Gesellschaft
Eine Darstellung über die Israelis - ganz ohne Palästinenser
In der Einleitung ihres Buches "Die Israelis" bekennt Donna Rosenthal, dass das palästinensische Volk in einer eigenen Publikation dargestellt werden müsse. Doch kann man die israelische Gesellschaft ohne ihre vermeintlichen Feinde ganz verstehen?
Nach dem Eingangskapitel "Israeli werden" stellt die amerikanisch-israelische Journalistin die "vielen Stämme" vor, aus denen sich Israels Gesellschaft zusammensetzt: den aus dem Westen eingewanderten Ashkenasim und den aus dem Mittelmeerraum und der arabischen Welt stammenden Mizrahim, den Russen und den äthiopischen Juden. Israel kennt jedoch weitere Schubladen für sein Bevölkerungsgemisch. Eine weitere öffnet Rosenthal in "Grabenbrüche zwischen Juden und Juden" - da stellt sie Vertretern des religiösen Judentums säkulare Israelis gegenüber. Im abschließenden Kapitel kommen Israels Nichtjuden zu Wort, immerhin 20 Prozent der Bevölkerung: Beduinen, Muslime, Drusen, Christen. Die Kapitelüberschrift "Schizophrenie" wirkt allerdings gewollt.
Die Stärke des umfangreichen Werkes sind die vielen Menschen, die zu Wort kommen: von der Gasmaskendesignerin Sivan bis zum muslimischen Kinderarzt Yasser, dem ein frommer Jude aus Dankbarkeit ein Amulett schenkt, das er zuvor von einem Rabbiner hat segnen lassen. Die jedem Kapitel vorangestellten Zitate sagen dabei mehr aus als lange Abhandlungen. "Manche sind jüdisch. Andere sind jüdisch-jüdisch. Wir sind jüdisch-jüdisch-jüdisch", so charakterisiert etwa der 13-jährige Moshe Stein die religiöse Gruppierung der Haredim.
Interessante Einblicke gewährt Donna Rosenthal auch in das Denken der Drusen, über deren Religion nicht allzuviel bekannt ist. Die Autorin lässt den Leser auch wissen, welche elf Gebote der Moralkodex der israelischen Armee umfasst: An erster Stelle steht die Hingabe an den Auftrag, an fünfter das Respektieren menschlichen Lebens, gefolgt von der "Reinheit der Waffen", als vorletztes Gebot soll der Soldat "Israel würdig vertreten."
Eine Schwäche des 400-Seiten-Buches besteht in diversen Ungenauigkeiten. Die Altstadt Jerusalems ist nicht ein Viertelquadratkilometer groß, sondern ein Quadratkilometer. Die Erste Intifada brach nicht 1985 aus, sondern 1987. Und das arabische Wort "Shabab" mit "Schlägertrupps" zu übersetzen, wo es doch nur männliche Jugendliche meint, ist mehr als gewagt.
Zudem verallgemeinert oder vereinfacht die Autorin stellenweise, wo sie genauer sein müsste. Beispiel: Das West-Jordanland und der Gaza-Streifen seien Territorien, "die im Rahmen des Oslo-Friedensprozesses der palästinensischen Selbstverwaltung unterstellt worden waren". Das klingt nach palästinensischer Souveränität. Tatsächlich hat Oslo nur 17,2 Prozent des West-Jordanlandes - das so genannte A-Gebiet - der vollständigen palästinensischen Selbstverwaltung übergeben.
Auch Rosenthals Schlussfolgerungen bleiben oberflächlich: Der Einsatz von Panzern auf israelischer Seite und die Selbstmordattentate von Palästinensern in den vergangenen Jahren hätten jede Vertrauensgrundlage zerstört. Diese Feststellung unterschlägt jedoch, dass diese Vertrauensgrundlage schon vor Jahrzehnten durch das Vorgehen auf beiden Seiten zerstört wurde, wenn sie denn überhaupt je exisierte. Dazu gehört etwa die blutige Geiselnahme in München 1972 durch palästinensische Terroristen. Umgekehrt haben viele Palästinenser angesichts der gezielten Tötungen palästinensischer Intellektueller oder der Daumenschrauben israelischer Bürokratie bis heute Zweifel an Israels Friedenswille. Seit 1967 hat Israel zwischen 12.000 und 14.000 palästinensische Häuser abgerissen. Nur in fünf Prozent geschah dies aus Gründen der Sicherheit.
Donna Rosenthals Buch macht einmal mehr deutlich: Die Israelis sind ohne die Palästinenser nicht zu verstehen - umgekehrt gilt dies auch.