Der Sechs-Tage-krieg
Vor 40 Jahren triumphierte Israel über seine Feinde. Doch der Frieden blieb aus.
Nach seinem Bestseller "Es war einmal Palästina" setzt der israelische Historiker und Journalist Tom Segev mit "1967" seine Israel-Saga fort. Allerdings widmet er dem Sechs-Tage-Krieg nur rund ein Zehntel des 800 Seiten starken Buches. Schließlich gebe es "nichts Langweiligeres als Militärgeschichte", versicherte Segev in einem Interview. Ihm dürfte aber auch bewusst gewesen sein, dass es bereits einige Dutzend gute Bücher über die Militäroperation gibt. Gleichwohl ist es Segev gelungen, das in Wissenschaft und Literatur gut erschlossene Thema aus einer neuen Perspektive zu bearbeiten.
Für den Autor gibt es keine Tabus. So räumt Segev gnadenlos mit historischen Legenden über das Israel der 50er- und 60er-Jahre auf. Dass der Autor auch als Journalist tätig ist, kommt seiner Monografie zugute, denn er theoretisiert nicht, sondern bedient sich einer allgemein verständlichen und klaren Sprache.
Wie in seinen früheren Arbeiten sind Segevs wichtigste Primärquellen die Menschen und ihre Zeugnisse. Er las hunderte Briefe und Tagebücher seiner Landsleute aus dem Jahr 1967, interviewte zahlreiche Politiker, aber auch die Freundin des damaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson, Generäle und einfache Reservisten. Segev zeichnet in seinem Meisterwerk detailliert die innenpolitischen Konfliktlinien nach und bezieht die politische Kultur des Landes in seine Analyse ein: Wie war das Verhältnis zwischen den Politikern und den Militärs oder zwischen den "alten Juden" und den "neuen Hebräern"?
Dem unermüdlichen Archiv-Forscher Segev ist es zu verdanken, dass einige geheime Sitzungsprotokolle der Regierung und Aktenvermerke des Mossad über die Gegner Israels Erwähnung finden. Zu jedem einzelnen Problem erfährt der Leser die Fakten, außerdem alternative Konzepte und den Diskussionsverlauf. Kenntnisreich rekonstruiert der Historiker die Tage vor dem Krieg. Er beginnt mit Nassers Entscheidung am 22. Mai 1967, die Straße von Tirana zu blockieren: Handelte es sich damals um einen von den Sowjets provozierten Schritt, um Ägypten in den Krieg mit Israel zu drängen? Jedes wichtige Gespräch in der Regierung, sogar die Treffen in der Knesset-Cafeteria, erwähnt Segev.
Auf diese Weise ist ein hoch informativer politischer Dokumentar-Roman über das Israel im Jahr "1967" entstanden. Es handelt sich nicht nur um sechs Tage in der Geschichte Israels, die sich dennoch für die globale Sicherheitspolitik als überaus wirkmächtig herausstellen sollten. "Alle Probleme, mit denen wir uns heute herumschlagen", betonte Segev in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", "haben ihren Ursprung in diesem schicksalhaften Jahr".
"Erobern wir doch einfach Kairo". "Schön, aber was machen wir nach dem Mittagsessen?" Dieser Witz stammt aus den Tagen nach dem Blitz-Sieg Israels im Juni 1967 und reflektiert die euphorische Stimmung in der israelischen Armee und Gesellschaft. Ein Tag vor Beginn der militärischen Auseinandersetzung hatte in Israel noch eine ganz andere Atmosphäre vorgeherrscht: Schrecken, Panik, Angst. Auch bei den Militärs. Zwar war Generalstabschef Jizchak Rabin davon überzeugt, dass Israel Ägypten "einen sehr empfindlichen Schlag" versetzen würde. Gleichwohl war er sich der Tatsache bewusst, dass der Ausgang des Luftkrieges davon abhängen würde, wer den ersten Angriff fliegen würde. Schimon Peres schlug sogar einen demonstrativen Atomtest vor, um die arabischen Nachbarstaaten einzuschüchtern.
Auf Grund der vermuteten Schwäche Israels sei der Krieg von 1967 unvermeidbar gewesen, glaubt Segev. Hätten die Nachbarn das Land für einen starken Gegner gehalten, hätten sie den Juden kaum mit einem "Vernichtungskrieg" gedroht. Und Ägypten hätte darauf verzichtet, in die demilitarisierte Zone auf dem Sinai einzudringen. Die berechtigte Furcht vor einem Angriff der Araber wurde in Israel durch die traumatische Erinnerung an den Holocaust verstärkt: Kein Israeli würde sich jemals wieder "zur Schlachtbank" führen lassen, wurde allenthalben betont.
Vor diesem Hintergrund herrschte in der politischen Klasse eine "putschähnliche Atmosphäre": Der neue Verteidigungsminister Mosche Dayan und die Generäle übten Druck auf Ministerpräsident Levi Eschkol aus, um ihn zu einem Präventivschlag zu bewegen. Eschkols Sorge: "Sollen wir immer durch das Schwert leben?" Allerdings zögerte er auch, weil die USA, Israels wichtigster Verbündeter, keine militärischen Garantien für den Fall eines israelischen Präventivkrieges geben wollten. Letztlich handelte Eschkol: Auf seinen Befehl hin zerstörten die Israelis mit ihrem ersten Angriff am 5. Juni die gesamte moderne ägyptische Luftwaffe. Sechs Tagen später notierte ein Reservist in sein Tagebuch: Der Sieg war "überraschend und großartig"!
Vier Jahrzehnte nach diesem sensationellen Erfolg wirft Segev die Frage auf, ob es sich nicht in Wirklichkeit um einen Pyrrhussieg gehandelt habe. Diesem Thema widmet er ein ganzes Kapitel: "Sie dachten, sie hätten gewonnen". Israel wurde zur überforderten Besatzungsmacht während die Gründung eines Palästinenser-Staates hartnäckig auf der Tagesordnung blieb. "Terrorismus gehörte bald zum Alltag", stellt Segev nüchtern fest. In "den befreiten und besetzten Gebieten" im West-Jordanland, in Gaza und in Ost-Jerusalem begann der palästinensische Widerstand.
1967. Israels zweite Geburt.
Siedler Verlag, München 2007; 797 S., 28 ¤