FDP-PARTEITAG
Wohin soll es gehen bei der Bundestagswahl 2009? Auf jeden Fall in die Regierung. Dafür zieht die FDP nicht nur CDU/CSU in Betracht. Doch wie stehen die Chancen für ein rot-gelbes Bündnis?
Rainer Brüderle war die Frage sichtlich lästig. Geduldig hatte sich der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP in der Halle neben dem Plenum an einen Tisch gesetzt, einen Espresso bestellt und auf Fragen gewartet. Doch schon bei der ersten - der nach einem Koalitionspartner der FDP nach der Bundestagswahl 2009 - verzog er den Mund und antwortete dann nur noch in knappen Sätzen. "Ich seh' uns bei uns", lautete einer davon. Das liberale Spitzenpersonal übt sich bei der Frage nach Koalitionspräferenzen derzeit gern in Wortkargheit.
Regieren will die FDP nach der Bundestagswahl 2009, so viel ist klar. Und trotz offiziellen Stillschweigens über eine zukünftige Koalition zeichnete sich beim Bundesparteitag der Liberalen vom 15. bis 17. Juni in Stuttgart bei der Partnerfrage eine deutliche Präferenz ab. Wunschpartner ist die Union. Doch was, wenn die Mehrheiten nicht ausreichen? Würde eine Koalition mit der SPD, ob klassisch rot-gelb oder aber als Ampel, funktionieren?
In seiner Grundsatzrede vermied der alte und neue
Bundesvorsitzende Guido Westerwelle jede allzu eindeutige
Formulierung. Für die Aussage "Wir sind zuerst eine
eigenständige Partei und dann kommt lange nichts" erntete er
begeis
terten Applaus. Die Nominierung von Andrea Nahles zur
stellvertretenden SPD-Vorsitzenden kritisierte er genauso wie die
seiner Ansicht nach mangelnde Handlungskraft der Unionsparteien in
der Innenpolitik. "Äquidistanz" hat Westerwelle diese Haltung
früher mal genannt.
Selbst mit der Saaldekoration wollten die Liberalen offenkundig ihre Konzentration auf sich selbst unterstreichen: blauer Bühnenhintergrund, gelbe Beleuchtung am Fußende der Podiumstische, gelbe Schilder auf den Delegiertentischen, auf denen in blauer Schrift der Name der Landesverbände stand. Blau-gelbe Verzierung für die leeren Sitze auf den Rängen, blauer Stoff um das große Fernsehpodium im hinteren Teil der großen nüchternen Sporthalle. FDP pur.
Kurz vor dem liberalen Konvent hatte die SPD der FDP noch einmal Avancen gemacht. So bekannte Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) in einem Interview in der Wochenzeitung "Die Zeit", dass er sogar einmal FDP gewählt habe. Dann schob er hinterher: "Ich finde, dass die FDP - wie die Grünen - im Bereich der Menschenrechte eine überzeugende Position einnimmt. Damit könnte ich arbeiten. Insofern gibt es Schnittmengen: gegen Diskriminierung, für Toleranz, gegen die Verhunzung liberaler Ideen. Dazu gehört auch der Abstand zu reaktionär-konservativem Gedankengut."
Unter den Delegierten des FDP-Parteitages gab es viele, die eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten für eine realistische Möglichkeit halten. Für Toralf Schnur aus Mecklenburg-Vorpommern hängt dies vor allem davon ab, wie sehr die SPD nach links rückt. Wenn es für eine schwarz-gelbe Regierung nicht ausreicht, dann "muss man sehen, was die demokratischen Parteien bringen können, und dann muss jede demokratische Partei mit jeder anderen demokratischen Partei eine Koalition bilden können", gab sich auch Hans-Peter Goetz aus Brandenburg pragmatisch.
Thematisch hat sich die FDP in den vergangenen Jahren bewusst verbreitert. Sie hat sich nicht mehr nur die Steuerpolitik auf ihre Fahnen geschrieben. Im vergangenen Jahr stand Energiepolitik auf der Agenda des Parteitages, dieses Jahr waren es Kultur- und vor allem Sozialpolitik. Ein Indiz für eine Hinwendung zur SPD?
Die sozialpolitischen Inhalte sprechen eine andere Sprache. So fordern die Liberalen eine kapitalgedeckte, prämienfinanzierte Pflegeversicherung. "Jede Generation muss die finanziellen Lasten tragen, die sie selbst verursacht", heißt es in ihrem Leitantrag zur Sozialpolitik. Die SPD dagegen würde gerne eine Bürgerversicherung einführen. Sie plant einen Finanzausgleich zwischen privat und gesetzlich Versicherten. Das aber lehnt die FDP strikt ab. Auch auf dem Arbeitsmarkt will die FDP eine andere Vorgehensweise. Die Bundesagentur für Arbeit will sie auflösen und in drei kleine Einrichtungen unterteilen.
Übereinstimmungen dagegen, da waren sich viele Delegierte einig, gibt es im Bereich der Innen- und Sicherheitspolitik. Beide Parteien wenden sich zum Beispiel gegen die Pläne von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU), nach denen Fahnder online heimlich Computer von Verdächtigen durchsuchen dürfen. Ein Bekenntnis zur Kulturförderung und zum Erhalt der Künstlersozialkasse ist sicherlich auch etwas, das die SPD unterstützen würde.
Für Westerwelle ist es von immenser Bedeutung, seine Partei nach derzeit neunjähriger Oppositionsarbeit in die Regierung zu führen. Zwar wurde er mit mehr als 87 Prozent der Stimmen wiedergewählt - sein zweitbestes Ergebnis seit Amtsantritt und sieben Prozentpunkte mehr als vor zwei Jahren. Aber so viel mehr als Respekt für seine Person war nicht zu spüren. Seine Grundsatzrede erhielt anhaltenden, aber keinen enthusiastischen Applaus. Die Delegierten wollten nur an einer Stelle nicht aufhören zu klatschen: Als er sich bei seinem Amtsvorgänger Wolfgang Gerhardt für die gute Zusammenarbeit bedankte. Die Zuhörer feierten Gerhardt wie einen Popstar.
Vereinzelt wurde Kritik an Westerwelle laut. Besonders die Anmerkungen des linksliberalen Urgesteins und früheren Bundestagsvizepräsidenten Burkhard Hirsch dürften die Sozialdemokraten interessieren. Der Leitantrag des Vorstandes zur Sozialpolitik sei zwar notwendig, aber nicht tiefgehend genug. "Es ist ein altes liberales Missverständnis, dass aus einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik eine gute soziale Lage entsteht", so Hirsch im Gespräch mit "Das Parlament". "Wenn ich eine aktive Sozialpolitik will, muss ich auch verteilen wollen." Das Wort Solidarität komme nicht vor. "Dieses Wollen einer sozialen Gerechtigkeit fehlt mir", sagte der Altliberale, der sich 1982 gegen die Koalition der FDP mit der CDU unter Bundeskanzler Helmut Kohl ausgesprochen hatte.
Wolfgang Kubicki, Fraktionsvorsitzender der FDP in Schleswig-Holstein, plädierte dafür, seine Partei personell breiter aufzustellen. "Die Wähler orientieren sich an unterschiedlichen Personen. Je größer das Angebot ist, desto größer ist die Möglichkeit, das Potenzial auszunutzen", sagte Kubicki dieser Zeitung. Westerwelle hätte sich vor allem in der Innenpolitik stärker positionieren sollen, fügte er hinzu. Er habe sich eine klarere Abgrenzung von der Union in Fragen staatlicher Überwachung der Bürger gewünscht. Dieser Punkt sei "eine offene Flanke" seines Vorsitzenden.
Westerwelle gab sich demonstrativ gelassen. Das seien Einzelstimmen, sagte er. Unrecht hat er nicht. Keiner der Delegierten wollte ihn ernsthaft in Frage stellen. Eine hundertprozentige Geschlossenheit sah Kubicki zwar nicht. Er sehe aber auch keine Gefahr, dass der Bundesvorsitzende sofort abgesetzt werde, wenn es mit der Regierungsbeteiligung im Jahr 2009 nicht klappe.
Dennoch dürfte die Partei ihrem Vorsitzenden weitere Jahre auf der Oppositionsbank
kaum verzeihen - weshalb trotz aller inhaltlicher Differenzen die rote Karte bei den Liberalen eine Option bleiben wird. Allein ein Blick auf die jüngste Forsa-Umfrage zeigt, dass eine einseitige Konzentration auf die Union den ersehnten Wechsel in die Regierung nicht garantiert: Zusammen mit der Union kämen die Liberalen auf 47 Prozent der Stimmen, denselben Wert, den SPD, Grüne und Linke zusammen erreichen.