JUGEND UND PARLAMENT
Schüler spielen Entscheidungsprozesse in der EU nach
"Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, die Würde dieses Hauses zu wahren"- entschlossen rügt der Abgeordnete der Konservativen Volkspartei (KVP) seine Kollegen, als die Debatte im Plenum droht, aus dem Ruder zu laufen. Der geplante Austausch von Daten innerhalb der Europäischen Union erhitzt die Gemüter: Von "Politikern als Überwachungsterroristen" sprechen die Oppositionsparteien, jeweils unter tosendem Beifall ihrer Fraktionskollegen. Die Regierung wiederum verteidigt ihr Vorhaben mit der Gefahr vor Terroranschlägen. So viel jugendliche Leidenschaft im Plenum zeigt: Statt der alteingesessenen Hausherren sitzen Nachwuchspolitiker unter 20 Jahren in den Reihen des Bundestages.
"Jugend und Parlament" heißt das Planspiel, das zum 17. Mal vom Bundestag organisiert wurde. 304 Jugendliche aus dem ganzen Bundesgebiet nahmen daran teil. Vom 16. bis 19. Juni spielten die 16- bis 20-Jährigen das nach, was sie sonst nur aus dem Fernsehen kennen - im Jahr der deutschen Ratspräsidentschaft natürlich mit europapolitischem Bezug. Ein Antrag zur Heranführung "Balkoniens" an die EU musste ebenso beraten werden wie ein Vorschlag zum Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten. Weiterhin diskutierten die Jungparlamentarier über einen EU-einheitlichen Führerschein und einen Gesetzentwurf zum Immissionsschutz. Eine echte Agenda also und politisch korrekte Rhethorik in den Fraktionssitzungen - aber ist Europa dadurch für die Jugendlichen näher gerückt? "Wir haben zwar Europa-Themen behandelt, jedoch in den nationalen Entscheidungsstrukturen. Ich habe jetzt mehr Verständnis für die politische Arbeit, aber meine Einblicke in die EU haben sich nicht verbessert", meint Gina Garotti aus Hessen am Ende. Im Spiel war sie Mitglied der "Ökologisch Sozialen Partei" (ÖSP), einer Oppositionspartei. Es sei ernüchternd zu erfahren, wie wenig am Ende der langen Arbeit realisiert werde und wie starr die Parteigrenzen verliefen, erzählt die 19-Jährige weiter. Ihr Parlamentskollege Martin Krahl (17) glaubt dagegen, die Macht deutlicher gespürt zu haben. Als Abgeordneter der Regierungspartei APD (Arbeiterpartei Deutschlands) in einer Großen Koalition habe er gelernt, nach "vorne zu preschen", um seine Meinung einbringen zu können. "Insgesamt verstehe ich die Europapolitik besser. Problematisch sind die langwierigen Prozesse und die kleinschrittige Detailarbeit,"so der Schüler. Den Jugendlichen lagen bei der Podiumsdiskussion mit den "echten" Fraktionsvorsitzenden vor allem Probleme wie Demokratie und Transparenz in der EU am Herzen. Zwar weichten beim anschließenden Applaus die Fraktionsgrenzen nur langsam auf, eines jedoch wurde spätestens auf der Abschluss-Pressekonferenz der Jugend-Fraktionsführer deutlich: Auch in Zeiten einer Großen Koalition können aus den politischen Gegnern schnell wieder echte Freunde werden.