Pflege
Die Koalition einigt sich auf einen Minimalkompromiss und wird prompt von der Opposition gescholten. Und was hat das mit der Wirklichkeit in deutschen Heimen zu tun?
Manchmal überholt das Parlament sich selbst. Noch bevor sich die Spitzen der Großen Koalition in der vergangenen Woche nach monatelangen Verhandlungen auf einen Minimalkompromiss zur Reform der Pflegeversicherung einigten, hatte der Gesundheitsausschuss das Thema schon auf die Tagesordnung einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses gesetzt. Freilich beschäftigten sich Abgeordnete und Experten noch nicht mit den Vorschlägen von Union und SPD - die müssen erst in einen Gesetzentwurf gegossen werden, sondern mit einem knapp eineinhalb Jahre alten Antrag der FDP-Fraktion zur Entbürokratisierung der stationären Pflege ( 16/672 ).
Die Anhörung am 20. Juni bot einen beunruhigenden Einblick in die deutsche Pflegewirklichkeit: Übereinstimmend beklagten Wohlfahrts- und Sozialverbände, dass die Angestellten in den Heimen zu wenig Zeit für die Pflegebedürftigen hätten. Vorlesen, ein Glas Wasser reichen, zuhören, im Rollstuhl an die frische Luft - was selbstverständlich sein sollte - ist offenbar oftmals unerreichbarer Luxus. Nicht mehr als satt und sauber? Die stationäre Pflege in Deutschland werde schlechter geredet als sie sei, sagte der Bundesgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Alten- und Behindertenhilfe (VDAB), Michael Schulz, dieser Zeitung. Gleichwohl verwies er darauf, dass Fachkräfte in Pflegeheimen nur rund die Hälfte ihrer Arbeitszeit für die unmittelbare Pflege verwenden könnten. Die andere Hälfte gehe für Pflegedokumentation, Qualitätsprüfungen, Gespräche mit Angehörigen, Fortbildungen und Ähnliches drauf. Die Situation ließe sich ganz leicht verbessern, betonte Schulz, "Betreuungspersonal einstellen". Das müssten gar nicht unbedingt Pflegefachkräfte sein. Beispielsweise könnten auch Sozialarbeiter die zeitaufwändigen Gespräche mit Angehörigen übernehmen. Aber mehr Mitarbeiter werden auf absehbare Zeit Wunschtraum bleiben. Zumindest seien mit der geplanten Reform aber keine Kürzungen der Zuschüsse im stationären Bereich verbunden, so Schulz.
Die Altenpflegereferentin des Deutschen Caritasverbandes, Elisabeth Fix, machte in der Anhörung auf das Problem von Doppel- und Mehrfachprüfungen aufmerksam. Sie erläuterte, der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) und die Heimaufsichten prüften denselben Sachverhalt oftmals innerhalb weniger Wochen mit unterschiedlichen Ergebnissen. Dies bedeute einen enormen bürokratischen Aufwand für die Einrichtungen. Sie schlug vor, die Zuständigkeiten für bestimmte Prüfbereiche klar zu trennen. Das befürworteten auch die Spitzenverbände der Pflegekassen. So solle die Heimaufsicht eine so genannte Basisprüfung vornehmen, ob die Pflege und Betreuung in einem Heim fachgerecht erfolge. Aufgrund dieses Ergebnisses müsse der MDK dann spezielle Bereiche in einem Heim prüfen.
Im Eckpunktepapier zur Pflegereform findet sich dazu nichts; wie auch nichts zu einer Reduzierung der rund 900 einschlägigen Kontrollvorschriften allein für Pflegeeinrichtungen, auf die der Deutsche Evangelische Verband für Altenarbeit hinwies. Wohl aber wurde von der Koalition die Forderung des MDK aufgegriffen. "Die Prüfberichte des MDK werden in verständlicher Sprache aufbereitet und veröffentlicht. Damit wird Transparenz hinsichtlich der qualitativen Leistungsfähigkeit der Einrichtungen für den Bürger geschaffen", heißt es im Eckpunktepapier. "Das schafft Qualitätswettbewerb", kommentierte der Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen, Peter Pick, zufrieden. "Transparenz ist gut, aber Papier ist geduldig", konterte Michael Schulz. Transparenz lasse sich nicht staatlich verordnen.
Bevor es aber in die Details der Reform geht, werden in den nächsten Wochen, bis der Gesetzentwurf vorliegt, ihre Grundlagen die Diskussion bestimmen. Einen Vorgeschmack auf die anstehenden harten Auseinandersetzungen bot unmittelbar nach der Anhörung eine von den Grünen beantragte Aktuelle Stunde zum Pflegekompromiss.
Die Pflegeexpertin der Grünen, Elisabeth Scharfenberg, monierte: "Der Berg kreiste und gebar eine Maus, nein, ein Mäuschen." Der Sozialexperte der Linksfraktion, Ilja Seifert, sagte, die für Demenzkranke vorgesehenen bis zu sieben Euro pro Tag stellten für Angehörige keine wirkliche Verbesserung dar. Der FDP-Abgeordnete Heinz Lanfermann warf der Koalition vor, "die junge Generation als Geisel" zu nehmen, indem sie den Aufbau einer kapitalgedeckten Pflegeversicherung verhindere.
Die Gesundheitsministerin wies die Kritik zurück. Schmidt warnte davor, beim Streit um die finanziellen Belastungen Alt gegen Jung auszuspielen. "Auch die Jungen profitieren davon, dass die Alten dieses Land aufgebaut haben", sagte sie. Wie Schmidt wies auch Unions-Pflegeexperte Willi Zylajew (CDU) auf geplante Verbesserungen für Pflegebedürftige hin, etwa die Schaffung wohnortnaher Pflegestützpunkte.
In Sachen Finanzreform heißt es erst einmal: Weiter dümpeln. Frühestens nach der nächsten Bundestagswahl wird die Finanzierung der Pflegeversicherung auf dauerhaft tragfähige Beine gestellt; wenn neue Mehrheitsverhältnisse das hergeben. Monika Pilath z
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