Kinderbetreuung
Alle wollen die Familien fördern. Nur unterschiedlich.
Auch wenn die Redner aller Fraktionen geradezu gebetsmühlenartig wiederholten, es habe sich in Sachen Familienpolitik im Lande "viel getan" und man spüre einen gesellschaftlichen Wandel: Geht es um die Themen Familie und Kinder, vom Altbundeskanzler einmal uncharmant als "Gedöns" bezeichnet, schicken die Parteien gern ihr weibliches Personal ans Rednerpult. So auch in der Debatte am 22. Juni zum siebten Familienbericht ( 16/1360 ) und dem Bericht der Bundesregierung über den Stand des Ausbaus der Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige ( 16/2250 ).
Dabei fiel auf: Das reflexartige und bei vielen anderen Themen schon ritualisierte Parteiengezänk fällt schwer bei einem Thema, bei dem sich alle einig sind. Selten war die Übereinstimmung im Plenum so groß: Ja, man brauche mehr Unterstützung für Familien, sowohl materiell als auch strukturell; ja, man müsse das Angebot für die Betreuung kleiner Kinder schnellstmöglich ausbauen und ja, das zu Anfang dieses Jahres eingeführte Elterngeld ist für junge Eltern eine positive Neuerung, die nebenbei auch noch dazu geführt hat, dass immer mehr Männer Elternzeit beantragen.
Insbesondere Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) warb dafür, den eingeschlagenen Kurs weiter fortzusetzen. Der Fortschritt in Sachen Kinderbetreuung sei lange "eine Schnecke" gewesen - "das muss schneller gehen!" Der Bund werde den Ausbau auf 750.000 Betreuungsplätze bis 2013 mit 4 Milliarden Euro mitfinanzieren und sich auch in den Folgejahren "verlässlich" beteiligen. Woher aber genau das Geld kommen soll, dazu sagte die Ministerin nichts - und lieferte der Opposition damit einen der wenigen Gründe, sie zu kritisieren. "Weniger Pathos, dafür aber eine Gesamtkonzeption" habe man sich gewünscht, so FDP-Familienpolitikerin Ina Lenke. Von der Leyen solle bis zur Sommerpause endlich ein schlüssiges Finanzierungskonzept vorlegen. Auch Krista Sager (Bündnis 90/Die Grünen) rief die Ministerin dazu auf, "endlich in die Puschen" zu kommen.
Trotz dieser Kritik hörte die Opposition gern, was von der Leyen neben dem bereits Bekannten zu sagen hatte: Man solle sich das Hamburger Modell der Betreuungsgutscheine genauer anschauen, das zu mehr Mitbestimmung der Eltern und einem Wettbewerb um das beste Angebot geführt habe. Wohl mehr an die eigenen Reihen gerichtet warb von der Leyen darum, Innovationen gegenüber aufgeschlossen zu sein - denn ihre Befürwortung der Gutscheine ist Wasser auf die Mühlen von Liberalen und Grünen, die dafür bereits länger kämpfen. Dieses Modell, so Ina Lenke, führe zu flexibleren Öffnungszeiten der Kindertagesstätten und besseren Bildungsangeboten. Krista Sager betonte, das von den Grünen vorgeschlagene Modell einer Kinderbetreuungskarte, das dem Gutscheinmodell stark ähnelt, sei "vernünftig" und "verfassungskonform".
Sager riet dazu, aus den Fehlern in Hamburg zu lernen: Dort sei die Ganztagsbetreuung an die Erwerbsfähigkeit der Eltern gekoppelt worden. Das habe dazu geführt, dass Kinder arbeitsloser Eltern keinen Ganztagsplatz bekommen hätten - dies habe negative Auswirkungen vor allem für Kinder aus sozialschwachen Familien und ärmeren Stadtteilen gehabt und dürfe sich nicht wiederholen. Die grüne Familien- und Bildungsexpertin wies darauf hin, dass dieses Modell jedoch nur in Kombination mit einem Rechtsanspruch auf die Tagesbetreuung für unter Dreijährige wirklich funktioniere - eine Forderung, die sowohl von Jörn Wunderlich (Die Linke) als auch von den SPD-Sprecherinnen Nicolette Kressl und Christel Humme erhoben wurde. Ihre Fraktion, so Humme, wolle den Rechtsanspruch "unbedingt", denn der sei kein "Zwangsinstrument", wie Kritiker behaupteten, sondern garantiere den Eltern Planungssicherheit.
Dass dieses Maß an Übereinstimmung nicht zu einer gänzlich konsensorientierten Debatte führte, dafür sorgte die Union mit ihrer Forderung nach einer Betreuungsprämie für Eltern, die ihre Kinder daheim betreuen. Johannes Singhammer und Paul Lehrieder (beide CSU) verteidigten den von der Opposition als "Herdprämie" geschmähten Vorschlag: Eine Forsa-Umfrage beweise, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung eine solche Maßnahme befürworte - sie garantiere eine "Balance der unterschiedlichen Familienmodelle" und es sei gut, dass man sich in der Großen Koalition auf ein monatliches Betreuungsgeld von 150 Euro monatlich ab 2013 geeinigt habe.
Eine Einigung, von der weder der Koalitionspartner noch die Opposition etwas wissen will: Das Betreuungsgeld wäre "eine Leistung dafür, dass Kinder weniger Bildung erhalten", weil sie nicht in Kindertagesstätten betreut und gefördert würden, so Christel Humme: "Das wollen wir auf keinen Fall." Krista Sager warf den Unions-Rednern vor, in ihrem Denken "vom bayerischen mittelständischen Familienidyll" auszugehen. Während gut ausgebildete Frauen sich ihre Berufstätigkeit nicht durch eine Prämie "abkaufen" ließen, sei der Vorschlag, Migranten oder Eltern aus bildungsfernen Schichten Geld dafür zu geben, dass sie die Kinder daheim bleiben und nicht institutionell fördern ließen, "völlig absurd".
Familien, die ihre Kinder zu Hause betreuten, würden ohnehin durch das Ehegattensplitting und Betreuungsfreibeträge unterstützt. Sager lobte die Liberalen, die sich auf ihrem jüngsten Parteitag gegen die Betreuungsprämie ausgesprochen haben.
Sowohl die Rednerinnen von SPD als auch von Grünen und FDP wiesen darauf hin, dass es bei der Kindertagesbetreuung nicht um "Verwahrung", sondern um eine wichtige Möglichkeit der frühkindlichen Bildung gehe. Die professionelle Betreuung in Kinderkrippen und Kindertagessstätten dürfe nicht, wie Lehrieder es tue, als "Spielen mit Kumpels" abgetan werden.
Was aus dem Vorschlag der Betreuungsprämie wird, wird demnächst im Familienausschuss diskutiert. Trotz aller Einigkeit in der Debatte wird die gemeinsame Front von SPD, FDP und Grünen dann wohl wieder bröckeln: Im Plenum lehnte die Koalition am 22. Juni fünf Anträge der Opposition zur Kinderbetreuung ( 16/453 , 16/552 , 16/1673 , 16/4412 , 16/4443 ) ab.