Herr Bartsch, wie viele Neuzugänge haben Sie seit dem Parteitag am Wochenende?
Die Gründung der Linken ist keine 72 Stunden her, da haben wir allein hier im Karl-Liebknecht-Haus zentral über 1.800 Neueintritte zu verzeichnen und in den Ländern auch noch eine ähnliche Größenordnung. Keine Prominenten, aber dafür recht viele junge Leute, das ist sehr erfreulich.
Ist Die Linke im Grunde genommen nicht eine linkssozialdemokratische Partei?
Nein, aber aus der Partei Willy Brandts ist eine Partei geworden, die inzwischen in zehn Länder deutsche Soldaten geschickt hat, die die Rente mit 67 eingeführt hat, die Hartz IV durchgesetzt hat, die den Konzernen Steuergeschenke macht. Das ist keine sozialdemokratische Politik, keine linke Politik mehr.
Die neue Partei heißt "Die Linke". Das klingt ziemlich anmaßend, nach Alleinvertretung.
Ja, Die Linke ist mit der Namensnennung auch ein Stück weit anmaßend. Aber die SPD sehe ich heute als keine linke Partei mehr. Links sein heißt Solidarität, Gerechtigkeit, Freiheit.
Wird die Linke unter Lafontaine verstärkt den Weg einer Protestpartei einschlagen?
Protest in der Gesellschaft ist legitim und notwendig. Wir waren als PDS immer eine Adresse von Protest; die WASG ist als eine Protestbewegung entstanden. Wir wollen auch weiter eine Adresse von Protest sein. Aber wir sind selbstverständlich bereit, in den Kommunen, den Länder und im Bund Verantwortung zu übernehmen, in Opposition wie in Regierung, im Interesse der Menschen -wenn die Richtung der Politik stimmt. Wir opfern unsere Prinzipien nicht wegen irgendwelcher Ministerämter.
Wie groß ist die Gefahr, dass Lafontaine die neue Partei dominiert?
Ohne Oskar Lafontaine hätten wir bei der Bundestagswahl keine 8,7 Prozent erzielt, ohne Lafontaine hätte es den gemeinsamen Wahlantritt nicht gegeben, ohne ihn wäre es schwierig gewesen, in die Bremer Bürgerschaft zu kommen. Darüber hinaus haben wir zwei Vorsitzende, die gemeinsam die Partei führen. Ich bin froh, dass Oskar Lafontaine seine Erfahrungen als Parteivorsitzender und Ministerpräsident einbringt. Dabei ist völlig klar, dass er die Partei prägt, aber es wird keinen Alleinherrscher geben.
Wollen Sie im nächsten Jahr bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen mithelfen, die prominenten Ministerpräsidenten Koch und Wulff von der Macht zu verdrängen?
Wir wollen gern mithelfen, Koch und Wulff von der Macht zu verdrängen, aber das ist nicht unser allererstes Ziel. Wir wollen eine Veränderung der Landespolitik erreichen. Wir werden hart dafür arbeiten müssen, in die Landesparlamente zu kommen. Die Chance ist da. Wenn dabei auch herauskommt, dass Roland Koch abgelöst wird, dann würde ich mich an dem Abend zweimal freuen.
Das Interview führte Heinrich Bortfeldt