Frankreich
Sarkozy hat eine bequeme Parlamentsmehrheit. Dennoch musste er seine Mannschaft umbilden.
Selbst für Nicolas Sarkozy wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Schneller als erwartet war die Schonfrist des neuen französischen Präsidenten abgelaufen. In der Finalrunde der Parlamentswahlen, die nach den Voraussagen der Demoskopen Frankreichs politische Landkarte in den Parteifarben der Konservativen eigentlich blau einfärben sollte, winkten die Wähler Sarkozys Lager schon einmal dezent mit der gelben Karte. "Monsieur le président, bei aller Liebe, übertreiben Sie nicht", lautete die klare Botschaft.
Am Ende dieses Super-Wahljahrs, das Sarkozy nach Belieben zu dominieren schien, korrigierten Frankreichs Wähler auf der Zielgeraden die Richtung, stärkten die oppositionellen Sozialisten, die eigentlich schon geschlagen am Boden lagen und nur noch den Knockout erwarteten. So manchem Wähler dürfte kurz vor Toresschluss die Vorstellung eines politisch weithin einseitig eingefärbten Parlaments verschreckt haben, das zur reinen Abnick-Kammer für die Vorgaben aus dem Elysée-Palast verkommen würde.
Und überdies haben wohl auch hausgemachte Fehler der neuen Regierung kräftig mit dafür gesorgt, dass Sarkozys Wahlkampfmaschine auf den letzten Metern überraschend ins Stocken geriet: Zwischen zwei Wahlgängen über eine höhere Mehrwertsteuer zu philosophieren, die jeder am eigenen Portemonnaie spüren würde, goutieren nur die wenigsten Wähler. Ein wenig hatte es überdies den Anschein, als hätten Frankreichs Wähler plötzlich Angst vor der eigenen Courage bekommen, ihrem neuen Übervater Sarkozy einen Blankoscheck auszustellen. Reformen ja, aber bitte nur unter der Bedingung, selbst verschont zu bleiben, lästerte das Pariser Weltblatt "Le Monde" über den Zickzack der Wähler.
Dramatisch sind diese ersten Schrammen im präsidialen Lack freilich nicht. Sarkozy, selbst mit überzeugender Mehrheit bei einer Rekord-Wahlbeteiligung Anfang Mai ins Amt gewählt, verfügt in der neuen Nationalversammlung über eine solide klare Mehrheit, von der seine koalitionsgefesselte deutsche Kollegin jenseits des Rheins nur träumen kann. Sein ehrgeiziges Reformprogramm kann er nun, ohne vorab Konzessionen machen zu müssen, durchziehen. Im Parlament, im Senat, im Verfassungsgericht - überall stellen die Konservativen die Mehrheit. Selten war ein französischer Präsident so mächtig wie Monsieur Sarkozy zu Beginn seines Fünfjahresvertrags. Dass die Franzosen überdies einer amtierenden Regierungspartei zum ersten Mal seit fast 30 Jahren wieder eine derartige Traum-Mehrheit bescherten, rundet seinen ganz persönlichen Triumph noch ab.
In der Defensive sah sich der Sieger dennoch. Das Scheitern seines Super-Ministers für Umwelt und nachhaltige Entwicklung, Alain Juppé, Chiracs einstiger Kronprinz, der im heimischen Bordeaux seinen Wahlkreis gegen eine landesweit noch unbekannte Sozialistin knapp verlor, wirbelte die fein austarierte Regierungsarithmetik durcheinander, zwang Sarkozy und Premier Francois Fillon schon zur ersten Regierungsumbildung nach nur vier Wochen. Ein glanzvoller Start in eine neue Ära sieht gemeinhin anders aus.
Gestärkt nach beiden Wahlgängen sieht sich freilich das Parlament. 54 Abgeordnete mehr als noch in der letzten Wahlperiode lässt die sozialistische Opposition, die mit Blick auf die Kommunalwahlen im nächsten Jahr wieder Morgenluft wittert, plötzlich mit breiter Brust dastehen. Gegenrede, kontroverse Debatten haben auch künftig in der Nationalversammlung ihren Stellenwert. Die Rolle der Opposition müssen nicht allein die mobilisierungsstarken Gewerkschaften und linksradikale Fußtruppen übernehmen. Das ist im notorisch protestfreudigen Frankreich schon ein Wert an sich. Und überdies ist Sarkozy offenkundig klug genug zu wissen, dass auch absolute parlamentarische Mehrheiten im streikfreudigen Frankreich keine Garantie dafür sind, politische Vorhaben auch durchzusetzen.
Die Öffnung nach links und in die Mitte, die Berufung sozialistischer und rechtsliberaler Politiker in die Regierungsriege, ist ein taktisch geschickter Schachzug mit Blick auf die Proteste, die nach den Sommerferien im Herbst so sicher kommen werden wie das Amen in der Kirche. Entsprechend hoch schäumte die Wut bei den Sozialisten, als Sarkozy mit dem "french doctor" Bernard Kouchner ausgerechnet einer populären Symbolfigur der Linken erfolgreich das prestigeträchtige Außenministerium andienen konnte.
Zu diesem Öffnungskurs passt, dass Sarkozy als erster Präsident im Nachkriegs-Frankreich vor die Nationalversammlung treten will, um vor den gewählten Vertretern der Franzosen seine Politik zu erläutern. Mancher sagt auch spöttisch: um sie noch mehr an die Kandare zu nehmen. Eine Verfassungsänderung für diesen Schritt, den Republik-Gründervater Charles de Gaulle noch verabscheut hätte, ist dafür nötig. Mehr noch: Versprochen hatte Sarkozy im Wahlkampf überdies, der Opposition den Vorsitz im Haushaltsausschuss zu überlassen. In den eigenen Reihen sorgt das für hörbares Grummeln. Bemerkenswerte Schritte sind das indes, die der bislang so abgehobenen republikanischen Monarchie weitere Zacken aus der Krone brechen werden.
Ein neuer, weniger pompöser Stil beim Nachbarn zieht da erkennbar ein. Nur das Parlament selbst hinkt hinterher. "Auch die Nationalversammlung spiegelt das wirkliche Frankreich nur unzureichend", stellte der Politikwissenschaftler Olivier Costa nüchtern fest. Mehrheitlich männlich und weiß, über 50 Jahre, diplomiert und überwiegend im Staatsdienst beschäftigt - so sieht das Profil des Durchschnitts-Abgeordneten auch im neuen "Palais Bourbon" aus. Ein gemischteres Parlament, so der Politikforscher, wäre zwar nicht mächtiger, aber sicherlich lebendiger.
Immerhin: Der Anteil weiblicher Abgeordneter stieg von 76 auf 107. Gut 18 Prozent aller Abgeordneten sind inzwischen Frauen - eine nach wie vor eher magere Quote, die Frankreich im Weltmaßstab freilich trotzdem einen Sprung nach vorn, auf Platz 58 zwischen Kolumbien und Nicaragua, machen lässt. Sarkozy ist da schon wieder einen Schritt voraus. Frauen besetzen in seiner Regierung die Hälfte der Ministerposten. Für Frankreich, Jahrhunderte lang das Land der alten Patriarchen, ist allein dies schon ein kräftiger Kultursprung.