Gründungsparteitag
Die Linke profitiert von einer schwachen SPD. Reicht das?
Am 16. Juni kurz vor 17 Uhr war es vollbracht: Die Partei "Die Linke" war mit nur einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen von den fast 800 Delegierten aus der Linkspartei.PDS und der Wahlinitiative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) im Berliner Estrel-Hotel gegründet worden. Lothar Bisky und Oskar Lafontaine wurden zu den Vorsitzenden der neuen Partei gewählt; sie stehen einem 44-köpfigen, paritätisch besetzten Bundesvorstand vor.
Damit war ein zweijähriger Vereinigungsmarathon erfolgreich zum Abschluss gekommen. Politisch war es ein Zusammenschluss auf "gleicher Augenhöhe", juristisch handelte es sich jedoch um einen Beitritt der vornehmlich westdeutsch geprägten WASG zur ostdeutsch dominierten Linkspartei.PDS. Die neue Partei zählt etwa 72.000 Mitglieder, davon kommen 61.000 aus dem Osten. Damit ist sie nach der Mitgliederzahl zur drittstärksten politischen Kraft in Deutschland aufgestiegen. Ohne die Vereinigung wäre der PDS der Weg in den Westen versperrt geblieben, und die WASG wäre wahrscheinlich alsbald wieder von der politischen Landkarte verschwunden. Mit dem Zusammenschluss hat sich erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik eine gesamtdeutsche Partei links von der SPD etabliert. Und schließlich: Das 25 Jahre alte Vierparteiensystem westdeutscher Prägung ist damit zu Ende. Künftige Regierungen jenseits der ungeliebten Großen Koalition müssen wahrscheinlich von Dreierbündnissen ausgehen.
Kein Wunder, dass nicht wenige das Wort "historisch" gebrauchten. Nicht zuletzt lässt die Neugründung die strukturellen Defizite der SPD erkennen: In den 80er-Jahren konnte sie die Gründung der "Grünen" nicht verhindern, 1989 war sie nicht bereit, die Reformsozialisten innerhalb der ostdeutschen Staatspartei SED zu integrieren und hatte damit die PDS mitzuverantworten. Durch den Strategiewechsel zur Mitte unter Kanzler Schröder hatte sie die WASG-Gründung ermöglicht, was schließlich in die Gründung der Linken mündete. Die Probleme der SPD gehen über Personalien weit hinaus: Ein Blick auf die europäische Landkarte verrät, dass es für sozialdemokratische Parteien heute schwer ist, das gesamte linke Spektrum einer Gesellschaft abzudecken.
Die WASG ist der wesentlich radikalere Teil der neuen Partei. Als reine Protestpartei mit einem einflussreichen Gewerkschaftsflügel gegründet, ist sie basisorientiert, kämpferisch und stark sozialstaatsorientiert. Viele WASG-Mitglieder sind in den 70er-Jahren politisch groß geworden und hängen an dem alten westdeutschen Sozialstaatsmodell. Lafontaines Kritik an der ungebremsten Globalisierung und den bundesdeutschen Parteien weckt Illusionen, die er nicht erfüllen kann. Was bleibt ist Protest.
Demgegenüber hat sich die PDS Positionen erarbeitet, programmatisch und auch durch praktische Regierungsverantwortung, die konzeptionell über die der WASG hinausgehen. Als ehemalige Staatspartei hat sie sich in einem 17-jährigen Lernprozess der Gesellschaft geöffnet und ist in großen Teilen angekommen. Bei allem Protestverhalten wurde aus der PDS auch eine Partei mit Gestaltungsanspruch. Die nun mit der WASG vereinbarten Ziele bleiben hinter dem Chemnitzer Programm der PDS deutlich zurück, sind traditionalistischer und fundamentalistischer. So wird faktisch jede Koalitionsbildung ausgeschlossen, Vergesellschaftung wird zur zentralen Frage erhoben, Auslandseinsätze der Bundeswehr werden abgelehnt. Ein tieferes Nachdenken über demografische Veränderungen, Reformbedarf bei den sozialen Sicherungssystemen oder Finanzierbarkeit ist nicht zu erkennen.
Das Fatale jedoch ist, dass in der öffentlichen wie auch in der WASG-Wahrnehmung dies kaum reflektiert wird, die WASG für sich sogar den fortschrittlichen Teil reklamiert, sich in Wirklichkeit aber zeitgemäßen Antworten auf neue gesellschaftliche Rahmenbedingungen weitgehend versperrt. Wer von der reinen Lehre abweicht und Kurskorrekturen anmahnt, wird unumwunden als "neoliberal" gebrandmarkt. Neoliberalismus ist inzwischen zur verbalen Allzweckwaffe bei den Linken geworden. Auch hier zeigt sich einmal mehr, dass die Linke überhaupt kein Verhältnis zur Globalisierung gefunden hat.
Die Gefahr besteht, dass der Reformflügel, der Gestaltungsanspruch erhebt, bestehend aus eher jüngeren Funktionsträgern der PDS, durch Strukturkonservative der WASG und Altkommunisten der PDS zurückgedrängt wird. Es ist wohl eine neue Partei entstanden, eine neue Politik ist damit nicht begründet worden. Es bleibt abzuwarten, inwieweit ihre Stärke oder Schwäche vom jeweiligen Zustand der SPD abhängt. Die neue Linke als reine Protestpartei wird sicherlich kurz- und mittelfristig erfolgreich sein, längerfristig wird das Bisherige nicht ausreichen.