"Wir müssen in Verteidigungsfragen unabhängiger werden"
Vom 2. bis 4. Dezember 2008 findet in Paris die Tagung der Europäischen Versammlung für Sicherheit und Verteidigung statt. Der Bundestag entsendet 18 Delegierte in das Gremium, das 1954 als parlamentarische Vertretung der Westeuropäischen Union (WEU) gegründet wurde und dem heute alle EU-Mitgliedstaaten angehören. Im Interview äußert sich Gerd Höfer (SPD), Leiter der deutschen Delegation und Vizepräsident der Versammlung, über deren Aufgaben, das Verhältnis zu Brüssel und die Perspektiven der EU-Missionen.
Herr Höfer, im Europäischen Parlament gibt es einen Auswärtigen Ausschuss und einen Unterausschuss Verteidigung. Wozu braucht es da noch eine eigene parlamentarische Versammlung der EU-Mitgliedstaaten zu Fragen der europäischen Sicherheit und Verteidigung?
Weil von einer echten parlamentarischen Vertretung im
Verteidigungsbereich auf europäischer Ebene leider keine Rede
sein kann. Die Kompetenzen des Europäischen Parlaments auf
diesem Gebiet sind sehr begrenzt.
Inwiefern?
Nun, der Unterausschuss Verteidigung etwa hat keine
Haushaltshoheit über die Verteidigungsausgaben. Zudem sind
seine Mitglieder den Interessen Europas verpflichtet. Damit bleiben
die nationalen Parlamente, die ja immerhin die Finanzierung der
EU-Missionen
sicherstellen, beim Dialog über die europäische
Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP)
auf EU-Ebene
außen vor. Umso wichtiger ist es, dass wir diesen Dialog
führen und versuchen, auf die Gestaltung der ESVP
in Brüssel Einfluss zu nehmen.
Dennoch sehen Kritiker die WEU als Auslaufmodell, das spätestens nach Verabschiedung einer europäischen Verfassung überflüssig sein wird. Teilen Sie diese Auffassung?
Nein. Die Verfassung sieht einen europäischen
Außenminister vor und die Übertragung bestimmter
Aufgaben der Sicherheitspolitik auf die europäische Ebene.
Gerade die Frage des nationalen Souveränitätsverlustes in
diesem sensiblen Bereich betrachten viele EU-Mitglieder mit Skepsis. Eine
umso wichtigere Rolle könnte die Versammlung spielen als ein
Gremium, in dem sich die nationalen Parlamente miteinander und mit
Brüssel über die europäische Verteidigungspolitik
austauschen. Allerdings müsste ihre Stellung deutlich
aufgewertet werden.
Warum?
Weil wir uns zurzeit von Brüssel nicht ganz ernst genommen
fühlen. Den Hohen Vertreter für die Gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik der EU, Javier Solana, etwa haben wir
schon lange nicht mehr auf einer unserer Tagungen gesehen. Das ist
schade, weil die Zusammenarbeit mit den Abgeordneten aus den
Mitgliedsparlamenten - alles Experten auf dem Gebiet der
Außen- und Sicherheitspolitik - sehr gut funktioniert. Unser
Ziel ist es, die Versammlung zu einem echten Beratungsgremium in
Fragen der ESVP
zu machen - auch und gerade für die EU-Kommission.
Um verschiedene Aspekte der ESVP wird es auch auf der aktuellen Tagung in Paris gehen. Welches Thema ist Ihrer Meinung nach dabei von besonderer Bedeutung?
Sehr gespannt bin ich auf einen Bericht über die
sicherheitspolitische Dimension im Nordpolargebiet, der auf
Drängen Norwegens vorgestellt wird. Denn dieses unter
Umweltgesichtspunkten sehr sensible Gebiet, in dem große
Mengen an Erdöl und Erdgas vermutet werden, stand bislang
überhaupt nicht im Fokus sicherheitspolitischer
Erwägungen. Das wird sich aber aufgrund des Klimawandels bald
ändern.
Sie selbst werden in Paris der Versammlung einen Bericht über den aktuellen Stand der insgesamt zwölf Missionen vorstellen, die derzeit von der EU weltweit unterhalten werden. Zu welchem Ergebnis kommen Sie darin?
Dass die EU in Verteidigungsfragen unabhängiger von den Strukturen der NATO werden muss, um sich bei Konflikten, in denen die NATO als Ganzes nicht aktiv werden will, ihre Handlungsfähigkeit zu bewahren. Denn eine eigenständige Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist Voraussetzung dafür, dass die EU auf internationaler Ebene wahr- und ernst genommen wird. Inwieweit der Ministerrat diese Empfehlung allerdings beherzigen und umsetzen wird, bleibt abzuwarten.