AFGHANISTAN-KONFERENZ
Die EU-Kommission erhöht ihre Hilfe auf 760 Millionen Euro
Als Hamid Karsai um halb zehn Uhr morgens ins Den Haager Konferenzzentrum eilte, winkte ein wartender Journalist mit einer Tüte Schoko-Ostereier. Der Politiker mit der markanten Fellmütze und dem grünen Umhang sah interessiert hinüber. Interviewen lassen wollte er sich zwar nicht. Aber schließlich brachte Karsai die Schokolade doch in seinen Besitz: Er schickte einen Begleiter, der sie sich aushändigen ließ.
Die Szene hatte Symbolik: Der afghanische Präsident weiß derzeit auch kleine Präsente aus dem Ausland zu schätzen. Noch lieber sind ihm allerdings umfassende Hilfszusagen. Und darum ging es am 31. März. Unter der Schirmherrschaft der UN hatten hochrangige Delegationen aus 72 Ländern über die Zukunft Afghanistans beraten.
Initiiert worden war die Konferenz von den USA. Präsident Barack Obama hatte wenige Tage zuvor in Washington seine neue Afghanistan-Strategie vorgestellt. Er lenkt sein Augenmerk auf den Krisenstaat am Hindukusch, nachdem er sich zum Rückzug aus dem Irak bis 2010 entschieden hat. Nun bekomme das Land die Ressourcen, die ihm seit Beginn des Irak-Kriegs vor sechs Jahren vorenthalten worden seien, so Obama in seiner Rede.
Doch freilich sehen die USA sich nicht allein in der Verantwortung. So viele Länder wie möglich sollen mitziehen, deshalb die Einladung nach Den Haag. Als Geberkonferenz mit umfangreichen Finanzzusagen war sie jedoch nicht angelegt. "Es geht zunächst um eine Standortbestimmung. Jeder will sehen, was andere zu tun bereit sind", hieß es im Vorfeld aus europäischen Diplomatenkreisen.
Als Hamid Karsai im Plenum der Konferenz. erschien, teilte er den Regierungsvertretern mit, dass ihm Obamas Pläne sehr gefallen hätten. Der Gelobte war nicht anwesend, dafür leuchtete das rote Kostüm seiner Außenministerin Hillary Clinton in den Reihen. Auch diese wirkte guter Dinge, erst recht nach Ende der Sitzung.
Zählt man die politischen Bekenntnisse zu den USA und ihren Plänen, war die Konferenz ein voller Erfolg. Zahlreiche Länder begrüßten Obamas Vorhaben, die in Afghanistan stationierten 38.000 US-Soldaten um 21.000 Mann aufzustocken. Die USA wollen mehr Gewicht auf die Ausbildung afghanischer Truppen und Polizeikräfte legen und sich auch für den zivilen Wiederaufbau mehr engagieren. Einige Vertreter machten selbst kleinere konkrete Zusagen. Die EU-Kommission erhöht ihre Afghanistan-Hilfe bis 2010 auf 760 Millionen Euro. Die Bundesrepublik versprach weitere Hilfe, etwa beim Aufbau der zivilen Luftsicherung und beim Ausbau der Armee. Die USA wollen 40 Millionen Dollar für die Präsidentenwahlen am 20. August geben.
Für den wahren Höhepunkt des Treffens sorgte jedoch die Idee der USA, die Nachbarländer Afghanistans stärker in ihre Strategie einzubinden. Gemeint ist damit zum einen Pakistan. Zum anderen der Iran, von George W. Bush noch auf der "Achse des Bösen" verortet. Clinton hatte den Iran in einem Aufsehen erregenden Schritt nach Den Haag eingeladen. Schließlich reiste Vize-Außenminister Mehdi Achundsadeh an, der frühere Iran-Botschafter in Berlin. Dieser platzierte erst einmal ein wenig politischen Zündstoff in das Treffen. Die Truppen-Aufstockung sei sinnlos, schon die bisherigen Einsätze hätten nichts bewirkt, provozierte der Vizeminister. Dann aber erklärte der Iran sich bereit, beim Wiederaufbau in Afghanistan und beim Kampf gegen den Drogenhandel zu helfen.
Und schließlich hörte man es in den Fluren raunen: Bilaterales Treffen zwischen Iran und USA. Es war Richard Holbrooke, der amerikanische Afghanistan-Beauftragte, der sich nach Angaben von Hillary Clinton mit Achundsadeh unterhielt. "Kurz und freundlich" sei das Gespräch gewesen, sagte Clinton - wenngleich der Iran den Stellenwert der Begegnung später wieder relativierte. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon holte die euphorisierten Konferenzteilnehmer wieder auf den Boden zurück. Der gute Wille allein sei nicht alles, unterstrich Ban. "Die Länder müssen ihre Versprechen auch in die Tat umsetzen." Er erinnerte dabei an frühere Zusagen, deren Erfüllung noch aussteht. Die EU etwa ist noch weit davon entfernt, die Anzahl ihrer Polizeiausbilder in Afghanistan auf 400 zu verdoppeln.
Ein Vertreter des humanitären Dachverbandes ACBAR hielt eine flammende Rede: Die Zahl der zivilen Opfer, die 2008 die höchste seit Beginn des Krieges war, müsse auf ein Minimum begrenzt werden. Außerdem seien Fortschritte bei sozialen und Frauenrechten dringend nötig. Wie schlecht es um die Rechte der Frauen in Afghanistan bestellt ist, macht ein umstrittenes Gesetz deutlich, das Karsai gerade am Parlament vorbei in Kraft gesetzt hat. Danach müssen schiitische Frauen etwa die sexuellen Bedürfnissen ihres Mannes jederzeit erfüllen und ihn um Erlaubnis bitten, wenn sie das Haus verlassen möchten. Das Gesetz sorgte auch am Rande der Den Haager Konferenz für Diskussionen.
Dass Afghanistan und seine Partner noch einen langen Weg vor sich haben, darin waren sich auch Parlamentarier in Berlin und Brüssel einig. "Die Bundesregierung redet sich die Lage in Afghanistan schön", erklärte etwa die Berliner Grünen-Abgeordnete Ute Koczy. Die Aufbaugelder beförderten derzeit vor allem die Korruption. Der CSU-Parlamentarier Christian Ruck sprach sich für eine Drei-Säulen-Strategie für Afghanistan aus. Neben Sicherheit und Diplomatie brauche es auch eine Entwicklungs-Säule, um "die Herzen der Menschen zu gewinnen". Und sein Brüsseler CDU-Kollege Karl von Wogau sagte: "Langfristig gesehen muss die afghanische Regierung in die Lage versetzt werden, für Sicherheit im eigenen Lande zu sorgen."