wollte ich den Scherbenhaufen beseitigen und mit anpacken, um aufbauen zu helfen. Ich hatte mich schon kommunalpolitisch engagiert und saß im Richterwahlausschuss des Freistaates Sachsen. Das hatte mich bestärkt, mich weiter zu verpflichten.
Was war das für ein Gefühl, als Sie das erste Mal
als Abgeordneter im Plenarsaal saßen?
Das kann ich nicht beschreiben, das war wie Ostern, Pfingsten, Weihnachten, Himmelfahrt, Hochzeit und Konfirmation zusammen. Das habe ich erst hinterher realisiert, vor allem, als ich 1994 den ersten Bundespräsidenten mitwählen konnte. Es ist für mich auch heute noch jedes Mal ein Ereignis, von meinem Abgeordnetenbüro, das einige hundert Meter Luftlinie vom Reichstagsgebäude entfernt liegt, durch das Brandenburger Tor zum Plenarsaal zu gehen. Da bekomme ich immer noch eine Gänsehaut.
Wovon handelte Ihre erste Rede?
Das müsste eine Rede zum Umzug des Bundestages von Bonn nach Berlin gewesen sein. Ich habe sie, glaube ich, nur zu Protokoll geben können, es waren zu viele Redner vor mir. Übrigens hatte ich mich damals dafür ausgesprochen, in Bonn zu bleiben. Wenn ich aber heute die Entscheidung noch mal treffen müsste, würde ich mich für Berlin entscheiden.
Es heißt häufig, die wichtigen Entscheidungen
würden hinter den Kulissen fallen. Wie viel Zeit verbringen
Sie im Plenarsaal im Vergleich zu Arbeitsgruppen,
Fraktionssitzungen und ähnlichem?
Ich verbringe relativ viel Zeit im Plenarsaal, denn seit sieben Jahren bin ich Schriftführer unserer Fraktion und für die Landesgruppe Sachsen. Und da muss ich natürlich an den Abstimmungen teilnehmen. Das Reden selber ist aufgrund meines Fachbereiches Tourismus eher eingeschränkt, da bieten sich nicht so viele Möglichkeiten wie zum Beispiel in den Bereichen Verteidigung oder Haushalt. Ich schätze, ich verbringe je ein Viertel meiner Zeit im Plenarsaal, im Ausschuss, in der Arbeitsgruppe und mit sonstiger Büroarbeit einschließlich dem Empfang von Besuchergruppen. Nur für die Freizeit bleibt nichts übrig.
Welche Plenarsitzung war die für Sie
bedeutendste?
Die Abstimmung zum Umzug nach Berlin war natürlich sehr interessant. Dann auch die Debatten zu Abtreibung und Stammzellenforschung. Vor allem aber finde ich die Entscheidungen zu Krieg und Frieden bedeutend.
Gibt es denn etwas, woran Sie sich auch nach den vielen
Jahren im Bundestag nicht gewöhnt haben?
Nein, ich habe ja schon eine gewisse Routine. Ich habe gute Mitarbeiter und Berater, die mich unterstützen. Was ich mir wünschte, wäre vielleicht ein bisschen mehr Freiheit im Ablaufplan, damit man das Private nicht immer unter den Teppich kehren müsste.