Weltbank
Ihr Ansehen ist angekratzt. Jetzt will sie sich wieder auf das Kerngeschäft - die Armutsbekämpfung - besinnen.
Mit dem angekündigten Rücktritt des amtierenden Weltbankpräsidenten Paul Wolfowitz und der Nominierung des früheren US-Handelsbeauftragten und Vize-Außenministers Robert Zoellick als dessen Nachfolger dürfte die tiefe Krise bei der weltgrößten Entwicklungshilfeorganisation überwunden sein. Doch das monatelange Tauziehen zwischen Wolfowitz auf der einen und den Mitarbeitern seines Hauses sowie den Regierungen der wichtigsten Mitgliedsländer auf der anderen Seite hatte Wunden aufgerissen und Narben hinterlassen. Das Image der Weltbank hat einen gewaltigen Schaden erlitten.
Zoellick, dessen Bestätigung durch das 24-köpfige Direktorium reine Formsache ist und der aller Voraussicht nach ab dem ersten Juli die Geschäfte führen wird, steht vor scheinbar widersprüchlichen Herausforderungen. Er muss nämlich das Ruder herumreißen, gleichzeitig aber für Kontinuität sorgen. Die Wende besteht darin, von der Seifenoper um Wolfowitz, die seit Anfang April das Betriebsklima vergiftet und von dem eigentlichen Entwicklungshilfegeschäft abgelenkt hatte, wieder rasch zur Tagesordnung überzugehen. Kontinuität hingegen ist in der Sache angesagt. Denn aller Günstlingswirtschaft zum Trotz hat Wolfowitz während seiner zwei Jahre im Amt insbesondere bei der Armuts- und Korruptionsbekämpfung sowie der Verbesserung der Gesundheitsvorsorge und der Schulsysteme in den ärmsten Entwicklungsländern beachtliche Fortschritte erzielt.
Gegründet wurde die Weltbank im Juli 1944 anlässlich der Bretton Woods Konferenz im US-Bundesstaat New Hampshire. An der Konferenz nahmen 730 Delegierte aus den 44 alliierten Nationen teil. Sie hatte nach den Worten des damaligen amerikanischen Finanzministers Henry Morgenthau das erklärte Ziel, "dem ökonomischen Nationalismus ein Ende zu setzen". Im Klartext: Die reichen Industrieländer sollten nicht ausschließlich um den eigenen Wohlstand bemüht sein, sondern in verstärktem Maße finanzielle und personelle Ressourcen einsetzen, um auch in den ärmeren Nationen die Lebensqualität zu erhöhen. Bei der Veranstaltung, die sich über drei Wochen erstreckte, wurden mehrere bedeutsame Beschlüsse gefasst: Mit der Einführung des Goldstandards wurde erstmals ein Regime fixer Wechselkurse institutionalisiert, das bis 1971 Bestand hatte, als nämlich die USA die freie Konvertierbarkeit des Dollars in Gold außer Kraft setzten. Auch wurde das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen GATT verabschiedet. Höhepunkt der Konferenz in dem schmucken Mount Washington Hotel war aber die Gründung der Schwesterorganisationen Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF), die auf gegenüberliegenden Straßenseiten der "19th Street" in der US-Hauptstadt Washington D.C. beheimatet sind.
Beide Organisationen nahmen im Juni 1946 den Betrieb auf. Aufgabe des IWF war es laut Statut, Mitgliedsländern bei der Überbrückung kurzfristiger Zahlungsbilanzschwierigkeiten zu helfen. Dabei hat der Währungsfonds insbesondere seit der südostasiatischen Finanzkrise der späten 90er-Jahre mit einer ganzen Reihe neuer Finanzierungsinstrumente sein Aufgabenspektrum deutlich erweitert.
Sache der Weltbank war es seinerzeit, nach den durch den Zweiten Weltkrieg angerichteten Verwüstungen und demontierten Volkswirtschaften beim wirtschaftlichen Wiederaufbau zu helfen. Ihren ersten Kredit in Höhe von 250 Millionen Dollar vergab die Weltbank an Frankreich. Real, also unter Berücksichtigung der Inflationsrate, handelte es sich bei dem Darlehen an Frankreich um den größten Kredit in der Geschichte der Organisation. Als jene Länder, deren Konjunktur unter den Folgen des Kriegs am stärksten gelitten hatten, sich wieder berappelt hatten, widmete sich die Weltbank erstmals den "klassischen Entwicklungsländern". Im Gegensatz zum Währungsfonds, der von Einlagen, den so genannten "Quoten", seiner Mitglieder lebt, finanziert sich die Weltbank, ähnlich wie ein privates Unternehmen, vorwiegend an den internationalen Kapitalmärkten.
Mehr als 60 Jahre nach ihrer Gründung weist die Organisation eine beachtliche Erfolgsbilanz auf. So ist allein seit 1987 in den Entwicklungsländern der Teil der in Armut lebenden Menschen von 40 auf 21 Prozent der Bevölkerung gesunken und die Lebenserwartung gleichzeitig um 20 Prozent gestiegen. Maßgeblich beigetragen haben dazu umfangreiche Programme zur Verbesserung der Ernährung, der Krankenversorgung, des Schul- und Bildungswesens sowie der Infrastruktur. Auch wurden allein seit 2003 1,8 Milliarden Dollar in die Aids-Bekämpfung investiert.
Zu den wichtigsten Prioritäten des Wolfowitz-Vorgängers James Wolfensohn zählte ferner die Entlastung der ärmsten Länder von den erdrückenden Schulden. Die so genannte HIPC (Highly Indebted Poor Countries)-Initiative sah vor, dass ein konkreter numerischer Zusammenhang zwischen der Auslandsverschuldung eines Entwicklungslandes und den Exporterlösen, der wichtigsten Einkommensquelle für die ärmsten Länder, errechnet wird. Falls der Schuldendienst droht, die gesamten Exporteinnahmen aufzufressen, und die Wirtschaft damit keine Chance hat, auf die Beine zu kommen, sollten die Schulden gestrichen werden. Bis heute haben sich für das HIPC-Programm 28 Länder qualifiziert, das Gesamtvolumen des Schuldenerlasses könnte sich auf 56 Milliarden Dollar belaufen.
Zu den zentralen Aufgaben zählt ferner die Korruptionsbekämpfung in den Entwicklungsnationen. Damit soll in erster Linie sichergestellt werden, dass die Gelder aus Washington sowie jene Beiträge, die von den Industrieländern über ihre entsprechenden Ministerien geleistet werden, tatsächlich in den Dienst der Armutsbekämpfung gestellt werden und nicht auf den Privatkonten korrupter Politiker landen. Seit 1996 hat die Weltbank nicht weniger als 100 Programme eingeführt, mit denen sie dem Missbrauch wertvoller Entwicklungshilfegelder entgegenwirken will. So wird von Mitgliedsländern verlangt, dass Regierungsangestellte ihre privaten Finanzen offenlegen. Auch werden unter anderem Richter in "Ethikfragen" geschult, dasselbe gilt für Journalisten sowie leitende Manager von Medienunternehmen.
Gleichwohl mangelt es keineswegs an Kritik. Kein geringerer als Joseph Stiglitz, früher Chefökonom bei der Weltbank, sieht krasse Widersprüche in der Politik des Hauses. Seiner Ansicht nach sind die geforderten Wirtschafts- und Strukturreformen, die an die Kreditvergabe und Finanzierung neuer Projekte gekoppelt werden, häufig unzumutbar und drohen, die angestrebte Konjunkturbelebung in den Entwicklungsländern im Keime zu ersticken. "Es ist wie Zuckerbrot und Peitsche" sagt Stiglitz. "Diese Länder haben keine Chance, wenn man ihnen Geld verspricht, im Gegenzug aber Reformen fordert, zu denen sie aus eigenen Mitteln völlig außerstande sind."
Andere verweisen auf angeblich korrupte Bräuche innerhalb der Weltbank. So wecken nicht nur der steuerfreie Status der stattlichen Gehälter sowie diverse andere Privilegien Neid und Misstrauen. Auch steht die Institution seit Jahrzehnten in dem hartnäckigen Ruf, dass leitende Mitarbeiter häufig Projektfinanzierungen genehmigen, um quasi den Umfang des eigenen Kreditportfolios zu erhöhen. Auch sollen Weltbankmanager von korrupten Regierungen Schmiergelder kassiert haben, um fragliche Entwicklungshilfeprogramme abzusegnen. Bewiesen sind die mehr oder minder regelmäßig auftauchenden Vorwürfe zwar nicht, doch der Integrität der Weltbank sind sie alles andere als förderlich.
So gesehen war es kaum verwunderlich, dass der Skandal um Wolfowitz die Bretton-Woods- Institution in ihre wohl tiefste Krise stürzte. Obwohl der frühere zweite Mann im US-Verteidigungsministerium nach zwei Jahren an der Weltbankspitze letztlich über seine undurchsichtige Rolle bei der Durchsetzung einer Gehaltserhöhung für seine Freundin stolperte, hatten sich vom ersten Tag an Ressentiments gegen den Kriegsfalken Wolfowitz aufgebaut. Kritik wurde insbesondere an dem autokratischen Führungsstil des Bush-Beraters geübt, der sich mit langjährigen Vertrauten aus dem Pentagon umgab und sich gegenüber den 24 Exekutivdirektoren, die sämtliche 185 Mitgliedsländer der Weltbank vertreten, völlig abkapselte.
Mit der Ernennung von Zoellick hat Bush sichergestellt, dass sowohl die europäischen Industrienationen als auch die Entwicklungsländer den neuen Kandidaten problemlos absegnen werden.
Zum einzigen Knick in der sonst steilen Karriere von Bob Zoellick kam es im vergangenen Frühjahr. So hatte er fest damit gerechnet, nach dem Rücktritt von Ex-Finanzminister John Snow als Bushs neuer Kassenwart ernannt zu werden. Den Zuschlag bekam aber stattdessen Henry Paulson, damals Chef des Wall Street Giganten Goldman Sachs. Zum einen, weil er nach eigenen Angaben im Außenministerium "nicht genügend Respekt erhielt" und zum anderen aus Enttäuschung darüber, dass Bush ihn für das Ressort des Finanzministers übersah, legte Zoellick sein Amt als zweiter Mann hinter Condoleezza Rice nieder und wechselte ausgerechnet zu Paulsons früherer Firma Goldman Sachs. Dort ist er einer der stellvertretenden Vorsitzenden und Leiter der International Advisors Abteilung.
Für die Interessen der Wall Street hatte sich Zoellick bereits in seiner Eigenschaft als US-Handelsbeauftragter eingesetzt. Unter anderem hatte er vor drei Jahren die Regierung in Tokio unter Druck gesetzt, die Privatisierung der Japan Post zu beschleunigen. Bei dieser Bank wird ein Viertel aller Spareinlagen der japanischen Privathaushalte gehalten; der Wert wird auf mehr als 3 Billionen Dollar geschätzt.
Die Wachablösung in Washington könnte für die Weltbank eine Wende bedeuten. Vergangenes Jahr finanzierte das Institut Projekte im Wert von umgerechnet 23,6 Milliarden Dollar und war bis zu der Führungskrise auf dem Weg, einen neuen Rekord aufzustellen. Wichtig war insbesondere die angestrebte Kapitalaufstockung für die Internationale Entwicklungshilfeorganisation IDA, die mit Abstand wichtigste Weltbanktochter.
Das Budget der IDA, die in den ärmsten Ländern Schulen und Krankenhäuser baut, Strom- und Telefonleitungen legt und damit neue Arbeitsplätze schafft, sollte um 15 Milliarden Euro erhöht werden. Die Kapitalerhöhung hängt aber in erster Linie von der Zustimmung der europäischen Mitgliedsländer ab, die unter dem designierten Weltbankchef Robert Zoellick wohl bereit sein werden, den Geldhahn kräftig aufzudrehen, Wolfowitz den neuen Haushalt aber vermutlich verweigert hätten.
Mit Zoellick wird am 1. Juli ein angesehener Fachmann das Ruder bei der Weltbank übernehmen, der rasch zur Tagesordnung übergehen will. In der Sache ist nämlich Kontinuität angesagt. Dazu zählen Armuts- und Korruptionsbekämfung in den Entwicklungsländern, die kräftige Kapitalaufstockung für IDA und die Fortsetzung bereits eingeleiteter Reformen, die unter anderem die Zusammenarbeit mit dem IWF neu definieren und Kompetenzstreitigkeiten verhindern sollen. Glücklich ist auch Präsident Bush, denn mit der Ernennung von Robert Zoellick hat er zugleich sichergestellt, dass der traditionelle amerikanische Führungsanspruch bei der Weltbank nicht mehr in Frage gestellt wird, so wie dies in Paul Wolfowitz' letzten Tagen immer häufiger getan wurde.