Provokant
Die arabisch-islamische Welt ist imperialistisch, meint der Historiker Efraim Karsh
Historiker müssen sich nicht um die oft beschworene "political correctness" kümmern. Im Gegenteil: Sie müssen sie letzten Endes gar völlig außer acht lassen, wollen sie sich nicht die Chance verbauen, historische Irrtümer, Halbwahrheiten und Mythen zu widerlegen und schiefe Geschichtsbilder gerade zu rücken. Und eines darf man dem Historiker Efraim Karsh attestieren: Er gehört ganz sicherlich nicht zu den Vertretern der "Political Correctness". Das verrät schon der Titel seines neuen Buches "Imperialismus im Namen Allahs".
Der Untertitel "Von Muhammad bis Osama Bin Laden" lässt allerdings aufhorchen - nicht zuletzt weil er eine historische Zwangsläufigkeit suggeriert, wie sie im Zusammenhang mit dem Thema Antisemtismus in Deutschland bereits schon einmal unter dem Schlagwort "Von Luther bis Hitler" propagiert wurde. Der Verdacht trügt nicht. Karsh unternimmt nicht weniger als den Versuch, die Ursachen für den islamistischen Terrorismus in den Tiefen der Geschichte zu finden.
Die Grundthese, die der Leiter des Mediterranean Studies Programm am Kings's College der Universität von London präsentiert, ist provokant und bestechend zugleich: Für Karsh manifestiert sich in den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 nicht die "jüngste Salve im mehr als tausendjährigen ,clash of civilizations' zwischen der Welt des Islams und derjenigen des Christentums" und sie seien auch nicht eine "fehlgeleitete, wenn auch nicht völlig unerklärliche Reaktion auf Amerikas arrogante und eigennützige Außenpolitik vonseiten einer extremistischen Randgruppe". Der Terrorismus Osama Bin Ladens sei nichts anderes als die aktuelle Variante eines historisch verwurzelten Imperialismus in der islamischen und arabischen Welt, der sich seit den Tagen des Propheten Muhammads beständig in den Formen des Panarabismus und des Panislamismus gezeigt habe.
Karshs Argumente sind auf den ersten Blick durchaus überzeugend: In der Tat kann man die Geschichte des Nahen und Mittleren Ostens als eine Abfolge von Imperien erzählen, die sich gegenseitig ablösten. Auf den Trümmern des zerfallenden Byzantinischen Reiches und den persischen Sassanidenreiches bauten Muhammad und seine Nachfolger die ersten frühislamischen Imperien auf, es folgten Seldschuken und Osmanen. Sie alle träumten den Traum vom großen, die islamisch-arabisch Welt umfassenden Reich. Dieser Traum sei, so Karsh, bis heute in der Region virulent.
Als Abfolge von Imperien ließe sich allerdings auch die Geschichte Europas erzählen. Und auch dort waren - zumindest im Mittelalter - Staat und Religion bei weitem nicht so strikt getrennt, wie Karsh behauptet. Auch die These, dass die christlichen Kirchen als Gegenspieler zur weltlichen Macht gewirkt hätten, lässt sich nur bedingt halten - gerade in der Zeit der Kreuzzüge, die Karsh in ihrer Wirkung auf den Nahen Osten als völlig zweitrangig ansieht.
Der Historiker räumt durchaus ein, dass Imperien auch in der westlichen Welt eine wichtige Rolle spielten. Aber aus seiner Sicht habe der Westen nach dem Zweiten Weltkrieg mit allen imperialen Traditionen gebrochen. Angesichts der Tatsache, dass Frankreich in den 60er-Jahren und Portugal gar noch in den 70er-Jahren blutige Kolonialkriege führten und die USA bis heute einer zumindest ausgeprägten hegemonialen Politik frönen, darf man an dieser Stelle getrost gleich mehrere Fragezeichen setzen.
Karshs Buch ist mit Vorsicht zu genießen. An seiner Darstellung der historischen Fakten lässt sich zwar nur wenig bemängeln, er schießt bei den Schlussfolgerungen jedoch weit übers Ziel hinaus. Muhammad, Saladin, Gamal Abdel Nasser, Ayatollah Komeini, Saddam Hussein und schließlich Osama Bin Laden in den gleichen Topf imperialer Träumer zu werfen - das liest sich weniger wie historische Forschung als vielmehr wie ein politisch-ideologisch motiviertes Traktat.
Imperialismus im Namen Allahs. Von Muhammad bis Osama Bin Laden.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007; 400 S., 24,95 ¤