VERKEHR
Die meisten Rohstoffe kommen übers Meer. Das kann ein Problem werden
Der freie Zugang zu den Weltmeeren und die sichere Nutzung der Seeverkehrsverbindungen sind für die deutsche Wirtschaft von höchster Bedeutung. Rohstofflieferungen erfolgen in einigen Bereichen zu mehr als 90 Prozent über das Meer nach Deutschland, und auch 40 Prozent des Rohöls kommen per Schiff.
"Die maritime Wirtschaft zählt mit mehr als 380.000 Beschäftigten und einem Umsatz von rund 48 Milliarden Euro zu den wirtschaftlich wichtigsten und fortschrittlichsten Wirtschaftszweigen in Deutschland", heißt es im aktuellen Jahresbericht des Flottenkommandos der Deutschen Marine. Die Marine veröffentlicht jedes Jahr einen Bericht, in dem die Abhängigkeit von den Seewegen dargestellt wird. Er dient der Bundesregierung als Grundlage für verkehrs-, wirtschafts- und sicherheitspolitische Entscheidungen.
Die maritime Wirtschaft habe sich zu einem Wirtschaftssektor mit erheblichem Wachstumspotential entwickelt und sei von herausragender Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Technologie-, Produktions- und Logistikstandort. Sie sei ein "wichtiger Eckpfeiler für Deutschlands führende Position im Export". Die Deutsche Handelsflotte ist mit über 3.200 Schiffen, die unter den verschiedensten Flaggen dieser Welt fahren, hinter Griechenland und Japan auf Platz drei der verfügbaren Transportkapazität weltweit. Im Segment der weltweiten Containerkapazität belegt Deutschland sogar Platz eins. 90 Prozent des Außen- und 40 Prozent des Binnenhandels der EU finden über den Seeweg statt.
"Meere und Küstenregionen haben ein enormes Potenzial für wirtschaftliches Wachstum. Die Schifffahrt profitiert von der fortschreitenden Globalisierung der Wirtschaft, die zu einem großen Anstieg der über See beförderten Güter geführt hat. Dabei ist Deutschland einer der erfolgreichsten Schifffahrtsstandorte weltweit", so der FDP-Abgeordnete Hans-Michael Goldmann. Der Bericht fomuliert als Ziel einer maritimen Politik, sowohl den Meeres- und Küstenschutz voran zu treiben als auch gleichzeitig die maritime Wirtschaft zu entwickeln und zu stärken. "Noch kann sich der Meeresschutz nicht gegen die dominierenden Interessen der Meeresnutzung durchsetzen. Der Schutz der biologischen Vielfalt im Meer, der Schutz von wichtigen Lebensräumen und die Wiederherstellung eines guten ökologischen Meereszustandes muss in Angriff genommen werden", fordern die Grünen-Abgeordneten Cornelia Behm und Undine Kurth. Die Debatten um den Schutz der Meere stoßen auf große Resonanz, denn allein in der EU lebt fast die Hälfte der 450 Millionen Einwohner an oder nahe der Küstenlinie in weniger als 50 km Entfernung vom Meer lebt. "Entscheidungen in der Meerespolitik haben damit unmittelbare Auswirkungen insbesondere in den Küstenregionen auf die Menschen, die Wirtschaft und die Umwelt, auf die Hafenwirtschaft, den Tourismus, und die Fischerei", heißt es im Jahresbericht. Aus dem Anspruch auf freien Zugang und Nutzen der Weltmeere leitet sich allerdings auch eine sicherheitspolitische Verantwortung ab. Deutschland ist bei der Energieversorgung besonders vom Seehandel abhängig. Ein Großteil der benötigten Brennstoffe wird per Seetransport importiert. Dies gilt für die meisten Staaten, die über keine eigenen Ölreserven verfügen. Gemessen an der globalen Handelsflotte stellt die weltweite Tankerflotte allein 40,7 Prozent der Gesamttonnage. Aber auch bei nicht-energetischen Rohstoffen ist Deutschland im höchsten Maße von Importen abhängig, bei metallischen Rohstoffen sogar zu 93,8 Prozent. Der freie Zugang zu den Weltmeeren ist aber gefährdet. So könnte ein Konflikt mit dem Iran zur Sperrung des Persischen Golfs führen, welcher stark von Öltransportern genutzt wird. Dies geschah bereits 1984 während des ersten Golfkrieges. Die Lage am Horn von Afrika und vor der Küste Somalias stellt heute eine akute Bedrohung für die Schifffahrt dar. Längst hat sich dort das lokale Piratentum zu einer Art Industrie entwickelt.
Am 18. November kaperten somalische Piraten den 330 Meter langen Supertanker Sirius Star, der Rohöl im Wert von mehr als 100 Millionen Dollar gebunkert hat. 16.000 Schiffe durchqueren pro Jahr den Golf von Aden, und allein dieses Jahr wurden fast 100 Übergriffe durch Piraten in dieser Region gemeldet. Die Piraten richten weltweit nicht nur finanzielle Schäden in Milliardenhöhe an, sondern gefährden auch Menschenleben. Viele Seeleute von überfallenen Schiffen werden als Geiseln unter unwürdigen Bedingungen gefangen gehalten.
"Vor dem Horn von Afrika besteht dringender Handlungsbedarf. Der Schutz der Seeverbindungslinien ist eine der vornehmsten Aufgaben der Marine. Gerade Deutschland ist von einem ungehinderten Warenverkehr abhängig", so Bernd Siebert, Verteidigungsexperte der Union. Auch um auf eine Verbesserung der Zustände in Somalia hinarbeiten zu können, seien sichere Seewege unersetzlich. Sieberts SPD-Kollege Rainer Arnold fordert deshalb ein effektiveres internationales Vorgehen: "Das Beste wäre ein internationales Gericht, das sich mit Piraterie beschäftigt und völkerrechtlich legitimiert ist."
Die Meinungen über die Zuständigkeiten bei der Piratenbekämpfung klaffen weit auseinander. Ungeklärt ist die Frage, ob solch eine Aufgabe nur von der Polizei durchgeführt werden darf oder ob die Bundeswehr in internationalen Gewässern dazu berechtigt ist. "Für einen deutschen Marineeinsatz gegen Piraten gibt es keine deutsche Rechtsgrundlage. Das Vorgehen gegen Piraterie ist eindeutig eine Polizei- und keine Militäraufgabe", betont Wolfgang Gehrcke, Sprecher der Linken für Internationale Beziehungen, klar. Das hält der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, für "ein Stück aus Absurdistan". Gertz fordert ein robustes Mandat für die deutsche Marine zum Schutz der Schifffahrt am Horn von Afrika.